Kreis Lippe. Wie homophob ist der Islam wirklich? Diese Frage will der Religionswissenschaftler Danijel Cubelic am Donnerstag, 15. Juni, um 18.30 Uhr im Raum 1.602 auf dem Campus Lemgo der Hochschule OWL mit den Besuchern diskutieren – zuvor sprach er mit der LZ.
Herr Cubelic, Ihr Vortrag an der Hochschule OWL fällt genau in den Zeitraum eines traurig-aktuellen Vorfalls in den USA – wie erklären Sie sich dieses Attentat?
Danijel Cubelic: Es zeichnet sich ab, dass Omar Mateen selbst schwul war und vor dem Anschlag oft in dem Club war, den er attackierte. Deswegen sprechen wir von homophober Gewalt. Hinter seinem Hass stecken, das ist keine Entschuldigung, wahrscheinlich persönliche und soziale Ängste: Angst vor Ablehnung durch seine Familie oder davor, seine Männlichkeit zu verlieren.
Hat das irgendetwas mit dem Islam zu tun?
Cubelic: Nein. Aber es hat mit toxischen kulturellen und religiösen Vorstellungen von Männlichkeit zu tun, die Männer in einen Konflikt zwischen ihrer Sexualität und den Erwartungshaltungen von Familie und Gesellschaft geraten lassen.
Aber er war gläubiger Muslim...
Cubelic: Ihm wurde eine Form des Islam gelehrt, die dazu führte, sich und andere schwule Männer so sehr zu hassen, dass er es als Ausweg sah, sich und andere Besucher des Clubs auszulöschen. Deswegen brauchen wir die Akzeptanz von Lebensentwürfen in Schulen und Moscheen.
Danijel Cubelic, 36, studierte Religionswissenschaft, Islamwissenschaft, Ethnologie und Arabisch in Heidelberg, Bochum, Damaskus, Aleppo und Kairo. Heute lehrt und forscht er am Institut für Religionswissenschaft der Universität Heidelberg und ist Koordinator des Arbeitskreises Islam der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft (DVRW).
Wie hält es der Islam mit Homosexualität?
Cubelic: Die Frag kann nicht pauschal, sondern nur im Zusammenhang beantwortet werden. Da sich in der islamischen Geschichte im Gegensatz zum Katholizismus keine von allen anerkannten Lehren oder Autoritäten durchsetzen konnten, gibt es heute keine Instanzen, die allgemeingültig entscheiden, welche Vorstellungen und Verhaltensweisen dem Islam konform sind und welche ihm widersprechen.
Aber es gibt doch islamische Rechtsschulen?
Cubelic: Die wichtigsten Rechtsschulen verbieten den sexuellen Verkehr zwischen Männern, doch Strafen wurden bis ins 19. Jahrhundert nicht ausgesprochen. Stattdessen sind aus der Zeit viele Liebesgedichte mit homoerotischem Inhalt überliefert. Und Quellen belegen neben Männern und Frauen weitere Geschlechtsidentitäten, die wir heute als Transpersonen bezeichnen würden.
Und heute – was droht Schwulen in islamischen Ländern?
Cubelic: Heute gehören viele islamische Gesellschaften zu den Staaten, die Homosexualität am härtesten bestrafen. Selbst in Ländern wie Ägypten, das gleichgeschlechtliche Sexualität nicht direkt kriminalisiert, herrschen strenge gesellschaftliche Tabus und die Rechtsprechung zieht zur Verfolgung Paragrafen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral heran.
Also Härte statt Toleranz...
Cubelic: Während Homosexualität verboten ist, erlauben Länder wie der Iran sowie Pakistan Transsexualität. Und Städte wie Beirut, Kairo und Dubai verfügen – staatlich geduldet – über eine schwul-lesbische Szene. Ein Mann kann Sex mit Männern haben, doch er muss eine Familie gründen und die Fassade der Normalität aufrechterhalten – ein quälendes Doppelleben.
Ist der Islam homophober als andere Religionen?
Cubelic: Was man sich heute kaum vorstellen kann: Noch im 19. Jahrhundert galt der islamische Orient für Künstler und Literaten aus dem prüden Europa als Ort einer zwangloseren Sexualität. Gleichzeitig veränderte der Kontakt mit dem technologisch und militärisch fortschrittlicheren Europa die islamische Welt. Viele Länder übernahmen die strengen viktorianischen Moralvorstellungen und Gesetze. Homosexualität wurde geächtet.
Ist der Islam überhaupt mit der Demokratie vereinbar?
Cubelic: Ich würde nicht sagen, dass der Islam ein Demokratie-Problem hat. Aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Probleme glauben viele den Versprechen islamischer Politiker, nicht korrupt zu sein und die Gesellschaft voranzubringen. Gleichzeitig besteht eine Sehnsucht nach Autoritäten – wie Erdogan in der Türkei. Das erschwert den demokratischen Prozess.
Was dürfen Besucher von ihrem Vortrag erwarten?
Cubelic: Neue Einblicke in die Geschichte der islamischen Welt jenseits von Stereotypen – und eine lebendige Diskussion.