Kreis Lippe. „Da musst Du was machen." 23 Jahre ist es her, dass Frank Gockel erstmals mit einem Bekannten das Abschiebegefängnis in Büren betreten hat. Seitdem haben ihn seine Eindrücke nicht mehr losgelassen. Er gehört zu den Gründern des gemeinnützigen Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren". Seine Brötchen verdient der 46-Jährige im Dienst der Flüchtlingshilfe Lippe. Die so genannte Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) in Büren ist mit 140 Insassen die größte in Deutschland. Das Magazin „Der Spiegel" hat just einen Bericht über die Zustände dort gebracht und aus internen Papieren zitiert, die von Gewalt der Häftlinge, aber auch unwürdiger Behandlung durch das Personal künden. Im Raum steht etwa der Verdacht, dass randalierenden Insassen gegen ihren Willen Psychopharmaka verabreicht worden seien. „Die Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem Fall immer noch, auch wenn die Bezirksregierung den Fall bestreitet", betont Gockel. Er und seine ehrenamtlichen Mitstreiter versuchen, die Häftlinge zu beraten. Jeden Donnerstagnachmittag kommen sie in das Abschiebegefängnis. Oft kämen sie gar nicht dazu, mit allen Hilfesuchenden zu sprechen.Dass der Bedarf eigentlich größer ist, hat auch die Bezirksregierung als Betreiberin der Einrichtung erkannt: „Die Bezirksregierung hat dem Hilfeverein mehrfach weitere Beratungszeit angeboten, da der Verein mit seinem derzeitigen Angebot nur einen Bruchteil der Nachfrage befriedigen kann. Auf dieses Angebot ist der Verein bisher nicht eingegangen." Dafür fehlen die Ehrenamtlichen: „Wir sind nur sechs oder sieben Aktive, mehr ist kaum zu schaffen", sagt Gockel. Dennoch hält er an seinem Engagement fest: „Hier wird regelmäßig das Recht gebrochen, und dagegen muss man was tun. Ich kann da nicht einfach wegsehen." 57 Prozent der Insassen säßen zu Unrecht dort. Der Bielefelder Rechtsanwalt Helge Schneider setzt die Zahl etwas niedriger an: „Zwischen 40 und 50 Prozent werden es wohl sein", schätzt der Jurist. Meist ließen sich Formfehler nachweisen wie fehlende Aufklärung. Schneider ist etwa einmal im Monat vor Ort, um im Auftrag der Bezirksregierung eine unabhängige Rechtsberatung anzubieten. Die Umstände der Abschiebungshaft vermag er nicht zu beurteilen: „Ich komme ja immer nur in den Besuchertrakt." Er konzentriere sich eher auf die Haftprüfung. Oft verstünden seine Klienten nicht, warum sie eigentlich in Haft säßen, obwohl sie sich nichts zuschulden kommen lassen hätten. Streitpunkt Dolmetscher Das erlebt auch Frank Gockel. „Oft steht nicht mal ein Dolmetscher zur Verfügung." Das bestreitet die Bezirksregierung, die Betroffenen würden bereits von dem Gericht, das über die Abschiebehaft entscheide, in Anwesenheit von Dolmetschern umfassend aufgeklärt. „Insoweit sind die Aussagen der Untergebrachten gegenüber dem Hilfeverein unglaubhaft und lassen sich allenfalls mit dem Ziel erklären, das weitere Verfahren zu verzögern", heißt es auf Anfrage der LZ. Frank Gockel erlebt die Insassen, die übrigens nur zu einem geringen Teil in Lippe wohnten, stark angeschlagen: „Man muss sich mal vorstellen, in welcher Isolation viele von ihnen leben. Sie dürfen zwar ein Smartphone benutzen, aber viele sind einfach traumatisiert und ohne Hoffnung." Die wenigsten bekämen Besuch: „Die Einrichtung liegt viel zu weit draußen, da kommt man auch nicht eben mit dem Bus hin. " So erkläre sich mancher Aggressionsausbruch aus der Frustration. Er kann auch die andere Seite beim überlasteten Wachpersonal verstehen: „Da kommt man sicher mal an den Punkt, wo man die Zellentür zuknallt." Dass so viele eine strafrechtliche Vorgeschichte hätten, wie Anstaltsleiter Nicolas Rinösl gegenüber dem Spiegel behauptet, sei Unsinn: „Wer der Ausreisepflicht nicht folgt, gilt als straffällig. Das verändert die Statistik." Aus Gockels Sicht sind viele der Insassen hingegen krank: „Ich bin sicher, dass die meisten eher in die Psychiatrie gehören als in den Knast." Gerade erst habe er über Ostern einen Fall erlebt, in dem ein psychisch schwer Kranker in Büren gelandet sei. „Erst nach einer Woche hat endlich mal jemand die offenkundige Haftunfähigkeit festgestellt." Medizinische Hilfe sei „zu jeder Zeit" gewährleistet, sagt die Bezirksregierung. Die Eingangsuntersuchung durch den Anstaltsarzt umfasse eine erste psychiatrische Einschätzung. Um auch die psychologische Betreuung auszubauen, will die Behörde einen Psychologen für den Abschiebeknast einstellen. Transparenz hinter Gitter Kommentar von Marianne Schwarzer Seien wir mal ehrlich: Die Betreuung von 140 Menschen, deren Traum vom besseren Leben im Abschiebegefängnis endet, kann kein Vergnügen sein. Die Berichte über Gewalt frustrierter Insassen in der Bürener Einrichtung sind durchaus glaubhaft, und sicher steht das Personal unter großem Druck. Doch bei vielen Vorwürfen, die unter anderem der Verein zur Hilfe der Menschen in Abschiebehaft Büren im Namen seiner Klienten erhebt, steht Aussage gegen Aussage. Die Bezirksregierung Detmold als Betreiberin dementiert beispielsweise, dass Gefangene nackt fixiert worden seien, obwohl ein solcher Vorfall sogar in einem auch der LZ vorliegenden Augenzeugenbericht erwähnt wird. Schon zu ihrer eigenen Entlastung sollte die Behörde ein hohes Interesse daran haben, dass eine unabhängige Beschwerdestelle solchen Vorwürfen nachgeht. Das ist lästig, mühsam und kostenintensiv ausgerechnet bei Menschen, die der Staat lieber jetzt als gleich loswerden will. Doch auch wer in Abschiebehaft sitzt, hat ein Recht darauf, menschenwürdig behandelt zu werden – wie die Bewacher. Die Bezirksregierung erkennt an, dass der Beratungsbedarf der Insassen deutlich höher ist, als die Ehrenamtlichen und die offiziell bestellten Rechtsberater abdecken können. Und dass nun endlich auch ein Psychologe für das Abschiebegefängnis eingestellt werden soll, spricht für sich.