Navid Kermani beleuchtet in Detmold die Krisen unserer Zeit

Detmold. Einen großen Andrang hat es am Sonntagabend im großen Saal der Stadthalle gegeben. Der Grund: eine Lesung und ein Gespräch mit dem renommierten Schriftsteller, Publizisten und habilitierten Orientalisten Navid Kermani. In seiner eindringlichen und vielschichtigen Art beleuchtete der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels die brisantesten Fragen unserer Zeit und zog das Publikum dabei in seinen Bann.

Eröffnet wurde der Abend von Jessika Keitel vom &bdquo;Forum Offenes Detmold“, bevor Pfarrer Dieter Bökemeier von der Lippischen Landeskirche als Moderator das Wort übernahm und mit Navid Kermani in den Dialog ging. Dieser stellte sein neues Buch &bdquo;Wenn sich unsere Herzen gleich öffnen – Über Politik und Liebe“ vor. Darin sind sechs seiner großen Reden und ein persönlicher Brief an seine Tochter gesammelt und geben einen facettenreichen Einblick in Kermanis Denken. Er verbindet darin literarische Passagen mit scharfsinnigen Analysen aktueller politischer Geschehnisse. Seine Reden sind ineinandergreifend mit persönlichen Erlebnissen und historischen und gesellschaftlichen Umbrüchen, die unsere Welt prägen. Im Gespräch mit Dieter Bökemeier zeigte Navid Kermani auf, wie globale Konflikte wie die Situation im Nahen Osten nicht nur abstrakte Schlagzeilen sind, sondern sich konkret in den persönlichen Schicksalen der Menschen widerspiegeln.

Die Würde des Menschen Die erste Passage die Kermani aus seinem Buch las, war eine Rede, die er anlässlich des Solidaritätskonzerts des Berliner Ensembles am 4. Juni 2024 gehalten hatte und die Bezug auf das erste Grundgesetz, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, nahm. Diese Rede beginnt mit einer ganz intimen und persönlichen Beschreibung der Leichenwaschung seines verstorbenen Vaters und führt weiter über die verlorene Würde der Menschenopfer des Holocaust, zu der Erkenntnis, dass die Würde nicht nur von uns selbst, sondern von jedem einzelnen Menschen unantastbar sein sollte. Im gemeinsamen anschließenden Dialog fokussierte Navid Kermani die Situation zwischen Israel und den Palästinensern und äußerte sich kritisch gegenüber der israelischen Kriegsführung. &bdquo;Die Kriegsgründe sind nachvollziehbar. Aber die Kriegsführung war auf Vernichtung und Vertreibung aus“, positionierte er seine Kritik. Die Waffenruhe sieht er dabei als einen unumgänglichen Schritt in Richtung Frieden, denn &bdquo;erst die Sicherheit bedingt die Unabhängigkeit der Israelis“.

Die Gefährdung der Demokratie Ein besonderes Augenmerk legte Navid Kermani auf die komplexe Lage im Nahen Osten. Mit seiner tiefen Expertise als Orientalist bot er Einblicke, die weit über tagespolitische Betrachtungen hinausgingen. Er sprach über die Ursachen von Feindschaft, die sich tief in historischen und kulturellen Narrativen verankert haben. Doch trotz der düsteren Szenarien vermittelte er eine Botschaft der Hoffnung – die Überzeugung, dass ein offener Blick auf das Gegenüber und der Mut zur Empathie Wege aus der verfahrenen Situation aufzeigen können.

Ein weiteres zentrales Thema des Abends war die Gefährdung demokratischer Werte. Den Abbau der Kultur sieht er dabei als ein großes Kernproblem. &bdquo;Demokratie braucht einen öffentlichen Raum. Doch der Abbau der Kultur, der in vielen Städten zu beobachten ist, führt zu einem Verlust von demokratischen Orten“, und bezog sich dabei auf die zweite Textpassage, die er an diesem Abend aus seinem Buch las. Dabei handelte es sich um eine Rede, die Navid Kermani am 6. September 2024 anlässlich der Eröffnung des &bdquo;Demokratie-Wochenendes“ des Gewandhausorchesters in Leipzig gehalten hatte, das unter dem Motto &bdquo;Vielstimmigkeit“ stand. Darin legte er den Fokus auf die Musik. &bdquo;Diese ermöglicht einen Raum, in denen wir uns nicht als Feinde ansehen“, erörterte er. Abschließend mahnte Kermani, die Bedeutung einer offenen und toleranten Gesellschaft nicht als selbstverständlich zu betrachten. In seinen Worten schwang die Sorge mit, dass populistische Strömungen die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts erodieren.

Ein Appell an die Menschlichkeit Der Abend war eine Gemeinschaftsveranstaltung, organisiert von der Buchhandlung Kafka & Co. in Zusammenarbeit mit der Lippischen Landeskirche und dem &bdquo;Forum Offenes Detmold“. Die Kooperation dieser unterschiedlichen Institutionen unterstrich die Relevanz von Navid Kermanis Themen über konfessionelle und weltanschauliche Grenzen hinweg.

Mit lang anhaltendem Applaus bedankte sich das Publikum für einen Abend, der weit mehr war als eine bloße Lesung. Es war eine intellektuelle Anregung und ein menschlicher Appell, die Hoffnung in schwierigen Zeiten nicht zu verlieren und sich aktiv für eine bessere Welt einzusetzen.

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