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So kämpft sich Fabian nach dem Messerangriff zurück ins Leben

19-Jähriger spricht nach dem Prozess gegen die Eltern seiner Ex-Freundin über seine Gesundheit, Albträume und seine Zukunftspläne

Von Seda Hagemann

Fabian kämpft sich zurück ins Leben - © Horn
Fabian kämpft sich zurück ins Leben (© Horn)

Horn-Bad Meinberg. Die Narben an Kopf und Oberkörper von Fabian S. sind sieben Monate nach dem Messerangriff durch die Eltern seiner Ex-Freundin deutlich verblasst, seine seelischen Wunden heilen hingegen nur langsam. Der 19-Jährige kämpft jeden Tag aufs Neue mit den Folgen der Tat. Ein Gespräch über Albträume, die Zukunft und den Wunsch nach Normalität.   

Der Bahnhof in Horn ist für die meisten Menschen kaum eine Erinnerung wert. Weder hübsch, noch besonders einladend, eben ein typischer Durchgangsort. Bis zum Nachmittag des 14. Juni 2013 galt das auch für Fabian. Danach wurde es zu dem Ort, an dem er beinah getötet worden wäre. "Ich habe dennoch kein schlechtes Gefühl dort. Eher auf dem Aldi-Parkplatz, wo ich später blutüberströmt zusammengebrochen bin. Da halte ich mich noch immer von fern", erzählt er. Er könne sich noch genau an alle Einzelheiten der Tat erinnern. Die Eltern, die aus dem Auto springen. Die Prügel der hysterischen Mutter seiner Ex. Das rote Cutter-Messer, das plötzlich vor seinem Auge aufblitzt. Das Blut, das an seinem Körper herunterläuft.

Am Horner Bahnhof wurde Fabian S. von den Eltern seiner Ex-Freundin mit einem Messer attackiert. - © Archivfoto: LZ
Am Horner Bahnhof wurde Fabian S. von den Eltern seiner Ex-Freundin mit einem Messer attackiert. (© Archivfoto: LZ)

Wegen versuchten Totschlags wurde das türkischstämmige Ehepaar im Dezember zu Haftstrafen verurteilt. Der 38-jährige Vater muss für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis, die Mutter des Mädchens für vier Jahre. Sowohl die Anklageseite als auch die Verteidigung hatten nach dem Urteil Revision angekündigt.

Zehn Minuten nachdem er im Krankenhaus zu sich kam, sah er sein Gesicht das erste Mal im Spiegel. "Es ist wirklich kaum zu glauben, dass das Ergebnis mittlerweile so ist, wie es ist." Der kühle, sachliche Ton, mit dem der 19-Jährige über den Tag spricht, verursacht Gänsehaut. Vielleicht hilft sie Fabian mit dem Erlebten umzugehen. "Ich kann mich bisher nur an einen Albtraum erinnern, den ich einige Monate später hatte. Ich wachte dann nachts auf, war wie erstarrt, konnte mich überhaupt nicht bewegen und hatte Panik", erzählt der 19-Jährige.

Viel mehr würden ihn die körperlichen Folgen belasten, sagt er. Immer wieder habe er Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, sehe Doppelbilder. "Das kann mir mitten auf der Straße passieren. Dann kippe ich einfach um. Das ist schrecklich." Sein linkes Ohr ist seit der Tat taub. Der Schnitt von der linken Wange bis zum Hinterkopf habe wichtige Nerven und Arterien verletzt, erklärt er. Außerdem leide er an ständiger Müdigkeit.

"Das hat mit der Depression zu tun", ist sich Fabians Mutter sicher. Sie lässt ihren Sohn nur noch ungern aus den Augen, macht sich Sorgen um ihn. "Ich bin nervlich am Ende", sagt sie. Kaum eine Nacht habe sie mehr durchschlafen können. "Wenn ich Rettungswagen höre, habe ich Panikattacken und greife sofort zum Telefon, um Fabian anzurufen." Sie möchte endlich wieder Ruhe und Normalität in ihrem Leben. "Wir wollen mit der Geschichte abschließen", sagt sie. Sie fühlt sich in Horn nicht mehr wohl, überlegt sogar ihr Haus zu verkaufen und woanders einen Neuanfang mit ihrem Sohn zu machen.

