Kreis Lippe. Eigentlich unfassbar: 70 Prozent aller Haushalte in Deutschland sind ohne Kinder. Und von 1980 bis 2017 ist die Zahl der Jugendlichen unter 18 Jahren um 40 Prozent geschrumpft. Was beängstigend klingen mag, ist für den Rheinländer Helmut Mu-thers die Chance schlechthin für die Wirtschaft: „Fangen Sie an, sich mit der Alterung zu beschäftigen", lautete auch sein eindringlicher Appell an die Zuhörer im Detmolder Hangar.
Es war der letzte von vier Vorträgen, die die LZ gemeinsam mit der Akademie Denkflüge, der Kulturfabrik im Hangar 21, der Lippe Bildung eG, Beresa und Weidmüller in einer kleinen Veranstaltungsreihe zur Digitalisierung 4.0 präsentiert hat. Das Ganze wurde erneut flankiert von der Liebharts Brauerei und Vera Veggie, damit diese Fortbildungsveranstaltung eine runde Sache wurde.
Muthers weiß genau, wovon er spricht, und seine 67 Lenze merkt man dem dynamischen Buchautor, Coach und Experten keine Sekunde an. Er findet das Thema wichtig: „Das ist kein Schnupfen, das geht nicht vorbei." Selbstironisch verteilt er zwei Wackeldackel an diejenigen aus dem Publikum, die am schnellsten mit der richtigen Antwort bei der Hand sind, garniert seine „Agenda" mit unterhaltsamen Bildern: „Das gefühlte Alter treibt uns", meint er, und ein 65-Jähriger von heute sei Lichtjahre vom Senior der 80er entfernt.
„Senior", schon bei dem Wort spielt er nicht mit, sehr wohl aber bei der Vorstellung, dass spätestens der Fachkräftemangel die Wertschätzung für die ältere Generation bei Unternehmern „erzwingen" wird. „Menschen wollen gebraucht werden", aber mit der Aussicht auf Adoption und Baufinanzierung. Mit einem Gründerkredit für das Start-up oder auch nur einer Verlängerung des Dispos braucht heutzutage kaum jemand zu rechnen, der die 65 überschritten hat. Grundfalsch ist das für Muthers. Ältere haben im Schnitt mehr Geld, sie sind „Konsumprofis" und damit die machtvollste Kundengruppe überhaupt. Vorausgesetzt, sie werden wertgeschätzt, direkt beim Namen genannt und auf gar keinen Fall bevormundet: „Sicherheit für Menschen gerade in Ihrem Alter" – wer so wirbt, kann es auch gleich sein lassen, sagt Muthers. Gleichwohl gelte es, sich auf die Klientel einzulassen: Wer mit knapp 50 Jahren, wie es LZ-Geschäftsführer Ralf Freitag erlebt hat, schon ein Seniorenhandy aufgeschwatzt bekommen soll, wird den Laden sicher kein zweites Mal betreten: „Lassen Sie Ältere an Ältere verkaufen", rät Muthers. „Der größte Fehler ist, sie zu unterschätzen, der zweitgrößte, sie nicht ernstzunehmen. Fragen Sie sich, wer da vor Ihnen steht. Ältere sind extrem sensibel."
Für den Experten gibts Empathie nicht im App Store. Aber die Älteren sollten sich auch ihres Wertes bewusst sein: Die 97-jährige Werbeikone Iris Apfel hat mit 94 einen Model-Vertrag abgeschlossen.