Horn-Bad Meinberger muss sich wegen Volksverhetzung verantworten

Detmold/Kassel. Verwirrte und Verärgerte, Querdenker und Neonazis protestieren seit Monaten gegen Lockdown und Maskenpflicht. Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung haben sie zusammengebracht. Sie marschierten bei Großdemonstrationen in Berlin, bei kleineren Demos in Bielefeld und Paderborn oder bei &bdquo;Mahnwachen" in Detmold, Bad Driburg und andernorts.

Groß ist die Furcht, dass Rechtsextreme die Proteste gegen die Coronapolitik nutzen, um Anhänger für ihre staats- und fremdenfeindlichen Positionen zu gewinnen. Das antifaschistische Recherche-Kollektiv OWL beobachtet die Proteste seit Monaten und berichtet auf Twitter über die Demo-Teilnahme szenebekannter Rechtsextremer. Eine wichtige Figur sei dabei etwa der Horn-Bad Meinberger Burkhart W., ein Antiquar und Kleinverleger, der zum Beispiel bei der Anti-Corona-Demo am 5. September in Paderborn und bei einer Anti-Lockdown-Mahnwache am 7. Juni in Bad Driburg gesehen wurde.

Wer ist Burkhart W.? Er ist einer von drei Publizisten, die von der Staatsanwaltschaft Kassel im November 2018 wegen des Verdachts der Volksverhetzung beim Amtsgericht Fritzlar angeklagt wurden. In dem Verfahren werden ihnen die Inhalte des im hessischen Bad Wildungen herausgegebenen Taschenkalenders &bdquo;Mars Ultor 2016" zur Last gelegt. Der Jahresplaner beinhaltet nach Überzeugung der Staatsanwälte Passagen, die &bdquo;zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln und die Menschenwürde von Personen und Personengruppen durch böswilliges Verächtlichmachen angreifen".

Die Ermittler fanden Bedenkliches in dem Kalender. So werde unter der Überschrift &bdquo;Die Ausrottung der Deutschen" der dem US-Rassentheoretiker Earnest Hooton zugeschriebene &bdquo;Hooton-Plan" von 1943 erläutert, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Zum Zwecke der &bdquo;biologischen Umzüchtung und Umvolkung zur [...] Unterwerfung" der Deutschen empfahl Hooton demnach, &bdquo;die Geburtenzahl der Deutschen zu reduzieren sowie die Ansiedlung von Fremdrassigen in Deutschland zu fördern."

Hierbei handelt es sich nach Auffassung der Staatsanwälte um eine &bdquo;zu Fremdenhass aufstachelnde Terminologie und verschwörungstheoretische Ideologie". Die Frankfurter Rundschau schrieb, das Buch rufe zum &bdquo;Rachefeldzug gegen die angeblich durch Masseneinwanderung und Multikulturalismus angestrebte Ausrottung der Deutschen" auf.

NS-Gewaltherrschaft gebilligt und gerechtfertigt Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft werde gebilligt und gerechtfertigt, so die Bewertung der Staatsanwälte. In dem Kalender heiße es: &bdquo;Die Deutschen haben während des II. Weltkrieges keinen Vernichtungskrieg gegen andere geführt; sie haben um ihr Überleben, um ihr Sein gekämpft. Schon gar nicht haben sie diesen Krieg begonnen."

Auf Seite 358 des Jahresplaners wird nach Überzeugung der Behörde selbst Adolf Hitler glorifiziert und rehabilitiert, indem dort – neben einem Porträtbild – ausgeführt wird, Hitler habe sich &bdquo;im Dienste Deutschlands, ja letztlich wohl auch Europas, vollständig aufgerieben".

Der für den Kalender als mitverantwortlich geltende Angeklagte Burkhart W. ist in den Augen der Sprecherin des Recherche-Kollektivs (die anonym bleiben möchte) ein rechtsextremer Intellektueller, der in dem kleinen, als elitär bezeichneten &bdquo;Thule-Seminar" eine zentrale Rolle spielt.

Erinnerung an NS-Funktionäre und Nazi-Idole Beim Thule-Seminar handelt es sich um eine &bdquo;rechtsextremistische Gemeinschaft", die aber &bdquo;im hiesigen Bereich keine große Bedeutung hat", heißt es dazu vom Bielefelder Staatsschutz.

Tatsächlich scheint das laut Antifa 1980 in Kassel gegründete Thule-Seminar eine eher kleine Gruppe älterer Herrschaften zu sein, die in der rechten Szene aber noch immer Einfluss genießt, wie es heißt. Vordenker und Gründer dieser &bdquo;Forschungs- und Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur" ist der rechtsextreme französische Publizist Pierre Krebs (73), den es vor Jahrzehnten nach Deutschland zog. Krebs gilt als Vertreter der &bdquo;Neuen Rechten", er ist ebenfalls in Fritzlar angeklagt.

In dem Taschenkalender, der 2016 auf den Index für jugendgefährdende Schriften gesetzt wurde und damals offenbar zum bisher letzten Mal erschienen ist (in einer Auflage von 1.000 Exemplaren), werde auch an Geburtstage von NS-Funktionären und Nazi-Idolen erinnert, heißt es.

Amtsgericht Fritzlar lehnte Eröffnung des Verfahrens ab Die Richterin am Amtsgericht Fritzlar vermochte den &bdquo;subjektiven Tatbestand der Volksverhetzung" in dem Kalender &bdquo;Mars Ultor" erst nicht zu erkennen, wie sie sagte. Sie lehnte die Eröffnung des Verfahrens im November 2019 ab . Die Staatsanwaltschaft Kassel wandte sich umgehend an die höhere Instanz und bekam im März 2020 vor dem Landgericht Kassel Recht.

Die Kasseler Richter hielten es für &bdquo;hinreichend wahrscheinlich, dass die Angeklagten der ihnen zur Last gelegten Vergehen schuldig gesprochen werden", so das Landgericht. In Fritzlar soll der Prozess nun voraussichtlich im März 2021 beginnen. Die Suche nach einem Termin und einem geeigneten Gerichtssaal sei wegen der Corona-Pandemie nicht so einfach, so ein Amtsgerichts-Sprecher.

W. mag sich zu all dem nicht gern öffentlich äußern. Zwar wurde er in OWL bei Anti-Corona-Demos gesehen – neben Gleichgesinnten wie jenem Ehepaar aus Detmold, das sich durch Engagement bei der seit 2009 verbotenen &bdquo;Heimattreuen Deutschen Jugend" einen Namen in der rechten Szene machte. Kontaktversuchen dieser Zeitung geht er aber aus dem Weg. &bdquo;Ich spreche nicht mit Ihnen darüber, grundsätzlich", sagte er telefonisch.

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