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Mehr Leben in der Nachbarschaft durch virtuelle Netzwerke

Sven Koch und Yvonne Glandien

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Miteinander verbunden: Virtuelle Netzwerke bringen die Mieter zum Beispiel in den Häusern der Wohnbau in Detmold in Kontakt. - © Foto/Montage: Bernhard Preuß
Miteinander verbunden: Virtuelle Netzwerke bringen die Mieter zum Beispiel in den Häusern der Wohnbau in Detmold in Kontakt. (© Foto/Montage: Bernhard Preuß)

Detmold. Marion will Kuchen backen. Doch es ist Sonntag, und sie hat nicht genug Mehl im Haus. Sie greift sich ihr Handy und sucht nach der nächsten Tankstelle, die einen kleinen Shop führt. Auf die Idee, bei ihren Nachbarn zu klingeln, kommt Marion nicht. Auch wenn sie nur ein Beispiel ist, stellt sie dar, was jeden Tag passiert: Nachbarschaftliche Hilfe wird nicht in Anspruch genommen. Das soll sich nun ändern.

Die Tendenz zeigt: Nachbarschaften sind wieder im Kommen. Ganz wie es früher war. Denn der Nachbar war nicht nur Hilfe in der Not, sondern auch Gesprächspartner und Informationsquelle. Durch die stärkere Mobilität und nicht zuletzt das Internet war das lange Zeit nicht mehr wichtig. Initiativen, Gesellschaften und Apps arbeiten daran, Nachbarschaften zu stärken, Jung und Alt, Singles und Familien, Studenten und Senioren zu verbinden.

Das hat sich zum Beispiel die Genossenschaft Wohnbau Detmold zum Motto gemacht. „Ich erinnere mich noch, dass mein Vater mich an die Hand nahm und von Tür zu Tür ging, um uns vorzustellen. Heute ist das nicht mehr so", sagt Uwe Petrat, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Wohnbau.

Seit 2012 will die Genossenschaft dem entgegenwirken: „Jeder neue Mieter bekommt von uns zum Einzug einen Tablet-Computer geschenkt. Darauf ist eine App vorinstalliert, die wie ein soziales Netzwerk funktioniert", erklärt Petrat.

Die App erfüllt mehrere Funktionen. Alle im Haus wohnenden Nachbarn werden angezeigt und können ganz einfach per Nachricht kontaktiert werden. Außerdem bildet die App ein Netzwerk zwischen allen Wohnbau-Wohnungen. „Wir haben 1.000 in Detmold und 400 im Umland."

Rund die Hälfte der neuen Mieter meldeten sich in der App an. Besonders bei Älteren werde das System gut angenommen. „Sie sind häufig alleine in ihrer Wohnung und können sich damit beschäftigen und Kontakt aufnehmen – auch mit uns als Vermieter", sagt Uwe Petrat.

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Einige AWO-Angebote sind stark nachgefragt

Die AWO OWL organisiert die Kampagne „Nachbarschaft... zusammen geht mehr". Projektleiterin Gabriele Stillger sagt: „Nachbarschaften haben nach wie vor eine große Bedeutung. Über soziale Netzwerke verabredet man sich, aber man trifft sich doch noch in der Realität." 166 Nachbarschaftsangebote habe die Kampagne seit ihrer Gründung vor drei Jahren unterstützt. Einige Angebote werden stark nachgefragt. „In Bielefeld könnten wir jede Woche einen neuen Treff für frische Eltern starten, das boomt gerade richtig", sagt Stillger. Weitere Infos unter www.awo-owl.de

Für die Zukunft hat die Wohnbau Detmold auch schon einiges im Köcher: „Mit Hilfe der App soll niedrigschwellige Hilfe möglich werden. Etwa mit einer Notruffunktion." Insgesamt sei die Vernetzungsnot aus Sicht von Petrat in Detmold aber nicht so groß. „Hier funktioniert das noch ganz gut, anders als in anonymen Großstädten."

Wenn Marion das nächste Mal Kuchen backen will, wird sie vielleicht wieder nicht bei den Nachbarn klingeln. Aber sie könnte zu den modernen Medien greifen und in ihrem Netzwerk fragen, wer noch Eier im Haus hat. Und warum sollte aus einem Ei kein gemeinsamer Kaffee, ein Straßenfest oder eine lebenslange Freundschaft werden?

Das „Haus für Alle" ist eine klare Alternative

Die „WIR" eG ist eine neu gegründete Genossenschaft, die an der Stettiner Straße/Dresdner Straße ein „Haus für Alle" installieren will. Es soll das erste Projekt zum nachbarschaftlichen Wohnen in der Nordstadt sein. Es solle eine klare Alternative bieten für Menschen, die „anders" wohnen wollten.

Auf dem Areal einer ehemaligen Mantelfabrik im Umfeld der früheren Südholzschule und damit auf einem Areal von 3600 Quadratmetern soll es unter einem Dach „Inklusives Wohnen", Tagespflege für zehn Gäste und nachbarschaftsoffene Gemeinschaftsräume geben.

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Architekt Heinrich W. Hinsenhofen und Hanno Denker sprechen für die Genossenschaft. „Wir sind eine Gruppe von acht Fachleuten", erzählt Hinsenhofen, „die ein Ziel verbindet: Wir wünschen uns lebendige Dörfer und Wohnviertel, in denen sich Menschen mit und ohne Unterstützungsbedarf gut aufgehoben fühlen".

Er erläutert, dass neue, zukunftsfähige Wohnformen, ergänzt durch quartiersnahe soziale Versorgungsangebote, realisiert werden sollen. Plan sei, zwei Wohnprojekte unter einem Dach zu bilden – eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Assistenzbedarf und eines für Menschen um die 60.

Weiter schwebt den Machern vor, in den Gemeinschaftsräumen mitten im Stadtteil ein Büro für einen ambulanten Pflegedienst vorzuhalten. „Neue Mobilität ist ebenfalls ein Stichwort – das Wohnen mit und ohne Auto ermöglicht", schildert Planer Hinsenhofen.

So sind Fahrradgarage mit Werkstatt, Stadtteilautos vor der Haustür oder E-Car-Sharing angedacht. Ein mehrstufiges Konzept berücksichtige neben Energie sparenden Maßnahmen ein Ressourcen schonendes Umbauen des Gebäudes, das am Ende nahezu klimaneutral werden soll.

Zehn Wohnungen stünden im Wohnprojekt für Ältere zur Verfügung. Das Nutzungskonzept für eine solche Hausgemeinschaft soll nach den Sommerferien im Rahmen einer Info-Veranstaltung vorgestellt werden. Nächstes Jahr soll der vorhandene Gebäudekomplex umgebaut und erweitert werden.

Hinsenhofen erläutert: „Das Gebäude ist bereits erworben. Die Gespräche mit Trägern wie der Lebenshilfe und Caritas laufen zurzeit." Die Form der Genossenschaft habe man gewählt, um zu dokumentieren und zu gewährleisten, dass die Projekte – auch weitere – von „WIR" als Genossenschaft für nachbarschaftliche und soziale Wohn-, Pflege- und Stadtteilprojekte sozial und ökologisch nachhaltig und auf die Zukunft ausgerichtet seien.

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