Kreis Lippe. Nach dem Terroranschlag in Paris sind auch Muslime in Lippe bestürzt. „Wahnsinnige Vollidioten“ nennt der Vorsitzende der Detmolder Ditib-Gemeinde Adem Dere, der mit anderen Muslimen im „Merkez Market“ diskutiert, die Terroristen.
Zwischen Tomaten, Äpfeln, Tee und frischem Fladenbrot steht Adem Dere und seine Hände fliegen durch die Luft, als würde er ein ganzes Orchester dirigieren. „Ich bin aufgeregt, weil schon wieder Wahnsinnige unseren Glauben beschmutzen. Es sind kriminelle Menschen. Das ist gegen den Islam“, sagt er mit aufgerissenen Augen vor den Kunden im türkischen Supermarkt an der Lemgoer Straße.
Um ihn herum steht das Rentner-Duo Turan Topcu und Remzi Kilic – sie nicken und klopfen ihm auf die Schulter. „Eine Schweinerei ist das, diese Leute sind doch völlig verrückt geworden“, sagt der 74-jährige Topcu. „Diese Terroristen sind keine Muslime, sie haben keine Religion, sie sind kaltblütige Mörder“, fügt er mit erhobenem Zeigefinger hinzu und klammert sich mit beiden Händen an seinen Gehstock.
Bereits den ganzen Tag hört sich Verkäuferin Hülya Yörüs die erregten Diskussionen und Beschimpfungen der Attentäter an. „Heute gehts nicht um Preise oder frische Waren, sondern nur um den Terroranschlag von Paris“, sagt die 46-Jährige und packt nebenbei drei Auberginen, drei rote Paprika und ein Bund Petersilie für Kundin Emine Köse in einen grünen Plastikbeutel. „Entschuldigung“, sagt die vierfache Mutter und unterbricht die Verkäuferin. „Ich finde die Karikaturen nicht gut. Religionen sollten nicht verspottet werden – sei es das Christentum oder der Islam“, sagt die 47-jährige Altenpflegerin. Das sei jedes Mal ein Angriff auf die Würde der Gläubigen. Aber ihr sei schon klar, dass eine freie Religionsausübung nur in einer freien Gesellschaft möglich sei. „Ich akzeptiere die Karikaturen nicht, aber man muss mit Kritik umgehen und gewaltfreie Antworten finden“, erklärt Köse, die seit 43 Jahren in Detmold lebt.
Zustimmung gibt Yavus Söleman, der ihr mit offenem Mund, einem Beutel Reis, drei Gurken und zwei Zwiebeln auf den Armen zuhört. „Der Islam wird durch solche Kriminelle komplett in Frage gestellt“, schimpft der 80-Jährige mit zittriger Unterlippe. „Diese Menschen haben unserer Religion mehr geschadet, als diese Karikaturen es jemals tun könnten“, fügt der Rentner, der vor 46 Jahren nach Lippe kam, hinzu. Er glaube, dass für Muslime nun eine schwierige Zeit beginne, erklärt er und legt die Waren auf den Tresen. Es drohe, wie immer in solchen Fällen, ein Generalverdacht. Doch er hoffe, dass die Lipper einen differenzierten Blick auf seine Religion werfen und nicht Terrorismus und Islam gleichsetzten.
„Alle normalen Menschen sind von solchem Terror geschockt – ich als Muslim bin es ja nicht weniger als andere, sondern mehr“, ergänzt Ditib-Vorsitzender Adem Dere mit ruhiger Stimme. Weil es seine Religion sei, die dadurch so schrecklich missbraucht und entstellt werde. Er und viele andere arbeiteten in Lippe seit Jahrzehnten intensiv für gelingende Integration, für die Lösung von Problemen. „Das sollten die Politiker ernst nehmen, nicht das sinnlose Gerede von einer Islamisierung des Abendlandes“, sagt der zweifache Vater. Bewegungen wie „Pegida" wollten genau das Gegenteil. „Sie arbeiten denen in die Hände, die Streit wollen, Hass säen und am Ende zu Gewalt greifen“, so Dere.
Medien-Kritik gibt es aus Schötmar
Ramazan Aygör, stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs in Bad Salzuflen, deren Moschee im vergangenen Oktober selbst Ziel eines Brandanschlags geworden ist, hat eine klare Meinung zum blutigen Anschlag in Paris: "Das ist absolut gegen die Menschenwürde. Das ist ein Terror-Anschlag, der in keiner Weise zu rechtfertigen ist."
Allerdings macht er auch keinen Hehl daraus, dass er in diesem Zusammenhang ein Problem mit der medialen Aufbereitung und der grundsätzlichen Darstellung des Islam hat. "Das ist kein islamischer Angriff gewesen, sondern der Angriff dreier Personen, die behaupten, dem Islam anzugehören. Das müsste man sehr stark unterscheiden", betont Ramazan Aygör. Die Medien verbinden aus seiner Sicht aber derzeit fälschlicherweise vieles in Zusammenhang mit dem Islam als Terror, sagte er gegenüber LZ-Redakteur Stefan Backe