Kalletal. Die Zukunft des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) Kalletal steht mehr denn je auf der Kippe. Nachdem der Rat am Donnerstagabend, wie berichtet, mehrheitlich das weitere Darlehen über 300.000 Euro abgelehnt hat, droht der Einrichtung die Insolvenz. Alle Bemühungen des Seniorenbeirats Kalletal, der Arbeiterwohlfahrt, der Elternbeiräte der Kitas und von Bürgermeister Mario Hecker konnten CDU und UKB nicht mehr umstimmen. Das sagt Hecker Zuvor hatte Bürgermeister Hecker noch versucht, das Ruder herumzureißen. Er legte aktuelle Informationen vor, die zeigten, wie sich die Patientenzahl entwickelt hat: Von „enttäuschenden“ 402 zum Start im zweiten Quartal dieses Jahres auf 861 im dritten Quartal und 1581 mit Stand Donnerstag. Von diesen Patienten kämen 1098 aus Kalletal und 312 aus Lemgo. Die Zahl der Behandlungen sei im gleichen Zeitraum von 355 auf 667 und dann auf 1190 gestiegen. Darüber hinaus hat sich laut Hecker ein in Kalletal niedergelassener Allgemeinmediziner für den Fortbestand des MVZ ausgesprochen. Er sehe das Potenzial der MVZ-Struktur noch nicht erschöpft und denke deshalb über eine gemeinsame Zukunft nach. Außerdem warf Hecker die Frage auf, warum es CDU und UKB so schwerfalle, dem MVZ das Darlehen zu gewähren. Bei anderen Positionen tue sich die Politik nicht so schwer. Beispiel Freibad: Im vergangenen Jahr habe im Ergebnis ein Minus von fast 293.500 Euro gestanden, für dieses Jahr sieht der Haushaltsansatz ein Minus von 211.850 Euro vor und für das kommende Jahr ein Minus von 230.800 Euro. Auch für die drei folgenden Jahre seien Fehlbeträge von mehr als 200.000 Euro kalkuliert. Damit ist das Freibad ein Zuschussgeschäft. Im Gegensatz dazu soll ein Darlehen samt Zinsen zurückgezahlt werden. CDU-Fraktionsvorsitzender Julian Gerber ist Geschäftsführer des Freibadvereins Kalletal. Zudem stehe die Aufnahme eines Kredits für den Wasserbeschaffungsverband Hohenhausen im Raum, der dringend seinen Hochbehälter sanieren muss. Laut Liquidator Prof. Dr. Till Elgeti geht es um 500.000 bis 800.000 Euro. Dazu gab es laut Hecker keine Rückmeldung aus der Politik. „Das hat mich gewundert. Wir sollten nicht mit zweierlei Maß messen.“ Das sagt die CDU Trotzdem nutzte CDU-Fraktionsvorsitzender Julian Gerber den Begriff „Fass ohne Boden“ für das MVZ Kalletal, das eine hundertprozentige Tochter der Gemeinde ist. Zwei Darlehen über insgesamt 215.000 Euro hatte der Rat dem MVZ erst vor Kurzem gewährt. Jetzt sollten weitere 300.000 Euro folgen. Gerber fragte: „Wie lange wollen, vielmehr wie lange können wir das noch mitmachen?“ Für die CDU sei klar: „Lieber ein Ende mit dem von Beginn an für alle absehbaren Schrecken als noch mehr Schrecken ohne Ende.“ Der Geschäftsführung des MVZs sei es nicht gelungen, Zweifel an den Prognosen auszuräumen, die die CDU bereits Anfang 2024 geäußert habe. Im Gegenteil: Es gebe für sie mehr offene Fragen und Zweifel als zuvor. Die Fraktion wirft Geschäftsführerin Gabriele Dostal falsche Zahlen, fehlende Positionen und handwerkliche Fehler vor. Sie kritisiert, dass die Wahrheit über die Zahlen erst nach der Kommunalwahl öffentlich wurde. Dostal selbst habe im Rahmen des Bürgerbegehrens geschrieben, dass Arztpraxen grundsätzlich Positivbetriebe seien und dass bei Verlusten im ersten Geschäftsjahr ein Sanierungskonzept erstellt werde. Das sei jedoch nicht passiert. Auch der vorgeschlagene Aufsichtsrat sei nicht etabliert worden. Hinzu komme die aus Sicht der CDU „katastrophale Kommunikation rund um die geplante Kinderärztin“. Eine Zulassung zum 1. Januar sei anders als angekündigt nie möglich gewesen. Solche Informationen habe es erst auf Nachfrage gegeben. Daher sagen die Christdemokraten: „Unser Vertrauen in Dostal ist aufgebraucht.