Mord an einem 16-Jährigen in Lemgo: Wie Notfallseelsorger und Schulen mit der Tat umgehen

Lemgo/ Detmold. Was am Montagabend im Edeka-Markt in Brake passiert ist, lässt sich auch ein paar Tage später nicht begreifen. Mindestens 15 Menschen haben an diesem Abend mit angesehen, wie ein 33-Jähriger offenbar willkürlich einen 16-Jährigen im Kassenbereich mit dem Messer attackierte und tödlich verletzte. Bis spät in die Nacht waren Notfallseelsorger vor Ort. Wie haben sie die Situation erlebt? Und wer fängt nun mitten in den Ferien den Freundeskreis des Getöteten und seine Mitschüler auf?

Obwohl das Team der Notfallseelsorge regelmäßig mit Extremsituationen und tödlichen Unfällen konfrontiert ist, sticht die als Mord aus Heimtücke gewertete Messerattacke in Brake heraus, sagt Andreas Gronemeier, Leiter der Notfallseelsorge bei der Lippischen Landeskirche. Bis spät in die Nacht war sein neunköpfiges Team da, um die rund 15 Zeuginnen und Zeugen zu betreuen und mental zu unterstützen.

Erst im etwas abgetrennten Bäckereibereich des Supermarktes, dann später bei den Befragungen auf dem Polizeirevier in Lemgo. &bdquo;Das war ein Kraftakt, zumal die Tat äußerst brutal verwirklicht wurde“, sagt Gronemeier. Der Einsatz sei alles andere als gewöhnlich gewesen.

Die Not verschlingt oft Worte Immer wieder habe er in dieser Nacht einen Satz gehört: &bdquo;Dass das hier bei uns in Lemgo passiert ...“ Der brutale Angriff auf den gerade einmal 16 Jahre alten Lemgoer habe die einkaufende Kundschaft sowie das arbeitende Team des Supermarktes völlig aus dem Nichts getroffen. Ein Schock. In solchen extremen Situationen könne die Notfallseelsorge nur möglichst offen Gespräche anbieten. Eine Frage lautet: &bdquo;Mögen Sie mir erzählen, was Sie gerade gesehen haben?“

Oft sei die Not aber so groß, dass sie Worte verschlinge, sagt der Leiter der Notfallseelsorge. Auch das sei okay. &bdquo;Dann ist es gerade so schlimm, dass man nichts sagen möchte.“ Trotzdem sei es für Betroffene wichtig, die Möglichkeit zu haben, das Erlebte verbal zu verarbeiten. Jeder Mensch reagiere dabei unterschiedlich und ganz individuell.

Andreas Gronemeier war auch dabei, als die Polizei die Nachricht des gewaltsamen Todes den Eltern überbringen musste. Auch dieser schwere Gang gehört zu den Aufgaben der Notfallseelsorge. Die Polizei sei dann zuständig, den Fakt auszusprechen, sagt Gronemeier. &bdquo;Wir bleiben da und versuchen, mitauszuhalten.“

Reaktion der Angehörigen nicht vorhersehbar Niemand könne vorher abschätzen, was beim Überbringen einer solch traumatisierenden und lebensverändernden Nachricht passiert, wie die Angehörigen sich verhalten - und was sie brauchen. &bdquo;An Reaktionen der Betroffenen ist alles möglich.“ Manche Menschen erstarrten komplett, andere durchlebten einen &bdquo;totalen Ausbruch“ der Gefühle. Wie Angehörige den Schmerz nach einer solchen Tat aushalten sollen, entzieht sich dabei jeder Vorstellungskraft.

Dass es für die jüngeren Geschwister des Getöteten je wieder so etwas wie eine Normalität geben könne, sei in dem Moment für die Eltern nicht greifbar gewesen, erklärt Andreas Gronemeier. Das Leben bleibe plötzlich stehen. Doch was passiert, wenn in der nächsten Woche die Schule wieder losgeht? Wer fängt die Mitschülerinnen und Mitschüler des Getöteten auf? Auch hier unterstütze die Notfallseelsorge, wenn der schulpsychologische Dienst des Kreises sie anfordere, sagt Gronemeier.

Trotz der Ferien hat auch der Christliche Schulverein Lippe direkt am Tag nach der Tat umgehend einen Krisenstab einberufen, erklärt dessen Geschäftsführer Peter Dück. Der Getötete, seine Geschwister und ein Augenzeuge zählen zu Schülern der August-Hermann-Francke-Schulen in Detmold und Lemgo. Ab Montag soll es in der betroffenen Schule einen Trauerraum geben, um die Mitschülerinnen und Mitschüler zu stützen. Der Christliche Schulverein kooperiere hier ebenfalls eng mit dem schulpsychologoschen Dienst des Kreises. Peter Dück sagt, der Trägerverein sei froh, so ein enges Netzwerk zu haben.

Schule setzt alle Hebel in Bewegung &bdquo;Für uns war es wichtig, die betroffenen Schüler und Eltern gleich zu informieren.“ Innerhalb des Krisenstabes habe sich der Schulträger intensiv damit auseinandergesetzt, wie die Schule die Geschwister des Getöteten am besten auffangen könne. Genauso wichtig sei es, die betroffenen Lehrkräfte auf die schwierige Zeit vorzubereiten. Da ein Mitschüler die Tat sogar mit angesehen habe, müsse die Schule hier besonders behutsam reagieren. &bdquo;Es geht darum, sehr sensibel auf die Bedürfnisse und Emotionen einzugehen“, sagt Peter Dück.

Darüber hinaus werde der Christliche Schulverein auch einen Weg finden müssen, die Wut nach so einer unbegreiflichen Tat aufzufangen. &bdquo;Es können schnell Hassgefühle hochkommen“, sagt der Geschäftsführer. &bdquo;Aber wir müssen schauen, wie wir mit diesen Gefühlen nach unseren christlichen Wertvorstellungen umgehen können.“ Auch dabei wolle die Schule den betroffenen Mitschülerinnen und Mitschülern helfen.

Momentan suchen immer wieder Jugendliche die Gedenkstelle für ihren getöteten Freund und Mitschüler auf dem Supermarktparkplatz in Brake auf. Sie stehen schweigend da, umarmen sich und versuchen, so wirkt es, einander Halt zu geben. Zwischen den geschmückten Blumen, Kuscheltieren und Fotos führt ein QR-Code in einem Bilderrahmen zum Song einer christlichen Band auf Youtube. &bdquo;Selbst wenn die Welt um mich herum zerbricht, weiß ich, dass du Gott meine Zuflucht bist“, heißt es darin.

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