„Schöner Wohnen“ für Tiere: Wie Artenschützer in Stemmen einen Lost Place mit Leben füllen

Kalletal-Stemmen. Eiskalt ist es im Haus, und in den meisten Räumen herrscht Düsternis. Kein Strom, keine Heizung. Jeder Makler würde daran verzweifeln, Interessenten die mangelhafte Ausstattung der einst stattlichen Villa auf der Landesgrenze von Niedersachsen und NRW zu erklären. Ein feuchter Keller, Stroh in den Ecken und auf den Treppen, überall zugige Löcher rund um Fenster und Türen, Steinhaufen in fast jeder Ecke - was Menschen auf der Suche nach einem Zuhause sofort abschrecken würde, ist für viele Tierarten sehr attraktiv. &bdquo;Beste Wohnlage“ sozusagen für Fledermäuse und Hornissen, Tag- und Nachtfalter, Amphibien und Igel sowie eine bunte Vogelschar. Das Artenschutzhaus gegenüber vom Kieswerk Pampel &bdquo;brummt“ - und soll nun dank eines virtuellen Rundgangs ein wenig zugänglicher werden.

Allein 21 Vogelarten, darunter Eule, Waldkauz, Kernbeißer, Buchfink und Bachstelze, waren und sind bereits im und am Haus heimisch. Mindestens neun Fledermausarten nutzen das Areal als Jagdgrund. Mittels Wildtierkameras wurden überdies noch viele weitere Besucher entdeckt, darunter ein Steinmarder und ein Waldkauz, der es sich im Schornstein gemütlich gemacht hatte.

Waldkauz im Schornstein All diese Tiere sollen auf den 720 Quadratmetern vom Keller bis zum Dach nach Möglichkeit absolute Privatsphäre genießen können, erklärt Projektleiter Christian Höppner, warum man sich nun entschieden hat, eine 360-Grad-Besichtigung anzubieten. &bdquo;Wir zeigen das Haus sonst nur auf Anfrage, zum Beispiel Schulklassen, und das auch nur außerhalb der Brutzeit von April bis Juni“, erklärt Höppner. Ein ständiges Kommen und Gehen ist in dem Gebäude nicht erwünscht. Tierschutz wird hier konsequent gedacht. Ein spannendes Leuchtturmprojekt, das bereits potenzielle Nachahmer inspiriert.

&bdquo;Etwa 50.000 Euro wurden 2020 allein im ersten Schritt in die tiergerechte Erstinstandsetzung und ,Möblierung’ investiert“, erklärt Christian Höppner die Geschichte des Hauses. Er ist mit seiner Firma patroVIT von der Unternehmensgruppe Reese, zu der das Kieswerk gehört, mit der Ausgestaltung des Artenschutzhauses und auch dessen Pflege und Weiterentwicklung beauftragt worden. Das Haus an der Weserstraße wurde 1931 erbaut und war ursprünglich als Pension geplant, wurde aufgrund der Kriegswirren jedoch nie eröffnet, sondern bis 2013 privat bewohnt.

Philipp Reese kaufte das riesige Grundstück im Jahr 2014, da ein Förderband über das Gelände laufen sollte. Es war der Wunsch der Erbin, das Elternhaus mit zu übernehmen und nutzbar zu machen. Doch nach den heutigen Standards war es nicht mehr wirtschaftlich bewohnbar. Während des Leerstands kam das Haus als Lost Place in Verruf. &bdquo;Dabei entstand ein erheblicher Vandalismusschaden, der im Jahr 2019 in einer Brandstiftung gipfelte“, so Höppner. Auch illegale Müllentsorgung wurde zum Problem.

Spezialkamera im Einsatz Seitdem ist viel passiert. &bdquo;Wir haben diesen Lost Place gerettet“, freut sich Landschaftsökologe Höppner. Wenn von den unzähligen Angeboten im und am Haus, den Nistkästen und Rückzugsmöglichkeiten aller Art , gut die Hälfte von den Tieren angenommen würde, sei das ein Erfolg. Seine Mitarbeiterinnen Antonia Wiese und Julienne Wasner sind wie er mit dem Monitoring betraut, bei dem sie auch auf Wildtierkameras zurückgreifen. Deren Bilder sowie weitere Videos und Fotos sollen nach und nach in den ab sofort über die Webseite des Artenschutzhauses verfügbaren virtuellen Rundgang integriert werden.

