Fische schwimmen ungehindert in Kalletaler Naturschutzgebiet

Kalletal-Varenholz/Erder. Ein ungewöhnlicher Bach: Der Herrengraben hat auf seiner ganzen Länge von fünf Kilometern auf lippischem Gebiet keine einzige Barriere. Doch ausgerechnet an der Mündung zur Weser gab es einen anderthalb Meter hohen Absturz. Das ist mehr als nur ein Schönheitsfehler. Freie Fahrt für Fische – Fehlanzeige. Doch diesen Makel hat der Kreis Lippe jetzt behoben.

Trotz seines Namens ist der Herrengraben nicht von Menschen gegraben worden, sondern ein natürliches Gewässer – und an vielen Stellen unberührt. Nicht umsonst ist er Namenspate fürs Naturschutzgebiet Aberg-Herrengraben. Vom Ursprung in Niedersachsen bis zur Mündung zwischen Varenholz und Erder verläuft er parallel zur Weser, ist mit seinen Auen Teil des Schutzgebiets. &bdquo;Interessanterweise hatten wir hier nur einen einzigen Absturz im ganzen Herrengraben, und den gleich am Anfang“, berichtet Jürgen Benning von der Unteren Wasserbehörde des Kreises.

Für Fische und andere Wasserlebewesen war es so unmöglich, von der Weser aus in den Bach zu schwimmen. Die &bdquo;Staustufe“ direkt an der Kreisgrenze zu Minden-Lübbecke, vermuten Jürgen Benning und sein Kollege Manfred Zimmermann von der Unteren Naturschutzbehörde, diente wohl einmal dazu, einen Teich aufzustauen. Wie auch immer: Die Idee habe sehr nahe gelegen, Fischen hier den Eintritt ins Nebengewässer wieder zu ermöglichen. Es entstand eine 50 Meter lange Sohlgleite auf den letzten Metern des Herrengrabens, so dass die Tiere sich ungehindert bewegen können.

Herrengraben fließt durch die Weseraue

Der Herrengraben ist – weitere Besonderheit – das einzige Niederungsgewässer, das es in Lippe gibt. Soll heißen: Während alle anderen Flüsse und Bäche durch Täler fließen, fließt der Herrengraben durch eine Niederung, die Weseraue. Besonderes Kennzeichen: die sehr niedrige Fließgeschwindigkeit, die gute Lebensbedingungen für Amphibien und Wasserpflanzen bedeutet. Also durfte mit dem Wegfall des Absturzes auch nicht die Fließgeschwindigkeit steigen, denn das hätte nach Zimmermanns Worten erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume im und am Gewässer gehabt. &bdquo;Anderthalb Meter Höhe lassen sich nur durch Fläche auffangen“, erklärt Jürgen Benning.

Mit der Sohlgleite nimmt das Wasser nun nur auf den letzten 50 Metern ein wenig mehr Fahrt auf. 15 sogenannte Riegel entstanden, die aus massiven Steinquadern aus einem Ibbenbürener Steinbruch bestehen. So wurde – alles mit genau festgelegten Maßen – mehr als ein Dutzend Wasserbecken gebaut, eines jeweils elf Zentimeter höher als das nächste. Das sind Höhen, die Fische gut überwinden können, etwa der Döbel, der nun in den Herrengraben hinein schwimmen kann. Allerdings nicht in diesen Tagen, in denen die Weser nur wenig Wasser führt. Die Sohlgleite sei aber so konstruiert, dass der Zugang für die Tiere in 300 Tagen pro Jahr möglich sei, versichern Benning und Zimmermann.

In Kooperation mit einem Fischereiökologen wurde die Sohlgleite zugleich so ausgestattet, dass das Flussneunauge sich dort vermutlich wohlfühlen wird. Denn einige Becken enthalten Kies vom benachbarten Kieswerk, den die Tiere zum Laichen brauchen.

Integrationsprogramm &bdquo;Wasser im Fluss“

Geht es in den Herrengraben hinein, geht es auch ins Naturschutzgebiet. Der Bau der Sohlgleite sei ein &bdquo;Riesengewinn“ für sie, urteilt Jürgen Benning. Vielleicht auch, weil die Mündung an einer so abgelegenen Stelle auf Grund und Boden des Landesverbands liegt, dass mit allzu häufigem Besuch von Menschen nicht zu rechnen ist. Benning und Zimmermann sind froh, dass sie das Areal über das Gelände des Motoryachtclubs Dortmund erreichen durften.

Froh ist man auch über die Arbeit der Beschäftigten im interkommunalen Integrationsprogramm &bdquo;Wasser im Fluss“, die die Planung vor Ort umsetzten. Letztere stammt übrigens aus der Feder von Matthias Wintermeyer, der den Entwurf für die Sohlgleite als Student des Umweltingenieurswesens in einem Praxissemester beim Kreis erstellte. Die Gesamtkosten des Projekts von 39.000 Euro hat das Land zu 80 Prozent übernommen, schließlich ist die Durchgängigkeit von Gewässern auch Ziel der europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Zimmermann und Benning betonen, bei den Umbauarbeiten habe man besonders auf Nachhaltigkeit geachtet. So wurde der Bodenaushub für die Sohlgleite dazu genutzt, den bisherigen Verlauf der Mündung zu verfüllen.

Vielfalt der Lebensräume

Das Naturschutzgebiet Aberg-Herrengraben in Varenholz, das zurzeit einen bewaldeten Streifen nördlich der Varenholzer Straße umfasst, soll um 87 Hektar Richtung Weser erweitert werden. Damit werden auch zwei der Kiesteiche einbezogen. Ein Grund dafür: Die Weserauen haben sich zum Anziehungspunkt insbesondere für seltene Vogelarten entwickelt (die LZ berichtete). Dass Fische und Flusslebewesen im Herrengraben nun vom Anfang bis zum Ende und durch das Naturschutzgebiet schwimmen können, trägt zum besonderen ökologischen Wert bei.

Manfred Zimmermann von der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Lippe berichtet in einer Pressemitteilung vom Schwarzkehlchen und dem Sumpfrohrsänger, die dort Nahrungs- und Brutstätten haben. Die geplante Erweiterung des Naturschutzgebiets hat der Kreistag inzwischen beschlossen. &bdquo;Wir arbeiten zurzeit an der Verordnung“, berichtet Zimmermann im LZ-Gespräch. Möglichst bis Mitte kommenden Jahres soll das Areal dann auch offiziell Naturschutzgebiet sein. Es wird nach seinen Worten eine ungewöhnliche Vielfalt der Lebensräume aufweisen, die von der Weser über die Aue und das Niederungsgewässer bis zum Weserhang reicht.

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