Premiere in Detmold: Kleists Krug zündet ohne Kostümprunk

Detmold. Ein mächtiger Mann, der seine Macht missbraucht, um seinen Trieb an einer jungen Frau auszuleben. Ein alter Bock, dem kein Mittel zu infam, keine Lüge zu dreckig ist, um ans Ziel zu kommen.

Das ist der Dorfrichter Adam in Heinrich von Kleists Komödie &bdquo;Der zerbrochne Krug“. Das Landestheater hat im Sommertheater Premiere gefeiert.

Ganz ohne historische Ausstattung Die Inszenierung von Katrin Hentschel zeigt: Es braucht keinen Realismus auf der Bühne, es bedarf keiner auch nur andeutungsweise historischen Ausstattung – die Bühne ist fast leer, die Gewänder von Jule Dohrn-van Rossum sind alle groß kariert, nur der Revisor trägt einen Anzug mit Längsstreifen. Kleists Sprache, sein Witz, seine dramatische Dynamik wirken furios, vorausgesetzt, man hat Schauspieler wie diese.

Patrick Hellenbrand ist ein begnadeter Komödiant: Der Richter, der sich auf abschüssiger Bahn immer tiefer in seine Schandtaten und kruden Unwahrheiten verstrickt, bis endlich klar ist – der Zuschauer weiß oder ahnt es längst –, dass er der Übeltäter ist, der nicht nur den kostbaren Krug, sondern auch etwas in der Seele der jungen Eve zerbrochen hat.

Dabei hampelt er, eine lächerliche Figur, so komisch durch das Geschehen, verstößt so grob und dumm gegen die Regeln und Gepflogenheiten eines ordentlichen Gerichtsverfahrens, dass er am Ende wegen Unfähigkeit vom Amt suspendiert wird.

Es geht um männlichen Machtmissbrauch Stella Hanheide gibt den klugen und integren Gerichtsschreiber mit dem sprechenden Namen Licht. Eine attraktive Frau, kein Zufall: Es geht um männlichen Machtmissbrauch, es geht um eingefahrene Geschlechterrollen. Die Schreiberin, die am Ende in der Nachfolge ihres trampeligen Chefs Dorfrichterin wird, ist kühl, korrekt und zeigt überlegen lächelnd, dass sie als Frau es besser kann.

Gerichtsrat Walter (Leonard Lange), der die Rechtspflege auf dem Land revidiert und dazu unangekündigt erscheint, ist anfangs ganz der unbestechliche und kompetente höhere Beamte. Sehr bald ahnt er, wie es um die Fähigkeiten und den Charakter des Dorfrichters bestellt ist.

Doch dann lässt er sich von Adam einwickeln, verschwindet zwischendurch mit ihm im Weinkeller, und der Zuschauer hört nur, was von dort nach außen dringt. Dann kommen die beiden Herren alkoholisiert zurück; Walter muss sich sehr zusammenreißen, um weiterhin seines Amtes zu walten. Ein etwas schräger Regieeinfall, der wohl zeigen soll: Auch der Vorgesetzte des Korrupten ist korrupt. Das bleibt jedoch ein kurzes Intermezzo.

In verzweifeltem Irrglauben Manuela Stüßer als Marthe Rull, die Besitzerin des Kruges und Mutter der bedrängten Eve, steht auf ihre Weise dem Dorfrichter in nichts nach. Auch sie eine großartige Komödiantin: Laut, zornig, temperamentvoll schildert sie ihre Geschichte mit dem unersetzlichen Krug, in dem verzweifelten Irrglauben, ihr künftiger Schwiegersohn habe das kostbare Stück zerstört und ebenso die Ehre ihrer bis dahin unbescholtenen Tochter.

Und dieser künftige Schwiegersohn, arme Ruprecht (Elias Nagel), der nichts dafür kann und glauben muss, seine Verlobte sei ein Flittchen, ist ein nervöser, zerrissener junger Mann, dem man ansieht, wie groß seine Liebe zu Eve und wie tief er verletzt ist.

Und Eve? Die nichtbinäre Schauspielperson Finn Nachfolger verkörpert das junge Mädchen, das sich bis zum Ende nicht traut, die Wahrheit zu sagen. Das tut Eve schließlich in einer berührenden, leisen Szene, in der sie das Eindringen des Dorfrichters in ihre Kammer schildert.

Drei große Leuchtbuchstaben spielen in dieser Inszenierung eine Rolle: W, U, T. Sie stehen manchmal auf dem Kopf, am Ende aber wird aus &bdquo;WUT“ das Wort &bdquo;MUT“. Das Publikum könnte nun, gut unterhalten und nachdenklich, mit einer klaren Botschaft nach Hause gehen. Das Stück könnte zu Ende sein.

Komödie wird zum Proklamationstheater Ist es aber nicht: Es folgt noch einen Monolog zum Thema Gewalt gegen Frauen und Transpersonen. &bdquo;Die Scham muss endlich die Seite wechseln!“, sagt Finn Nachfolger und klagt die Struktur an, welche die Täter und Täterinnen (ja, auch die!) schützt. &bdquo;Wir wälzen die Verantwortung nur auf das Opfer ab“, hört man, und das &bdquo;Wir“ soll offenbar alle einschließen. Noch immer bekämen die Betroffenen zu hören: Warum hast du nicht Nein gesagt?

Alles richtig, alles wichtig. Dennoch: Schade, dass die Inszenierung nach dieser sprühenden Komödie zum Proklamationstheater wird. Ja, es geht um Machtmissbrauch. Ja, das ist leider beklemmend aktuell. Aber ein Theater, das moralische Richtigkeiten mit so dickem Pinsel aufträgt, verfehlt sein Eigentliches: Dem Publikum mit Schauspielkunst eine Geschichte zu erzählen. Und die Schlüsse daraus dem Publikum zu überlassen.

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