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Verschollene Piloten stürzten 1945 über der Egge ab

Benjamin Marquardt

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Fliegerasse: Wing Commander Richard Angelo Mitchell (links) und Lieutenant Stanley Harry Hatsell vor ihrer „Mosquito". Beide galten als erfahrene Soldaten. - © Repro: Privat
Fliegerasse: Wing Commander Richard Angelo Mitchell (links) und Lieutenant Stanley Harry Hatsell vor ihrer „Mosquito". Beide galten als erfahrene Soldaten. (© Repro: Privat)

Detmold/Horn-Bad Meinberg. Seit Stunden schon fliegen Wing Commander (Oberstleutnant) Richard Angelo Mitchell und sein Navigator Lieutenant Stanley Harry Hatsell über feindlichem Territorium. Das sonore Brummen beider Motoren des Mosquito-Nachtjägers der Royal Air Force (RAF) ist das einzige Geräusch. Es ist der 17. März 1945.

Am Abend jenen Tages sind sie um 19.45 Uhr im belgischen Koksijde zu ihrer Aufklärungsmission gestartet. Das Ziel: Deutschland. Mitchell lässt seinen Blick über die Armaturen wandern. Alle Systeme des Flugzeugs arbeiten korrekt. Da bleibt sein Blick an der Borduhr hängen: Gleich Mitternacht. Ein neuer Tag in diesem Krieg, der schon viel zu lange dauert, steht bevor.

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    Auf den Internetseiten spurensuche-owl.de sowie airwarhistory.com sind weitere Absturzorte zusammengetragen. Dort sind für Lippe allein 20 Abstürze aufgeführt, die meisten davon Bomber.

Gerade überfliegen sie eine Region mit dem Namen "Lippe", unter ihnen ist in der Dunkelheit das fahle Band einer Straße zu erkennen, die eine Spur heller als ihre Umgebung ist. Plötzlich sehen sie ein Objekt auf der Straße. Mitchell drückt die Maschine tiefer, um besser sehen zu können. Kein Zweifel: Dort unten ist ein feindliches Fahrzeug.

Die Mosquito geht zum Angriff über, Mitchell nimmt das Fahrzeug ins Visier, drückt auf die Auslöseknöpfe der Bordwaffen am Steuerknüppel. Dumpf dringen die Abschussgeräusche in die Kanzel, die Maschinenwaffen im Bug des Flugzeuges lassen den Rumpf leicht vibrieren. Plötzlich spürt er Einschläge in der Maschine, Glas-, Metall- und Holzsplitter verteilen sich im Cockpit, Mitchell spürt wie er getroffen wird. Ihm drohen die Sinne zu schwinden, mit letzter Kraft versucht er das Flugzeug aus dem offensichtlich feindlichen Beschuss zu drehen. Da bemerkt er, wie die Maschine etwas berührt – dann nichts mehr.

So könnte es gewesen sein, als die britische Mosquito am 18. März zwischen Horn und Kohlstädt abstürzte. Was genau geschehen ist, wird sich wohl nie ganz aufklären lassen. Erwiesen ist nur, dass die Maschine ein Fahrzeug der Wehrmacht angriff und kurz darauf abstürzte.

Zwei Vermutungen

Der Finder der Maschine, ein Hobbyhistoriker aus Detmold, hat jedoch zwei Vermutungen. "Möglich ist, dass der Pilot zu einem zweiten Angriff beidrehen wollte und sich dabei im Dunklen in der Höhe verrechnete", erzählt er. Dagegen würden jedoch mehrere Fundstücke sprechen, die er am Absturzort bergen konnte.

"Ich habe Teile des Cockpits gefunden, die Einschusslöcher aufweisen, diese könnten von Infanteriewaffen stammen." Daher vermutet der Hobbyhistoriker, dass die deutschen Soldaten auf dem Fahrzeug, einem Lkw, das Feuer erwiderten und per Zufall die Flieger im Cockpit trafen. Diese verloren dann die Kontrolle über ihr Flugzeug und schlugen im Wald auf.

Verschiedene Uniformstücke der 605. Staffel. - © Bernhard Preuss
Verschiedene Uniformstücke der 605. Staffel. (© Bernhard Preuss)

Dass es sich um einen Pilotenfehler handelt ist um so unwahrscheinlicher, wenn man sich die Biografien der beiden Besatzungsmitglieder Mitchell und Hatsell ansieht. Die konnte der Detmolder durch verschiedene Quellen recherchieren, während er in England arbeitete. Dortige Freunde besorgten ihm die Einsatzberichte der 605. Staffel von 1945. Damit und mit den Absturzlisten des Jäger-Kommandos konnte er die Identität der Piloten lüften.

Mitchell und Hatsell wurden als "hotshots", als Fliegerasse bezeichnet. Beide flogen seit Juli 1944 zusammen und hatten sich zuvor jeweils in zahlreichen Einsätzen bewährt. Mitchell hatte bereits 1942 im Mittelmeer bei der Verteidigung des damals britischen Malta gegen deutsche und italienische Luftangriffe geholfen. Er war außerdem Träger der höchsten Auszeichnung der RAF, dem Distinguished Flying Cross, dass im Juli 1944 ebenfalls an Hatsell verliehen wurde.