"Wir haben am Haus Kameras installiert. Wenn die nicht wären, könnte ich kein Auge zumachen", sagt sie. Für sie ist der Gang durch die Stadt sehr oft ein Spießrutenlauf. Sie werde nach wie vor immer wieder auf die Tat angesprochen. "Neugier, Beileid, Anfeindungen und Sticheleien - die Reaktionen sind unterschiedlich." All das belastet sie. Sie hofft, dass ihr Gang in die Öffentlichkeit dem Gerede ein Ende macht. "Es reicht", sagt sie mit fester Stimme.  

Fabian ergeht es in der Öffentlichkeit oft genauso. "Ich bin das Highlight auf jeder Party", meint er sarkastisch, "wenn ich irgendwo hinkomme, dann gaffen mich alle an. Ich bin halt interessant." Dennoch geht er raus. Er war mit Freunden auf dem Schlänger Markt und auch schon in Bielefeld. Er ist vorsichtig und aufmerksam draußen, "immer wach im Kopf". Das alles gehöre nun zu seinem Leben. "Du kannst dich nicht auf Dauer verstecken und alles in dich reinfressen", sagt er.

Die Sätze wirken wie aus einem Ratgeber. Fabian meint sie allerdings ernst. Er will nach vorne blicken, trotz Narben, trotz Schmerzen, trotz des Geredes im Dorf. "Das ist oft einfach primitives, dummes Gelaber", sagt Fabian. Kontakt zu seiner Ex-Freundin hat er seither nicht gehabt. Natürlich begegne er ihren Familienmitgliedern manchmal beim Einkaufen. "Die drehen den Kopf weg und ich auch."

Was gibt ihm die Kraft optimistisch zu sein? "Rico, mein Golden Retriever", sagt Fabian und lächelt wie ein normaler Jugendlicher. "Er ist für mich da, hört mir zu. Wir verbringen viel Zeit miteinander." Der Kontakt zu seinen Freunden ist ihm genauso wichtig. Von ihnen bekommt er viel Unterstützung und Zuspruch. "Jeden Tag habe ich Nachrichten auf Facebook und bekomme SMS. Die allermeisten sind positiv, der Rest ist mir egal", behauptet er. Auch seine türkischen Freunde halten weiter zu ihm. "Meinem damals besten Freund vertraue ich auch heute noch blind", sagt er ernst. Dessen Familie habe die ganze Zeit zu ihm gehalten, auch während des Prozesses.

Den hat er im Gerichtssaal mitverfolgt, saß selbst auf dem Zeugenstuhl. "Vor dem Prozess war ich ruhig und nicht aufgeregt", sagt er. Sein Anwalt Alexander Alers habe ihn zwar auf die Befragung vorbereitet, aber was am zweiten Prozesstag passierte, damit habe er nicht gerechnet. "Die Anwälte haben mich beleidigt und verhöhnt. Ich hatte das Gefühl, ich werde hier auseinander genommen", erinnert sich Fabian.

Immer wieder sei er auf Drogen und Gewalt gegenüber seiner Ex-Freundin angesprochen worden. Das habe ihn tief getroffen. "Man muss sich damit zufrieden geben, dass ich nicht der Täter bin", betont er sachlich. "Alle Anschuldigungen haben sich ja auch als falsch herausgestellt", meint er. Sein Anwalt bestätigt dies ebenfalls. "Alle vor Gericht angebrachten Anschuldigungen haben sich für das Gericht als falsch herausgestellt. Für ihn sei das Urteil niederschmetternd. Sein Anwalt hat Revision eingelegt und will eine Verurteilung der Täter wegen versuchten Mordes anstreben.

Fabians Wünsche für die Zukunft sind bescheiden. "Ruhe vor den Menschen und Gesundheit. Eine neue Ausbildungsstelle werde ich mir suchen, vielleicht im Kfz-Bereich", sagt er.

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