“ Gerber: „Dieses Projekt war gut gemeint, wird die Kalletaler Steuerzahler künftig aber Unsummen kosten, wenn wir heute keinen Schlussstrich ziehen.“ Die Hohenhauser Ärzte hätten der CDU darüber hinaus zugesichert, alle Patienten des MVZs übernehmen zu können - und sogar eine Expansion in Aussicht gestellt. Das sagen die UKB Die UKB-Fraktion hatte extra ihre Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Detmold zurückgezogen, um über das Darlehen mit abstimmen zu können. Denn sonst wäre sie laut ihrem Anwalt befangen gewesen. Unter anderem hatten die UKB im Wahlkampf behauptet, dass das MVZ Kalletal eigentlich schon insolvent sein müsste. Das durften sie laut Urteil von September nicht. Von MVZ-Befürwortern wurde angeführt, dass die „Insolvenz“-Behauptung im Sommer für die schwächelnden Zahlen verantwortlich sei. Wie sich nun herausstellt, war die Behauptung aber wohl nicht ganz falsch. Fraktionsvorsitzender Ingo Mühlenmeier sagte im Rat nun: „Wir hatten recht damit, dass dort hinten und vorne etwas nicht stimmt. Keine Firma der Welt dürfte sich einen solchen Lapsus erlauben. Und wir lassen uns unsere Meinung nicht nehmen.“ Er habe darüber hinaus wahrgenommen, dass man der Fraktion habe Angst einflößen wollen. Das sagen SPD und Grüne SPD-Fraktionschef Manfred Rehse sagte: „Wir finden es richtig, dass eine gemeinwohlorientierte ärztliche Versorgung in kommunaler Hand liegt.“ Kein Unternehmen könne von 0 auf 100 in so wenigen Monaten durchstarten. Er gab jedoch dazu, dass er nun auch sehe, dass die Prognose von Dostal zu optimistisch gewesen sei. Florian Schön, Fraktionsvorsitzender der Grünen, meinte: „An unserer Unterstützung hat sich nichts geändert. Die Zahlen haben sich positiv entwickelt.“ Stellungnahmen und Online-Petition würden die Wichtigkeit aus Sicht der Bürger unterstreichen. Die Entscheidung Hecker reagierte: „An Tagen wie heute ist es gut, dass ich überparteilich bin. Ich werde mich weiter für die Kalletaler und ihre Gesundheitsversorgung einsetzen. Was ich nicht mehr machen werde, ist, Bürgern zu helfen, die ins Rathaus kommen, weil sie keinen Arzt finden. Dafür sind dann andere zuständig.“ An die UKB gerichtet sagte er, dass er keine Drohungen, sondern „gut gemeinte Hinweise“ habe geben wollen. Und UKB und CDU fragte er, warum sie nicht sein Angebot angenommen hätten, über das zweite Darlehen von 215.000 Euro mit dem neuen Rat abzustimmen. Am Ende änderte auch die geheime Wahl nichts am Ergebnis: 15 Ja- zu 17-Nein-Stimmen für das Darlehen. Danach verließen unter anderem die ärztliche Leiterin des MVZs, Imola Kalló, ihr Kollege Frank Norrenbrock sowie Mitarbeiterinnen der Einrichtung das mit rund 60 Zuschauern besetzte Bürgerbegegnungszentrum. Dostal war nicht da. Das Bürgerbegehren Einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens für das MVZ im vergangenen Jahr, Udo Zippel, kündigte im Anschluss an, ein weiteres Bürgerbegehren für den Fortbestand starten zu wollen, und holte dafür noch am Abend die ersten Unterschriften ein. Die SPD will dieses laut Pressemitteilung unterstützen und wirft CDU und UKB vor, ihre „politische Sturheit über die Gesundheitsinteressen der Menschen vor Ort“ gestellt zu haben. Alle Artikel zum MVZ Kalletal finden Sie hier.