Seit 1943 flogen er und Hatsell bei der 605. Staffel, zu deren Kommandeur Mitchell im Februar 1944 ernannt wurde. "Beide werden in Berichten als herausragende Soldaten und Flieger beschrieben, die zu jeder Zeit einsatzfreudig ihre Pflicht erfüllt hätten", berichtet der Detmolder Finder, der viele historische Dokumente der 605. Staffel zusammengetragen hat.

Im Einsatzbuch ist auch der Start am 17. März eingetragen. Unter dem 18. März findet sich der Eintrag: "Noch nicht zurückgekehrt." Später wird berichtet, dass die Staffel tief bestürzt war über den Verlust ihres kommandierenden Offiziers – und das gleich beim ersten Einsatz von einem neuen Flugfeld in Belgien. "Offenbar hoffte die Staffel noch einige Zeit, dass Mitchell und Hatsell sich retten konnten und noch lebten. Das zeigen Eintragungen in dem Einsatzbuch", so der Finder des Wracks. Erst später setzte sich die Erkenntnis durch, dass die beiden wohl tot waren. Die Maschine galt seitdem als vermisst.

Zwei Gräber mit den Namen der Piloten

Die "Gräber" der beiden Piloten. - © Privat
Die "Gräber" der beiden Piloten. (© Privat)

Merkwürdig wurde es allerdings, als er die Commonwealth War Graves Commission informierte. Die für Betreuung von Kriegsgräbern von Commonwealth-Soldaten zuständige Behörde teilte ihm mit, dass es auf dem alliierten Kriegsgräber Friedhof in Hannover, zwei Gräber mit den Namen der Piloten der verschollenen Mosquito gebe.

"Aber wie konnte das sein: Wenn die Maschine vermisst war, wie konnte dann die Besatzung beerdigt sein?", wunderte sich der Detmolder Hobbyhistoriker. Handelte es sich um Grabsteine oder um Gedenksteine? Oft kam es vor, dass ums Leben gekommene alliierte Flieger während des Krieges zuerst in Deutschland beerdigt und nach 1945 umgebettet wurden.

"Doch auch hier lief ich in eine Sackgasse, ebenso bei all meinen anderen offiziellen Anfragen bei Behörden in Deutschland, Belgien und Großbritannien. Mehrmals wurde ich vertröstet", erinnert er sich. Den gesamten Schriftverkehr hat er in einem Ordner festgehalten.

Da die Lage nach wie vor unklar ist, ist die Absturzstelle seiner Meinung nach ein unregistriertes Kriegsgrab – weswegen die LZ auch keine genauen Angaben zum Fundort macht. "Ich möchte die Sache am liebsten damit abschließen, in dem ich eine offizielle Genehmigung erhalte, für diese beiden Soldaten einen Gedenkstein in der Nähe der Absturzstelle zu errichten."

Abstürze in Lippe

Der Luftkrieg über Deutschland forderte während des Zweiten Weltkrieges unzählige Opfer unter den beteiligten Luftstreitkräften. Heute, 72 Jahre nach Kriegsende, sind viele dieser Absturzorte in Vergessenheit geraten. Selbst im beschaulichen Lippe sind etliche Flugzeuge abgestürzt.

Ein Bericht vom 15. Juli 1970 zu einem Flugzeugangriff im Jahr 1940. - © LZ-Archiv
Ein Bericht vom 15. Juli 1970 zu einem Flugzeugangriff im Jahr 1940. (© LZ-Archiv)

Meist befanden sich diese Flugzeuge auf dem An- oder Abflug von Luftangriffen. So auch im Oktober 1943, als ein britischer Handley Page Halifax-Bomber auf dem Rückflug von einem Angriff auf Kassel durch einen deutschen Nachtjäger abgeschossen wurde. Die Maschine explodierte zwischen den Extertaler Ortsteilen Silixen und Kükenbruch in der Luft. Drei Mann der siebenköpfigen Besatzung gelang es zuvor, sich mit dem Fallschirm zu retten.

Ebenfalls im Oktober 1943 stürzte eine weitere Halifax auf dem Rückflug von einem Luftangriff auf Hannover bei Blomberg ab, wobei die gesamte Besatzung ums Leben kam. Auch die Amerikaner, die im Gegensatz zur Royal Air Force auf Tagesangriffe setzten, verloren Maschinen über Lippe. Dazu gehörten zwei Boeings B-17 "Flying Fortress" (dt. Fliegende Festung), die im Januar 1944 bei Horn sowie Laubke (Lemgo) von deutschen Jägern abgeschossen wurden. Beide Maschinen waren bei einem Angriff auf Oschersleben beteiligt.

Während beim ersten Fall die gesamte Besatzung noch vor dem Absturz abspringen konnte, starben bei der zweiten B-17 alle zehn Männer beim Aufprall ihrer Maschine. Wie viele Flugzeuge tatsächlich noch im Boden liegen, lässt sich nur schwer sagen, wie das Beispiel der Mosquito zeigt.

Zum Herunterladen
  1. Engländerin besucht Absturzstelle ihres Verlobten

Die weiteren Teile "Detmolder findet mysteriöse Karte und ein verschollenes Flugzeug" und "Das machte Lippe für ein britisches Aufklärungsflugzeug interessant" sind in unserem Plusbereich verfügbar.

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