Die benötigten Rundum-Bilder hat Jörg Spieler erstellt. Er ist Experte für diese Art der Fotografie. Mit einer gut 1000 Euro teuren Spezialkamera hat er jeden Raum des verwinkelten Hauses abgelichtet und die Ergebnisse am Rechner nachbearbeitet. &bdquo;Das wird an die 40 Stunden gedauert haben“, schätzt Spieler. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Wie von Immobilien-Exposés bekannt, navigiert man sich als Besucher nun nahtlos durch die Stockwerke. Spieler selbst findet dabei nicht nur die Nistplätze und Hinterlassenschaften der Bewohner spannend, sondern auch das Haus selbst: &bdquo;Allein die Tapeten aus Jahrzehnten der Nutzung, die sich an den Wänden erhalten haben, erlauben einen Blick in die Geschichte.“

&bdquo;Wir haben es hier mit einem bislang einzigartigen Projekt zu tun“, sagt Jörg-Peter Kölling, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Reese. Grundsätzlich gehe es dabei auch um sogenannte &bdquo;Ökopunkte“, die ein Unternehmen durch Umweltschutzmaßnahmen sammeln kann - und die dann bei künftigen Eingriffen in die Natur, etwa bei Flächenerweiterungen, eingesetzt werden. De facto seien die vom Artenschutzhaus jedoch bislang weder genutzt worden noch verplant. Und, wie Höppner betont: &bdquo;Durch eine simple Umwandlung von Acker- zu Grünland oder von Grünland zu einer Obstwiese ließen sich leichter Punkte generieren.“ Insofern sei die &bdquo;Tier-Pension“ eine Herzensangelegenheit.

Inspiration für die eigenen vier Wände Als Unternehmen im Bereich des Kies-, Sand- und Schotterabbaus verursacht auch die Firma WRM Reese aus dem Kalletal durch die Produktion gravierende Eingriffe in die Natur. Um diese auszugleichen, treibt das Unternehmen unter der Leitung von Landschaftsökologe Christian Höppner das Projekt Artenschutzhaus voran. So wird ein längst unwirtschaftlicher und verlassener Lost Place ein Zuhause für die Tierwelt. Das Artenschutzhaus Pampel kann ab sofort virtuell unter https://www.wrm-reese.de/natur/wrm-projekte/artenschutzhaus/ angeschaut werden.

Laut Christian Höppner gibt es auch für Privatleute einige Tipps, die leicht umzusetzen sind, um einen kleinen Beitrag für den Artenschutz zu leisten. Die immer steriler werdenden Gärten stellten leider keine Option für Vögel als Brutplätze d ar .

Gerade Vogelarten wie der Mauersegler, Sperlinge oder Meisen suchen nach Nistplätzen an der Hauswand. Hierbei könnten sie die Hauswand oder die Rollladenkästen beschädigen. Abhilfe schaffen kleine Nistkästen, welche selbst zusammengebaut werden können. &bdquo;Bei Neubauten sind spezielle Fassadeneinbausteine mit Nistlöchern wahlweise für Fledermäuse oder Brutvögel eine tolle Option“, sagt Christian Höppner. Für Fledermäuse könnte die Zugänglichkeit des Dachstuhls an älteren Gebäuden zumindest stellenweise erhalten bleiben. Gerade Fledermäuse wie die Zwergfledermaus oder die kleine Hufeisennase fühlen sich dort wohl. Fledermäuse benötigen nur kleine Bereiche für ihr Quartier. Anders als zum Beispiel Mäuse oder Marder sind Fledermäuse sehr leise Gäste und stören die Hausbewohner nicht. In Scheunen, Ställen, Kirchtürmen oder auf Dachböden fühlen sich Schleiereulen besonders wohl. Ein einfacher Schleiereulenkasten bietet den Tieren ausreichenden Raum. Beliebt für Insekten sind unter anderem Insektennisthilfen wie Bambusröhrchen, Niststeine oder -hölzer. Ein solches Zuhause hat sogar entscheidende Vorteile für den eigenen Garten, denn die kleinen Nützlinge bestäuben Pflanzen und dienen anderen Tieren als Nahrung. Der Naturschutzbund Nabu stellt praktische Bauanleitungen für sämtliche Vogelarten online zur Verfügung.

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