Detmold. Sie sehen sich so ähnlich – und doch sind die beiden nicht miteinander verwandt. Die fünfjährige Lena ist das Pflegekind von Nadine und Bernd Müller (alle Namen von der Redaktion geändert). Sieht man die drei zusammen, hat man sofort das Gefühl: Hier hat zusammen gefunden, was zusammen gehört. Doch immer weniger Menschen wollen Pflegekinder aufnehmen, wobei der Bedarf wächst. Vor fünf Jahren hat sich Familie Müller entschieden, anderen Kindern eine Bleibe auf Zeit zu bieten. „Ich bin gelernte Erzieherin und wurde dann irgendwann gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, Bereitschaftspflege anzubieten", erinnert sich die 37-jährige Mutter von drei Kindern. Insgesamt vier Pflegekinder hat sie so über die Jahre hinweg für kurze Zeit aufgenommen – im Alter zwischen zehn Tagen und zweieinhalb Jahren. „Es war eine tolle Erfahrung. Aber man muss auch lernen, sich auf jedes Kind neu einzustellen und sich schließlich von den Kindern wieder trennen zu können", erklärt Müller, dass dafür die eigenen Kinder und der Alltag eine gute Ablenkung böten. Seit gut zwei Jahren ist die kleine Lena nun bei ihnen, und seit kurzem sind die Müllers Pflegefamilie für die Fünfjährige. „Eine bessere Familie hätten wir für Lena nicht finden können", ist Monika Weyher stolz darauf, wie integriert Lena bereits von Anfang an in der jungen Familie gewesen sei. Sie selbst betreut und koordiniert die Westfälischen Pflegefamilien der St. Elisabeth Stiftung. Doch Nadine Müller habe sich die Entscheidung, ein viertes Kind dazu zu bekommen selbst nicht leicht gemacht: „Ich war diejenige, die am längsten überlegt hat. Aber letztendlich haben wir Lena so in unser Herz geschlossen. Wir konnten sie nicht gehen lassen", lächelt die 37-Jährige. Und auch von ihrer Familie habe sie stets Rückendeckung bekommen: „Nicht nur die Kinder haben Lena von Anfang an als neue Schwester akzeptiert. Auch für Großeltern, Onkel und Tanten ist sie längst ein weiteres Familienmitglied", erzählt Nadine Müller sichtlich stolz. Doch sie betont auch, dass man sich im Vorfeld im Klaren sein müsse, was auf einen als Pflegefamilie zukommt: „Es können immer Schwierigkeiten auftreten. Vielleicht rebelliert Lena in der Pubertät gegen uns, da wir nicht ihre leiblichen Eltern sind." Gleichzeitig erzählt die nun vierfache Mutter aber auch, dass sie vor allem die Herausforderungen reizten und man immer dazulerne. Auch, wenn man natürlich viel Arbeit und Zeit in die Großfamilie investieren müsse. Das weiß auch Monika Weyher, denn die meisten Pflegekinder hätten schon viel „erlitten", für das es Geduld brauche, um es zu verarbeiten. Daher bräuchten Pflegefamilien gewisse Voraussetzungen: „In erster Linie eine stabile Persönlichkeit. Man muss auch mal einstecken können." All diese Anforderungen seien es letztlich wohl auch, die heutzutage viele Familien abschreckten, ein Pflegekind aufzunehmen. „Doch der Bedarf an Pflegefamilien ist immer da – gerade jetzt, wo viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu uns kommen", weiß Weyher. „Allerdings ist das Modell Großfamilie für uns heute nicht mehr üblich. Wenn eine Familie ein bis zwei Kinder hat, will sie meist kein weiteres Kind aufnehmen", fügt sie an. Dennoch sind sich Nadine Müller und Monika Weyher einig: „Die Erfahrung ist großartig. Das Beste daran ist, dass man einem Kind eine glückliche, sichere und unbeschwerte Kindheit bietet." Der Kontakt zu den leiblichen Eltern reißt nie ab Was ist Bereitschaftspflege? Was bedeutet es, eine Pflegefamilie zu sein? Beide Systeme sind etabliert, wenn es darum geht, sich um Kinder zu kümmern. Monika Weyher, die sich um die Koordination der Westfälischen Pflegefamilien bei der St. Elisabeth Stiftung kümmert, erklärt die Unterschiede. „Bereitschaftspflege ist nicht gleich Langzeitpflege", betont sie. „Erstes ist nur für kurze Zeit ausgelegt – maximal sechs Monate soll das Kind in der Familie bleiben und dort für diese Zeit ein sicheres Umfeld finden. Derweilen wird geklärt, wie es weitergeht. Entweder, das Kind kommt zurück zu seinen leiblichen Eltern oder aber es wird eine passende Pflegefamilie gesucht." In dieser bleibe das Kind bis zur Volljährigkeit. Wichtig sei aber, die beiden Systeme klar voneinander abzugrenzen. Weyher fügt an, dass ein Pflegekind niemals den Wunsch nach leiblichen Kindern ersetzen dürfe. Über die St. Elisabeth Stiftung werden die Familien auf ihre Aufgaben als Pflegefamilie vorbereitet. „Wir bieten Kurse an und führen intensive Gespräche mit allen Familienmitgliedern, um uns ein genaues Bild zu machen. Dann wird geprüft, was die Familie möchte, und es wird ein mögliches Pflegekind gesucht. Passen die beiden Profile von Kind und Familie zusammen, wird sich in ungezwungener Atmosphäre über mehrere Wochen kennen- und bestenfalls auch lieben gelernt", erklärt Weyher den Ablauf. Dennoch dürfe man die Bedeutung der leiblichen Eltern und ihre Rolle bei allem nicht außer Acht lassen. „Viele von ihnen haben nach wie vor noch das Sorgerecht und damit Mitspracherecht bei allen wichtigen Entscheidungen in Bezug auf das Kind. Man muss als Pflegefamilie daher in jedem Fall damit umgehen können, dass das Kind zwar in der Pflegefamilie, aber immer mit Kontakt zu den leiblichen Eltern aufwächst", erklärt Weyher. Bestehe allerdings die Möglichkeit einer Traumatisierung des Kindes durch Kontakt zu den leiblichen Eltern, könne dieser unterbunden werden. „Letztlich wahren wir die Anonymität, so dass der Kontakt ausschließlich über uns als Stiftung läuft", so Weyher.