Detmold. Er grüßt. Und schwatzt. Und winkt kurz. Und fasst den entgegenkommenden Bekannten/früheren Mitarbeitern/Stadtführern/Mitstreitern bei der Bürgerstiftung mit einem Lächeln kurz an den Arm. In Friedrich Brakemeiers zweitem Wohnzimmer, dem Marktplatz, herrscht ganz schön Trubel. So war er immer schon, der 81-Jährige, den der Rat an diesem Freitag vor 30 Jahren zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister der Stadt gewählt hatte. Sein damals gegebenes Versprechen „Ich will auch in Zukunft Ansprechpartner für alle Bürgerinnen und Bürger sein“ hat er ganz offensichtlich bis heute - längst aus dem Amt geschieden - gehalten. Kurzer Exkurs: Die Landesregierung hatte die Doppelspitze mit einem ehrenamtlichen Bürgermeister als Vorsitzendem des Rates und erstem Repräsentanten der Stadt sowie einem Stadtdirektor als Verwaltungschef zur nächsten Kommunalwahl abgeschafft, künftig sollten die Nordrhein-Westfalen ihre Bürgermeisterin oder ihren Bürgermeister direkt wählen. Da Stadtdirektor Axel Horstmann jedoch in die Landespolitik wechselte, war der Rat am Zug. Bürgermeister Brakemeier, in jenen Jahren Richter am Amtsgericht Blomberg, trat für die SPD an und bekam 31 Ja- und 17 Nein-Stimmen. Die CDU war zuvor mit ihrem Ansinnen gescheitert, bis zu dem Wahlen einen kommissarischen Verwaltungschef einzusetzen. Chef von 1000 Leuten Tags drauf war Brakemeier also nicht mehr lediglich ehrenamtlich, sondern nun hauptberuflich erster Bürger und in Personalunion Chef einer Stadtverwaltung mit rund 1000 Mitarbeitern. Heute spricht er von einem „Sprung ins kalte Wasser“, er habe sich freischwimmen müssen und sei den Leuten in seinem Stab dankbar, denen er habe vertrauen können. Das sei nur durch stets transparentes Handeln innerhalb der Politik, des Rathauses und nach außen gelungen. Eine „lange Schonfrist“ gestand ihm die LZ-Kommentatorin damals nicht zu, denn die Liste der unerledigten Arbeiten sei lang, schrieb sie, erwähnte die Zukunft des neuen Stadtteils im Norden nach dem Abzug der Briten oder den Unmut des Landschaftsverbandes, die Stadt möge doch bitte das Freilichtmuseum endlich besser anbinden - zwei Themen, die bis heute aktuell sind. Auf dem früheren Fliegerhorst stehen immer noch viele Kasernen leer, in Sachen Freilichtmuseum wird 30 Jahre später endlich gebaut. Der Altbürgermeister resümiert: „Ich hatte damals durchaus gedacht, wir werden die Mannschaftsunterkünfte nach dem Abzug der Briten eher los. Mit den Hangars und Werkstatthallen hat es aber schneller geklappt als gedacht.“ Damals sei er übrigens ganz froh gewesen, keine nächtlichen Beschwerden mehr über durch die Stadt rollenden Panzer hören zu müssen. Es braucht einen langen Atem Es zeigt sich also: Politik und Stadtentwicklung brauchen einen langen Atem, zuweilen über Jahrzehnte. Die Konsequenz vieler Entscheidungen von vor 20/30 Jahren zeigen sich heute immer noch. Friedrich Brakemeier ist stolz, dass die Schulen und die Kitas ausgebaut wurden, dass das Literaturbüro sich hier ansiedelte, das Jugendherbergswerk blieb, die Kontakte zum Theater und zur Musikhochschule verbessert wurden oder an der Emilienstraße Raum für die Hochschule entwickelt und so ihr Verbleib und sogar ihr Ausbau in Detmold gesichert wurde. In Gewerbesteuer, Studentenzahlen und Kubikmetern zu messende Errungenschaften verblassen für ihn jedoch hinter dem, was sein Antrieb für die Arbeit als Bürgermeister wie für das sich anschließende Engagement war und ist, und das sich nicht so einfach messen lässt: „Wir müssen im Kleinen alles dafür geben, dass sich ’33 bis ’45 nicht wiederholt“, sagt er aus tiefster Überzeugung über die Erinnerungskultur der Stadt, die sich etwa in den Gedenkstunden zum Pogrom der Schulen zeigt. Sein bewegendstes Erlebnis sei ein Besuch in Warschau gewesen, wo er mit einer städtischen Delegation war - 50 Jahre nach der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Getto unter dem Befehl des Detmolders Jürgen Stroop. Eine Überlebende sie auf ihn zugekommen und habe sich bedankt. Er habe die richtigen Worte gefunden. Es waren Worte von Schuld und von der Verantwortung, alles zu tun, dass sich solche Gräuel nicht wiederholen, sagt er. Mit Blick auf das Erstarken der extremen Rechten auch in Lippe eine Aufgabe, die aktuell sei wie selten zuvor. Im ersten Durchgang gewählt Die erste „reguläre“ Wahl zum Stadtoberhaupt durch seine Detmolder gewann er übrigens gegen vier Gegenkandidaten 1999 dann im ersten Wahlgang und gegen den SPD-Bundestrend - und obwohl er von vielen zum Sündenbock des „Hundert-Mark-Skandals“ Ende der Neunzigerjahre gemacht und sogar angezeigt worden war. Der Verwaltungsvorstand hatte jedem Rathaus-Mitarbeiter 100 DM extra gezahlt, weil ein für Belobigungen Einzelner vorgesehener Haushaltsposten von der Bezirksregierung klassiert worden war. Doch auch die 100 Mark für jeden, stattdessen überwiesen, waren nicht rechtens. Brakemeier schaffte es in die Bild-Zeitung und ärgert sich tatsächlich noch heute: „Das war der Tiefpunkt meiner Bürgermeisterzeit, und dabei hatte ich gewarnt.“ Dennoch: Er blickt auf „80-Stunden-Wochen“ zurück, die ihn erfüllt haben, Repräsentationstermine und Geburtstagsbesuche hat er sich auch als Rathauschef nicht nehmen lassen, das Ganze stets mit dem unabdingbaren Rückhalt der Familie, betont er wiederholt. Friedrich Brakemeier ist mit sich im Reinen. Und grüßt einen vorbeikommenden alten Bekannten, der mit Blick auf den Reporter fragt, ob er denn im Dienst sei. „In unserem Alter sind wir das doch immer.“ Und grüßt. Und schwatzt. Und winkt kurz.