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Scharfrichter tötet einen Ziegenbock

Hinrichtung vor 368 Jahren auf dem Detmolder Marktplatz

Von Rolf Schönlau

Öffentliche Hinrichtung eines Ziegenbocks - © Detmold
Öffentliche Hinrichtung eines Ziegenbocks (© Detmold)

Detmold. 12. November 1644: Ein Ziegenbock tötet den jungen Simon Ludwig Tilhennen. Das Unglück ereignete sich zwischen 15 und 16 Uhr. Der Ziegenbock lief, so heißt es in einer Archivalie aus dem Landesarchiv, in das Haus der Familie Tilhennen und "stieß den Sohn so gefährlich und jämmerlich", das dieser innerhalb einer halben Stunde verstarb.

Zur Strafe wird das Tier zum Tod durch das Beil verurteilt: "Es soll der Ziegenbock vom Scharffrichter auff den offenen Markt zu Detmoldt geführt vndt daselbst eine Zeitlang, von einer virtell stunde gebunden gehalten." Danach sollte kund getan werden, was es damit für eine Bewandnis hatte. Und um ein Exempel zu statuieren, sollte der Bock danach mit einem Beil hingerichtet werden. Es heißt: "derowegen Er befhelicht wehre, demselben zu abschewlichen Exempel mit einem beill den halß abzuhawen, vndt etzliche stiche hin vndt wieder durch den leib zu thuen".

Öffentliche Hinrichtung: Durch den Scharfrichter sollte das Böse, das sich auch in einem Ziegenbock zeigen konnte, auf dem Detmolder Marktplatz aus der Welt geschafft werden. - © Zeichnung: Rolf-Dieter Jendretzky
Öffentliche Hinrichtung: Durch den Scharfrichter sollte das Böse, das sich auch in einem Ziegenbock zeigen konnte, auf dem Detmolder Marktplatz aus der Welt geschafft werden. (© Zeichnung: Rolf-Dieter Jendretzky)

Solche Schauprozesse gegen Tiere waren keine Einzelfälle. Berichte über ähnliche Vorgänge in Mittelalter und früher Neuzeit kommen aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Flandern und Norditalien. Im französischen Lavegny wurde 1457 eine Sau mit ihren sechs Ferkeln angeklagt, ein Kind ermordet und gefressen zu haben. Die Sau wurde zum Tode verurteilt, die Ferkel dagegen auf Grund ihrer Jugend und weil das Muttertier ihnen ein schlechtes Vorbild gewesen sei, freigesprochen.

Vor dem bischöflichen Gericht in Lausanne gab es von 1452 bis 1519 eine Prozessserie gegen Maikäfer, die die Ernte beschädigt hatten. Man ernannte einen Prokurator, der die Tiere vor Gericht zitierte. Bei der Urteilsverkündung wies der Richter einige Exemplare der Schädlinge an, aus der Gegend zu verschwinden. Sollten sie gegen die Auflage verstoßen, werde ihnen weiter der Prozess gemacht.

Noch 1688 veröffentlichte ein französischer Advokat in Savoyen ein Musterformular für Tierprozesse. Was aber nicht bedeutet, dass Maikäfer, Schweine und Ziegenböcke zu dieser Zeit schuldig gesprochen wurden wie Menschen, die im Gegensatz zu Tieren ein Unrechtsbewusstsein besitzen.

Die Rechtshistorikerin Prof. Dr. Eva Schumann (Universität Göttingen) bezieht sich in einem Aufsatz auch auf den Detmolder Fall von 1644. Sie betont, dass Tiere damals genauso wenig wie heute Rechtssubjekte waren, die für ihre Taten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden.

Den Richtern werde es vielmehr darum gegangen sein, das Böse, das sich eben auch in einem Ziegenbock zeigen konnte, aus der Welt zu schaffen. Darum machte man dem Tier einen Prozess mit allem, was dazugehörte - Anklage, förmlichem Urteil und öffentlicher Vollstreckung durch den Scharfrichter.

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