Brillante Inszenierung von „Der Menschenfeind“ am Landestheater Detmold

Detmold. Minutenlanger Applaus, Standing Ovations – Molières &bdquo;Der Menschenfeind“ in der Inszenierung von Ekat Cordes hat dem Landestheater ein Spielzeit-Auftakt nach Maß im großen Haus geliefert. Das Publikum erlebte kraftvolles, witziges Theater mit knallbunten Bildern, schrillen Figuren, Degenduellen, Prügeleien, Sound- und Lichteffekten, Nebel und Musik- ein tiefer Griff in die Theaterkiste für das 1666 uraufgeführte Stück, das bis heute nichts an Aktualität verloren hat.

Klatsch und Tratsch unzensiert Die Handlung ist schlicht und schnell erzählt. Im Wesentlichen geht es in der grotesken Charakterkomödie nicht um das Geschehen, sondern vielmehr um das Zwischenmenschliche, um Schein und Sein in einer glitzernden Medienwelt, in der polierten Oberflächen wichtiger sind als Tiefe. Alceste (Leonard Lange) ist ein investigativer Journalist, der gerade ein kritisches Buch geschrieben hat. Er ist verliebt in Célimène (Ewa Noack), die so ganz anders ist als er, Geselligkeit liebt, viele Verehrer hat und das Flirten liebt. Sie ist Gastgeberin der Talkshow &bdquo;Célimène unzensiert“, in der sich die Prominenz auf ihrem Sofa Klatsch und Tratsch hingibt.

Da ist Alceste natürlich ein Fremdkörper, als ausgerechnet er sein Buch in der Show bewerben will, das die Machenschaften der Politik entlarven soll. Die bunte Medienwelt, Schmeichelei und Smalltalk sind ihm zuwider, die heuchlerische Gesellschaft sowieso. Da sitzt er als Außenseiter mitten im Wespennest, geht allen auf den Geist mit seiner radikalen Aufrichtigkeit und gilt schnell als &bdquo;Menschenfeind“.

Wer ist der wahre Menschenfeind? Aber ist er das wirklich? Oder sind es vielmehr die anderen, denen alles wirklich Wichtige gar nicht wichtig ist, so lange sie schöne Bilder auf Instagram posten? Und was ist mit Célimène selbst? Denn es wird immer klarer, dass es ihr ausschließlich auf die Quote ankommt. Das wird besonders deutlich, als die Polizei Alceste wegen seines Buches sucht und er zur Top News in den Nachrichten wird - da wird der abservierte Dauernörgler plötzlich wieder wichtig. Und er versteht, dass seine Geliebte eine Strippenzieherin ist, die Menschen als Trittbrett zum Erfolg benutzt – eine toxische Person und eine toxische Beziehung.

Hört sich bitter an und ist es auch. Aber in der knallbunten Inszenierung von Ekat Cordes darf auch ein bisschen Moral sein, wenngleich die nicht mit der Keule kommt, sondern dezent. Die multimediale Inszenierung passt sehr gut zum Setting, sorgt für jede Menge Spaß und Abwechslung: Da darf auch mal in Slowmotion gefochten und geprügelt werden, wunderbar. Überhaupt ist dem Landestheater mit der Verpflichtung von Cordes für die Gastinszenierung ein Glücksgriff gelungen. Er selbst wollte immer schon mal Molière inszenieren und liebt Komödien. Das spürt man in jeder Minute.

Spielfreudige Besetzung Ein Glücksgriff ist auch die Besetzung. In Molières Stück geht es um die scheinheilige höfische Gesellschaft seiner Zeit, Intrigen und Machenschaften. Das ist universell, und Cordes zeigt das auf – das Transferieren ins TV-Studio klappt hervorragend. Man gewöhnt sich schnell daran, dass zumeist in Versen gesprochen wird, weil sie mit Wortwitz glänzen und sich schon mal &bdquo;Alexandre“ auf &bdquo;Durcheinandre“ reimen darf.

Im schrillen Bühnenbild von Sita Messer, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, toben sich Akteure in bunten Kostümen mit jeder Menge Lust am Spiel durch das Stück. Da wurde auch auf Details wie gebleachte Zähne mit dem Einsatz von Schienen geachtet. Das Publikum im Theater wird zum Publikum der TV-Show, und in den Rängen muss es am Anfang erst mal &bdquo;Klick“ machen, um zu verstehen, dass der Techniker mit Headset (Hartmut Jonas) gar kein Bühnentechniker ist, sondern als Philinte zum Stück gehört – und am Ende eine wichtige moralische Rolle spielen wird.

Dazwischen lädt sich Célimène Politiker und andere einflussreiche Menschen ein, die ihr hilfreich sein können: zum Beispiel die drei Veneer-Träger Social Media Star Citandre (für den bei der Premiere erkrankten Emanuel Weber sprang Antonije Stankovic ein), Nachwuchspolitiker Acaste (Sebastian Zumpe) und seinen Vater Oronte (Patrick Hellenbrand). Auch die singende Verwandte Éliante (Stella Handheide) wird in der Show promoted wie die Busenfreundin und Hellseherin Arsinoé (Manuela Stüßer). Es sind dankbare und schrille Rollen, in denen eigentlich alle Schauspieler aus dem Vollen schöpfen, ohne klamaukig zu sein, und häufig für Szenenapplaus sorgen – insbesondere Patrick Hellenbrand als Oronte mit Frisur im Stil von Bela B. (Die Ärzte).

Eine Frau steht ihren Mann Leonard Lange hat es am Anfang nicht leicht, die Rolle des miesepetrigen und zunächst etwas blassen Alceste auf Anhieb zu etablieren – kein Wunder in dem Feuerwerk der Eitelkeiten und affektierten, überkandidelten Figuren, das ihn umgibt. Aber er spielt den aufrechten Alceste rasch nach vorne, lässt ihn toben und wüten und schreien. Auch Hartmut Jonas als schüchterner Bühnentechniker setzt sich dezent in dem kunterbunten Taifun auf der Bühne durch.

Ewa Noack brilliert und changiert als Célimène zwischen zuckersüßer Gossip-Queen und selbstbewusster Frau, die bei all ihrem scheinbar amoralischem auch verdeutlicht: Es geht nicht nur um den Kontrast zwischen Alceste und der Oberfläche. Es geht auch darum, dass sie in der Welt der Mächtigen als Frau ihren Mann stehen muss, dazu ihre Mittel wählt und sinngemäß auch mal sagen darf: Ihr macht mir hier alle den Hof, benutzt mich als Werkzeug und Instrument – was denkt ihr euch dabei, und für wen haltet ihr mich und euch?

Das alles wird am Ende mit minutenlangem Applaus quittiert und mit stehenden Ovationen. Sehr verdient.

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