Premiere am Grabbe-Haus in Detmold: Ein Kaleidoskop aus Nation, Flucht, Identität, Sprache

Detmold. Lässt sich ein Buch von 360 Seiten in knapp zwei Stunden mit vier Schauspielern auf die Bühne bringen? Eine Herausforderung. Das Landestheater mit Regisseur Branko &Scaron;imic hat sie angenommen. Am Sonntag hatte das Stück &bdquo;Herkunft“ nach dem Roman von Sa&scaron;a Stani&scaron;ic im Grabbe-Haus Premiere.

Sa&scaron;a Stani&scaron;ic, 1978 in Vi&scaron;egrad geboren, schildert sein Herkommen aus einem Land, das es heute nicht mehr gibt; seine jugoslawische Identität als Kind eines serbischen Vaters und einer bosnischen Mutter; seine Vorfahren und die weitverzweigte Verwandtschaft; seine Ankunft in Deutschland als vierzehnjähriger Flüchtling vor dem Krieg in Bosnien; sein schnell erfolgreiches Bemühen, Deutsch zu lernen, das einherging mit einem enormen Interesse an Sprache und Literatur. Am Ende überträgt er Gedichte von Eichendorff ins Serbokroatische. Stani&scaron;ic, der preisgekrönte Bestseller geschrieben hat, erzählt das alles in Montagen, Zeitsprüngen, inneren Monologen.

Das Stück ist eine Warnung Branko &Scaron;imic hat dieses Kaleidoskop für seine Bühnenfassung verdichtet und sich dabei an die Diktion und den Gang der Handlung des Originals gehalten. Die Kriege im zerfallenden Jugoslawien als Ursache für die Flucht nach Deutschland ziehen sich wie ein roter Faden durch Roman und Bühnenfassung. Der Nationalismus, &bdquo;der dazu führt, dass man andere Menschen ausschließt, bekämpft und tötet“, ist für &Scaron;imic ein genereller Grund für den Krieg, denn &bdquo;wenn nationalistische Ideologien Konjunktur haben, brennt der Balkan“. Er sieht in dem Stück eine Warnung, den zerstörerischen Kräften nicht nur auf dem Balkan entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen.

Den Protagonisten Sa&scaron;a, die einzige einfach besetzte Rolle, spielte als Gast sehr differenziert Antonije Stankovic, der außer Deutsch eine zweite Muttersprache hat: Er konnte serbokroatische Einsprengsel authentisch sprechen. Das laute Ungestüm des pubertierenden Jugendlichen gelang ihm ebenso wie leise, zärtliche Dialoge, in denen die Liebe zu seiner zunehmend verwirrten Großmutter spürbar wird.

Überzeugendes Schauspiel, wenig Requisite Die anderen drei Spielenden meisterten die Herausforderung, zwischen zahlreichen Rollen zu wechseln. Besonders Maja Grahnert als Sa&scaron;as Mutter, als seine Jugendliebe – nacheinander – Susanne und Rike, als gewitzt-burschikoser Verwandter Gavrilo, als etwas wunderliche Großmutter Nena Mejrema, die aus Bohnen die Zukunft liest, als Beamtin der Ausländerbehörde, die wenig Verständnis für den jungen Poeten aufbringt, und einige Charaktere mehr. Alexandra Riemann gab unter anderem höchst glaubwürdig die demente Oma Kristina.

Das überzeugende Spiel der rasch wechselnden Rollen kam mit knappen Requisiten aus wie Stock, Hut oder Brille. Finn Nachfolger nahm eine Art Erzählerrolle ein, die – nicht ganz plausibel – als DJ mit Glitzerboa angelegt war.

Für das Bühnenbild genügten Regisseur &Scaron;imic vor dem Hintergrund der Bruchsteinmauer im Grabbe-Haus einige wenige Accessoires – Tisch mit Laptop und der Leuchtschrift &bdquo;Herkunft“, eine apfelförmige Disco-Kugel an der Decke sowie Foto- und Filmprojektionen.

Wer Sa&scaron;a Stani&scaron;ics Roman mag, wird auch das Bühnenstück mögen. Das Premierenpublikum war begeistert.

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