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Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess fertigt Kopf des Mädchens aus der Blätterhöhle

Astrid Sewing

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Freundlich, aber zurückhaltend: Kurator Simon Matzerath, Restaurator Eckehard Deichsel und Anastasia Sojanow, Auszubildende beim Landesverband, versuchen, die rekonstruierte Dame aus der Steinzeit mit Eis und Waffeln zu locken. - © Bernhard Preuß
Freundlich, aber zurückhaltend: Kurator Simon Matzerath, Restaurator Eckehard Deichsel und Anastasia Sojanow, Auszubildende beim Landesverband, versuchen, die rekonstruierte Dame aus der Steinzeit mit Eis und Waffeln zu locken. (© Bernhard Preuß)

Kreis Lippe. Die junge Frau lächelt, sie hat dunkle Haare und sieht hübsch aus. Sie würde nicht auffallen, wenn sie in Detmold durch die Stadt spazieren würde. Das kann sie aber nicht. Ihr Kopf steht auf einem Tisch in der Eisdiele, rundherum sitzen Archäologen und Museumsmitarbeiter. Das Mädchen aus der Blätterhöhle hat vor 5600 Jahren gelebt, und die Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess hat ihren Kopf rekonstruiert. Jetzt ruft das Landesmuseum zu einem Namenswettbewerb auf.

Constanze Niess arbeitet in Frankfurt, in der Rechtsmedizin bestimmt sie jede Art von Gewalt, die sie an Leichen feststellen kann. 2001 hatte sie einen Kongress im Ausland besucht und dort wurde das Verfahren zur Rekonstruktion vorgestellt. Es folgt exakten wissenschaftlichen Auswertungen, aber es braucht einige Kreativität. „Es gibt feste Parameter, zum Beispiel lässt sich die Größe, Position und Form des Mundes anhand der Zähne und des Kieferknochens bestimmen." So erhalte man ein Grundgerüst.

„Wir wissen zudem, wie dick die Gewebeschichten im Gesicht sind. Das hat man festgestellt, indem man vielen verschiedenen Leichen Nadeln in die Haut gestochen hat", erklärt die 48-Jährige. Hat sie die Replik eines Schädels vor sich, dann klebt sie die Weichteilmarker auf und bildet das weiche Gewebe mit Plastilin nach. Auch Zahnstocher kommen zum Einsatz, wenn sie die Position der Mundwinkel bestimmt.

Köpfe werden auf dem Esstisch bearbeitet

Das ist Handarbeit, und es gibt Alternativen, wie die computergestützte Rekonstruktion oder die Zeichnung. „Die theoretische Grundlage ist dieselbe, man wählt die Methode, die man am besten kann. Für mich sind meine Köpfe die ästhetischste Form der Gesichtsdarstellung", sagt die Hessin. Insgesamt hat die Expertin bereits mehr als zwei Dutzend Toten ein Gesicht gegeben. Darunter sind auch forensische Fälle, bei denen die Polizei die Identität unbekannter Toter klären will.

Seit 2012 fragen auch Museen an, so auch im Fall des Mädchens, das im Mittelpunkt der Ausstellung „Revolution Jungsteinzeit" im Landesmuseum an der Ameide zu sehen ist. Höhlenforscher hatten den Schädel 2004 zusammen mit anderen Skelettresten in Hagen entdeckt und festgestellt, dass sie vor 5600 Jahren gelebt hatte und zwischen 17 und 22 Jahre alt war, als sie starb. Der Schädelfund in der Blätterhöhle ist für die Archäologen etwas ganz Außergewöhnliches, denn er repräsentiert eine Population jungsteinzeitlicher Jäger und Sammler.

Bis zu dem Fund waren die Experten davon überzeugt, dass sich die Menschen bereits vom Ackerbau ernährten. Dass das Mädchen aus der Blätterhöhle eine besondere Herausforderung war, würde Niess nicht sagen. „Jeder Fall für sich ist für mich etwas Besonderes." Rund 60 Stunden habe sie an dem Kopf gearbeitet und auch etwas künstlerische Freiheit gehabt.

Da es nicht genug Genmaterial gab, konnte die Augenfarbe nicht sicher bestimmt werden. „Dann wähle ich etwas Unauffälliges. Ungewöhnlich ist, dass sie lächelt. Das mache ich bei den Kriminalfällen nicht, denn es geht ja darum, dass Menschen einen neutralen Eindruck wahrnehmen, wenn es um die Identifikation geht", sagt Niess. Deshalb sei es auch wichtig, dass sich das Alter in dem Gesicht widerspiegele. Feinheiten wie Tränensäcke oder Fältchen, auch Augen- und Haarfarbe ließen sich nicht am Schädel ablesen.

Dr. Constanze Niess, die die Köpfe auf ihrem Esstisch zu Hause bearbeitet, wahrt dennoch eine Distanz. „Namen vergebe ich nie. Ich finde das in meiner Arbeit unpassend. Aber für das Museum kann das ganz spannend sein."

Persönlich

Dr. Constanze Niess (48) hat in Marburg studiert und ist seit 1996 Rechtsmedizinerin in Frankfurt. Sie hat zwei Kinder, die daran gewöhnt sind, dass ihre Mutter Rufbereitschaft hat und zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Tatorten fahren muss. Seit 2001 erstellt Niess lebensnahe dreidimensionale Modelle von Gesichtern. Damit gehört sie zu einer Handvoll Experten in Deutschland. 2012 fertigte Niess ihr erstes Exponat für ein Museum an. Zum 700. Todestag rekonstruierte sie den Kopf der seligen Christina von Stommeln.

Information

Einen Namen für die Unbekannte

Die jungsteinzeitliche Jägerin soll einen Namen bekommen. Wenn Sie Ideen haben, dann schicken Sie die Vorschläge und die Kontaktdaten per Mail an Rakusa@lippisches-landesmuseum.de (Betreff: Revolution Jungsteinzeit), bis spätestens Donnerstag, 22. September. Schön wäre ein Hinweis, warum gerade der Name gewählt wurde. Liegt es an der Ähnlichkeit mit Tante oder Freundin oder erinnert sie an jemanden?

Eine Jury sucht den besten Namen aus. Der Gewinner bekommt eine exklusive Führung mit dem Kurator Simon Matzerath am Donnerstag, 29. September, um 18 Uhr. Zu der Führung kann der Gewinner 15 Arbeitskollegen, Freunde, Familie oder wen auch immer einladen. Vorab gibt es einen Sektempfang im Landesmuseum und für die Gäste ein kleines Präsent. Unter allen Teilnehmern werden zehnmal die beiden Ausstellungskataloge verlost.

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