Kreis Lippe. Mit einem raschen Griff Richtung Brust zieht Ingo Müller den Kragen seiner Windjacke zu. „Wird schon kälter morgens“, registriert der 73-Jährige das Aufziehen des Herbstes. Er muss es wissen, denn den Temperaturvergleich bekommt der Detmolder jeden Morgen zu spüren. Täglich, außer am Sonntag. Ingo Müller ist LZ-Bote, er bringt vor 6 Uhr die frisch gedruckten Nachrichten pünktlich ins Haus. Und zwar gerne und mit Enthusiasmus, wie Ingo Müller zum internationalen Tag des Zeitungsausträgers am Mittwoch betont.
Für die LZ tourt Müller seit zehn Jahren durch die östlichen Vororte Detmolds, mit seiner Hildesheimer Zeit zusammen kommt er auf mittlerweile 35 Jahre. Erfahrung bringt er wahrlich mit auf die Straße.
Entsprechend schnell gehen dem Rentner mit Zusatzverdienst die Griffe von der Hand: Am Verteilpunkt fischt sich der sportliche Detmolder (Tischtennis ist mehr als sein Hobby) das ihm zugedachte Paket Zeitungen raus. Er löst die über Kreuz gespannte Packschnur, zählt im Auto kurz: genug Zeitungen da, keine Änderungen gegenüber gestern.
Ab in die Dunkelheit
„Wenn jemand im Urlaub oder ein neuer Abonnent dabei ist, steht das auf dem Packzettel“, sagt Müller, während er den Zündschlüssel dreht. Los geht’s Richtung Dunkelheit, den LZ-Stapel griffbereit auf dem Armaturenbrett.
120 Zeitungen hat Ingo Müller in Spitzenzeiten verteilt; jetzt ist es weniger als die Hälfte. „Man wird ja nicht jünger“, betont der 73-Jährige, wie flexibel der Job für seine Kollegen und ihn ausfällt. Richtung Soccerpark quert eine grau-gestreifte Katze die Straße. „Marder, Katzen, Rehe, Dachse, Füchse - im Schutz der Nacht sieht man so einiges“, zählt der Zusteller auf, nichts ahnend, dass ein Fuchs auch heute dabei sein wird.
„Dame mit Teckel“
Die „Dame mit Teckel“, die Müller gerade erwähnt, gehört dagegen nicht zu den Kuriositäten: Sie kommt, wenn der Zeitungsbote seine nachrichtenstarke Fracht in die Zeitungsrolle schiebt, oft mit dem Hund raus. Gassigehen, dann Kaffee und die topaktuelle LZ: Routinen haben nicht nur die Zeitungsboten, sondern auch die Leser.

Eines ist dieses Jahr tatsächlich anders. Aufgrund der feuchten Witterung übernehmen die Nacktschnecken zu nachtschlafender Zeit vielerorts das Regiment. „Da muss man schon aufpassen, dass man nicht ausrutscht“, warnt Ingo Müller. Seine leistungsstarke Stirnlampe hat er bereits eingeschaltet, als er bei der „Dame mit Teckel“ ausgestiegen ist. Jetzt geht es eine schmale Anwohnerstraße hinauf, die LZ-Ausgaben für den Stichweg im Arm.
Außer Gefecht gesetzt
Eine Zeitung hier, eine dort gegenüber. Weiter geht’s durch eng geschnittene Heckenöffnungen, hinter ein Carport, Treppen rauf, Treppen runter. „Ich sehe das auch als bezahlten Frühsport“, bringt der fitte 73-jährige Detmolder echte Begeisterung mit. Als Knie und Hüft-OP ihn außer Gefecht setzten ... Nein, das war nichts.
