Horn-Bad Meinberg. Die türkische Familie Ünal hat am Sonntag in Horn mit rund 200 Verwandten eine XXL-Grillparty gefeiert. Für die LZ ein Anlass, ein Beispiel gelebter Integration fernab von Sonntagsreden nachzuzeichnen.
Sirvan Ünal ist das, was man hierzulande wohl als einfachen Mann bezeichnen würde. 53 Jahre alt, Arbeiter, türkisches Familienoberhaupt, ein bisschen patriarchalisch - im Grunde konservativ. Aber das ist nur der erste Eindruck.

Sirvan Ünal ist der Mann, der hinter der riesigen Familienfeier steht. Er hat alle eingeladen und dafür gesorgt, dass an diesem 10. Mai kein Ünal heiratet „oder womöglich krank wird“, wie er scherzhaft sagt. Und ganz nebenbei verkörpert er eine Geschichte, die viel über das Einwanderungsland Deutschland aussagt.
„Wir vermissen hier das Meer“, sagt Sirvan Ünal. Er blickt dabei auf seine vielen Poster und Postkarten aus Ayaz, einem Dorf im Stadtteil Türkeli der Stadt Sinop – der eigentlichen Heimat der Ünals am Schwarzen Meer. In Ayaz leben nach Auskunft von Sirvan Ünal etwa 650 Ünals. Der gewählte Ortsvorsteher heißt Adem Ünal. „Das ist unser Dorf“, sagt Sirvan Ünal schlicht.
In einigen Straßenzügen von Horn ist das nicht viel anders. Als erster kam der im vergangenen Jahr verstorbene Kamil Ünal nach Horn. Das war 1967. „In Sinop gab es zu der Zeit praktisch keine Industrie, also auch keine Arbeit für uns“, sagt Sirvan Ünal, der 1979 ausgewandert ist. „Wir haben uns für Horn entschieden, weil das wegen der Firma Hornitex einfach nahe lag.“
Hintergrund: In den 1930er- und 1940er-Jahren war in der türkischen Heimat Sinop die Holzindustrie stark. Die Ünals brachten also eine gewisse Erfahrung mit nach Horn. Faktisch haben alle Ünals bei dem mittlerweile von der Glunz AG aufgekauften Unternehmen Hornitex gearbeitet – insgesamt mehr als 100, wie Sirvan Ünal einmal ausgerechnet hat. Er selbst arbeitete 26 Jahre für den Spanplattenhersteller, bis ihn ein Schlaganfall ereilte und er berufsunfähig wurde.
„Damals war das schon ein bisschen wie in einer Parallelgesellschaft“, erinnert sich Sirvan Ünal. „Wir haben hier in Horn unser eigenes Leben geführt und auch gar keinen Anlass gesehen, Deutsch zu lernen.“ Sirvan Ünal benutzt auch heute noch die deutsche Sprache nur, wenn es nicht anders geht. Seine Frau Münevver, ebenfalls 53, versteht zwar die deutsche Sprache, spricht sie aber gar nicht. Heute ärgert sie sich darüber, dass man ihr die Sprache nicht beigebracht hat. Wenn die Ünals Besuch aus Deutschland empfangen, muss meistens Sohn Fatih Ünal (27) oder eines seiner vier Geschwister übersetzen.
Eine mustergültige Integration mag das nach deutschem Verständnis vielleicht nicht sein. „Aber das war halt damals so“, sagt Sirvan Ünal. Trotz des Sprachmangels sind die Ünals allerdings mindestens so deutsch wie die meisten anderen Lipper. Sirvan Ünal beispielsweise ist ein Vereinsmensch. Er ist seit 15 Jahren Mitglied von „Rauchfreies Leben e.V.“ – weil er damals einen Freund an den Lungenkrebs verloren hatte. „Ich habe mittlerweile 1500 Menschen vom Nichtrauchen überzeugt“, sagt er heute stolz.
Sohn Fatih Ünal steht kurz davor, seine Lehre als Verwaltungsfachangestellter bei der Stadt Horn zu beenden und engagiert sich nebenbei bei der SPD. „Horn ist für uns Heimat“, sagt er. So ist die Geschichte des Fußballvereins TSV Horn ohne die Ünals gar nicht denkbar.
Der Familienclan
In Horn leben 38 Familien aus dem Hause Ünal – jeweils Vater, Mutter und im Schnitt drei Kinder. Die Auswanderer aus der türkischen Stadt Sinop sind vergleichsweise einflussreich. Nach Auskunft der Ünals leben in Europa etwa 100.000 Menschen aus Sinop, 30.000 bis 40.000 aus dem Stadtteil Türkeli. Sie sind organisiert in dem Verein Asider, einem kulturellen und sozialen Hilfeverein (www.asider.de). Diesem Verein ist es zum Beispiel gelungen, zwei Millionen Euro einzusammeln und davon in Sinop eine Universität zu bauen.