"When They See Us": Wie Rassismus den Blick auf die Wahrheit verdeckt

New York City, Central Park, Frühjahr 1989. Eine Joggerin wird eines Abends das Opfer sexueller Gewalt. Der brutale Überfall ist beileibe kein Einzelfall in der Metropole. Doch diese Nachricht hat Sprengkraft - und spaltet eine ganze Nation. Im Fokus der Ermittlungen: vier Afroamerikaner und ein Hispanoamerikaner aus Harlem. Sie werden als "Central Park Five" traurige Berühmtheit erlangen. Netflix hat die wahre Begebenheit in einer Mini-Serie verpackt. "When They See Us" handelt von Rassismus, Ungerechtigkeit und davon, wie das System von heute auf morgen Leben zerstören kann.

Die Sonne geht an diesem Frühlingstag allmählich unter. Auf den Straßen Harlems herrscht noch reges Treiben. Eine Gruppe Jugendlicher zieht vorbei, macht sich auf den Weg zum Central Park. Es wird gelacht, gealbert, aus einem Ghettoblaster dröhnt Rap-Musik. Aus unterschiedlichen Richtungen strömen weitere Teenager dazu. Die ausgelassene Stimmung findet dann ein jähes Ende, als unter einer Brücke ein Mann zusammengeschlagen wird.

Die gute Laune ist vorbei. Sirenen heulen auf, Polizeiautos fahren in den Park und halten an den Ausgängen. Die Gruppe wird zersprengt. Instinktiv ergreifen die Jugendlichen die Flucht. Sie werden von Polizisten durch den Park gejagt und einzelne festgenommen. Der harte Einsatz wirkt übertrieben, doch kurz darauf wird ganz in der Nähe eine junge Frau in einem Gebüsch gefunden. Sie ist übel zugerichtet. Die Joggerin wurde brutal geschlagen und vergewaltigt, überlebt den Angriff jedoch. Handelt es sich bei den Jugendlichen tatsächlich nur um Halbstarke? Oder wurden sie an diesem Abend zu Sexualstraftätern? Letzteres nimmt zumindest die Polizei an.

"Jeder Schwarze ist verdächtig" Der Kreis der Verdächtigen wird auf fünf junge Männer eingegrenzt: Kevin Richardson (Asante Blackk), Antron McCray (Caleel Harris), Yusef Salamm (Ethan Herisse), Korey Wise (Jharrel Jerome) und Raymond Santana (Marquis Rodriguez) werden auf der Wache festgehalten und verhört - sie sind gerade einmal zwischen 14 und 16 Jahren alt. Rücksicht auf das Alter nimmt weder die Polizei noch Staatsanwältin Linda Fairstein (Felicity Huffman). Sie ist von der Schuld der Jugendlichen überzeugt und will ein Exempel statuieren.

Mehr als 3.400 sexuelle Übergriffe auf Frauen habe es im vergangenen Jahr in New York gegeben. Fairstein wittert die Chance, den Tätern endlich den Kampf anzusagen und den Bürgern Ermittlungserfolge zu präsentieren. "Jeder schwarze Jugendliche, der gestern im Park war, ist tatverdächtig", sagt die Staatsanwältin. Eine Aussage, die wie ein Damoklesschwert über den Jugendlichen schwebt. Denn auf dem Revier scheint die selbe Annahme zu gelten.

Rasant dreht sich sogleich die Rassismus-Spirale, für die Beschuldigten ist sie unaufhaltsam. Auch von ihren Familien, die überwiegend aus einfachen Verhältnissen zu kommen scheinen, gibt es kaum Rückendeckung. Zu groß ist die Angst vor dem System und möglichen Sanktionen. Trotz der alles andere als eindeutigen Beweislage kuschen sie vor den Polizisten und setzen auf Kooperation. So manövrieren sie sich aber in eine immer aussichtslosere Lage.

Trump forderte Todesstrafe Beinahe ohnmächtig muss der Zuschauer mit ansehen, wie sich die Aufklärung eines Verbrechens vor 30 Jahren zur Nebensache entwickelte und die Wahrheit nicht mehr zu interessieren schien. Die "Central Park Five" wurden zum Spielball zwischen den Fronten. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung warf den Behörden rassistische Motivation vor. Andere nutzten den Fall als Stimmungsmache. Dazu gehörte auch der heutige Präsident der USA. Donald Trump, damals noch Immobilienunternehmer, forderte mit ganzseitigen Anzeigen in mehreren Tageszeitungen die Todesstrafe für die Jugendlichen. Mehr als 85.000 Dollar soll er dafür ausgegeben haben. Auch diese wahre Begebenheit greift die Serie auf.

Erschreckende Einblicke werden gewährt. In ein System, das von oben bis unten vom Rassismus zerfressen zu sein scheint. Das nicht zwischen Recht und Unrecht unterscheidet. Das normale Bürger machtlos werden lässt. "Das darf doch nicht wahr sein!", schreit es förmlich aus einem heraus. Ist es aber. Dass die Serie keinen fiktiven Stoff, sondern einen wahren Kriminalfall beleuchtet, macht sie umso bedrückender. Ganz nah kommt der Zuschauer an die Figuren heran und kann förmlich mitfühlen, was die Ereignisse mit ihnen gemacht haben.

Vier Folgen à 70 Minuten Die Oscar- und Golden-Globe-nominierte Regisseurin Ava DuVernay hat die vierteilige Mini-Serie realisiert. Unter ihrem Label Array FilmWorks agierte sie auch als ausführende Produzentin. Sie arbeitete in einem Team mit Jeff Skoll und Jonathan King (Participant Media), Oprah Winfrey (Harpo Films) sowie Jane Rosenthal, Berry Welsh und Robert De Niro (Tribeca Productions).

Seit Ende Mai 2019 ist "When They See Us" auf Netflix zu sehen. Eine Folge dauert etwa 70 Minuten.

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