Er liebt die Herausforderung, fällt ihm ein, als er zurück im Auto den Wagen Richtung Stadtrand steuert. Dunkelheit umschlingt den LZ-Express, der auf ein einsames Gehöft zusteuert. Auch hier sind die Nachrichten des Tages eine gern gesehene Ware, die aber ankommen muss. „Hier waren mal solch hohe Schneeverwehungen, dass man kaum durchkam. Denn wir sind ja unterwegs, bevor der Winterdienst unterwegs war“, sagt Müller.
„Bezahlter Frühsport“
Eine Herausforderung sind manchmal auch die CITIPOST-Briefe, die der 73-Jährige bis auf montags zusätzlich verteilt. Die geht auch an Adressen, die nicht unbedingt die LZ bekommen. „Da muss man dann anfangs schon ein bisschen gucken, bevor man alle kennt“, betont Müller, dem in „seinem“ Viertel so schnell niemand etwas vormacht. „Da setzt einer aus, da wohnt einer, der freitags und samstags liest“, deutet Müller auf eine Häuserreihe.

Der „bezahlte Frühsport“ halte fit und gesund, meint er. Den Rest an Abwehrkraft leiste sein eigener Honig, ist sich der leidenschaftliche Imker sicher. An einigen seiner Völker ist er bereits vorbeigekommen. An einigen seiner Kunden auch. Wer ihm am Vorabend ein leeres Glas rausstellt, bekommt am nächsten Tag ein volles - frei Haus.
Honigbrot als Belohnung
Auch sein obligatorisches Honigbrot schmeckt der fitte Rentner beim Schwärmen von Frühtracht, Sommer- und Waldhonig bereits auf der Zunge. Denn das gibt es nach der morgendlichen Tour, sobald Ingo Müller zurück in Heiligenkirchen ist. Dann liest er erst mal auch selbst, was in der Zeitung steht. Anschließend holt er eine Mütze Schlaf nach, ehe mit seiner Frau das zweite Frühstück auf dem Programm steht.
An Frühsport und Zusatzverdienst hat Müller dann schon den Haken gemacht. Doch nicht genug der Bewegung, beim TTS Detmold spielt der 73-Jährige außerdem Tischtennis. Im Ligabetrieb. Wie bei Urlaubsvertretungen, die er früher häufiger gemacht hat („Dann will man erst Recht alles richtig machen und keine Zeitung falsch zustellen“), legt er an der Platte gewisse Ambitionen an den Tag. „Schlägst du den 23-jährigen Nachwuchs mit 3:0, freust du dich schon“, muss er seinen immer noch existenten Ehrgeiz einräumen.
Tricks gegen die Kälte
Doch nun fährt er erst einmal rechts ran, greift sich den letzten Stapel Zeitungen. „Jetzt marschieren wir“, sagt er und bricht zum längsten Teil seiner Zustellroute auf. Mehrfamilienhäuser, drei Treppen runter für vier Zeitungen. „So etwas mögen wir Zusteller“, weiß Ingo Müller, der seinen Bezirk im Detmolder Osten sogar bei seinem Umzug nach Heiligenkirchen behalten hat. „Eine Herzensangelegenheit“, räumt der LZ-Bote ein.
Wie jeder seiner Kollegen, kennt er alle Tricks. Tricks, um die LZ-Ausgaben auch bei Regen möglichst trocken zu halten. Tricks, um den kürzesten Weg von A nach B zu finden. Wenn es im Winter richtig kalt ist, sortiert Ingo Müller die Postbriefe gerne in einer warmen Bankfiliale vor. „Dann bleiben die Finger möglichst lange warm.“
Wärmung von innen gibt es gerade in der kalten Jahreszeit natürlich auch. Eine Tüte mit Keksen oder ein Umschlag mit einem Trinkgeld als Dankeschön zu Weihnachten - das ist bei den meisten Abonnenten eine Selbstverständlichkeit und gern gesehen. „Ich freue mich über jede Anerkennung, dass ich das ganze Jahr über früh auf den Beinen bin“, sagt Müller, der weiter machen will, „solange ich es schaffe und es Spaß macht“.