Kreis Lippe/Karlsruhe. Ein Berufsmusiker des Augsburger Staatstheaters probt mit seiner Trompete regelmäßig in den eigenen vier Wänden - zum Missfallen seiner umliegenden Nachbarschaft. Die ist genervt, denn es handele sich dabei nicht um Trompetenspiel, sondern um stundenlanges Üben von Sequenzen. Der Musiker solle sein Haus gefälligst besser dämmen. Weil die Parteien über Jahre keine Einigung finden, hat sich heute sogar der Bundesgerichtshof mit der Angelegenheit beschäftigt. Ergebnis: Es muss in gewissen Grenzen hingenommen werden.
Wenn Nachbarn über das Musizieren im Reihenhaus streiten, dürfen Gerichte keine zu strengen Maßstäbe anlegen. Hausmusik müsse in gewissen Grenzen als übliche Freizeitbeschäftigung möglich sein, urteilte der Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag.
Maßstab sei der verständige Durchschnittsmensch. Es komme allerdings immer auf den Einzelfall an. Die Art des Instruments, die wahrnehmbare Lautstärke im Nachbarhaus und mögliche Erkrankungen der Nachbarn müssten berücksichtigt werden. Der für das Nachbarrecht zuständige V. Zivilsenat hält zwei bis drei Stunden an Wochentagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen als Richtwert für angemessen. Dabei seien Ruhezeiten über Mittag und in der Nacht einzuhalten.
Die Situation in Detmold
Auch Detmold ist bekannt für seine Vielzahl an Musikstudenten. Wer durch die zentrumsnahe Fußgängerzone in der Neustadt geht, wird nahezu täglich von Klängen aus umliegenden Wohnungen begleitet. Gibt es derartige Rechtsstreitigkeiten auch in einer Musik-Hochburg wie Detmold?
Pressesprecher Friedrich von Plettenberg sind derartige Vorfälle an der Hochschule für Musik in Detmold zumindest nicht bekannt. Das liege vor allem daran, weil die Studierenden täglich bis Mitternacht die Möglichkeit hätten, die vielzähligen Proberäume der Musikhochschule für Übungszwecke zu nutzen. "Jeder besitzt eine eigene Chipkarte, mit der er sich Zugang zu den verschlüsselten Räumen verschaffen kann - sofern diese nicht für den Unterricht gebraucht werden", sagt von Plettenberg.
Zum Fall des Augsburger Berufmusikers meint er: "Das ist natürlich ein sensibles Thema, bei dem zwei Welten aufeinanderprallen." - gerade, wenn man als Musiker in einem Reihenhaus oder einer verkehrsberuhigten Wohngegend lebt. Man müsse von vornherein mit offenen Karten spielen und auf die Feinfühligkeit seiner Mitmenschen hoffen. Die sei beispielsweise in einem Haus mit Fokus auf altersgerechtem Wohnen naturgemäß anders, als in einem Studentenwohnheim.
Ins gleiche Horn stößt auch ein Immoblienmakler aus Detmold, der anonym bleiben möchte. "Fälle wegen Lärmbelästigung gibt es natürlich immer wieder. Dabei handelt es sich aber in den seltensten Fällen um Musikstudenten". Bei der Vermittlung von Musikstudenten würden jedenfalls keine Unterschiede zu anderen Studierenden gemacht. Wichtig sei immer, dass derjenige die Miete zuverlässig zahlen könne.
Nachteile hätte ein Musikstudent nicht zu befürchten. "Unsere Aufgabe ist es aber, die Studenten so unterzubringen, dass größtmögliche Rücksichtnahme und Verständnis füreinander gegeben sind." Die Hausordnung dürfe dabei nicht ignoriert werden. Als Hausverwalter würde man darauf setzen, dass solche Angelegenheiten von den Mietparteien unter sich geklärt werden.
Wie viel Hausmusik ist erlaubt?
Musizieren gehört zum sozial üblichen Verhalten und zur grundgesetzlich geschützten Entfaltung der Persönlichkeit. Weil sich kaum ein Instrument in Zimmerlautstärke spielen lässt, müssen Ruhezeiten eingehalten werden. In vielen Bundesländern geht die Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr. Ruhezeiten stehen oft auch in der Hausordnung oder im Mietvertrag. Dort kann außerdem festgelegt sein, wie lange am Tag höchstens gespielt werden darf.
Wie viel Beschränkung ist erlaubt?
Nach einem BGH-Urteil ist eine Ruhezeit von 20 Uhr bis 8 Uhr und von 12 Uhr bis 14 Uhr in Ordnung. Damit bleibe ausreichend Zeit zum Musizieren. Entscheidend sind aber die Umstände. Eine Seniorenwohnanlage ist anders zu beurteilen als ein Studentenwohnheim. Auch wichtig: Wie ist die Bausubstanz, wie laut ist die Umgebung, welche Art von Musik wird gespielt? "Es gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme", sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. "Das Recht, Musik zu spielen, muss so schonend wie möglich ausgeübt werden."
Was bedeutet das konkret?
In der Regel gelten zwei bis drei Stunden Musik am Tag als zumutbar. Einzelne Gerichte haben aber auch schon strengere Auflagen gemacht, etwa eineinhalb Stunden für ein Akkordeon. Beschränkungen der Lautstärke durch die Hausordnung darf es laut BGH nur bei nicht mehr hinnehmbaren Störungen geben. Ein Berufspianist kann keine besondere Behandlung beanspruchen, denn auf die Qualität der Musik kommt es nicht an.
Welche Möglichkeiten gibt es bei Differenzen zwischen Nachbarn?
An erster Stelle steht das direkte Gespräch. Gibt es keine Einigung, sollten Mieter den Vermieter einschalten. Dieser kann eine Abmahnung aussprechen, wenn die Musik überhand nimmt. Bei dauerhafter Störung kann ein Mieter eine Mietminderung in Erwägung ziehen. Helfen kann auch ein Schlichter. "Wir können nur raten, das außergerichtlich zu klären", sagt Julia Wagner, Referentin für Recht beim Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland. Wenn ein Gericht entscheide, habe immer einer das Nachsehen - manchmal sogar beide.
Mit Material der dpa.