Bio-Landwirtschaft in Extertal schafft Kälbchenglück

Kreis Lippe. Milch von wirklich glücklichen Kühen – die gibt es äußerst selten. Denn in der konventionellen Milchviehhaltung werden auch auf Biobetrieben die Kälber fast sofort nach der Geburt von den Mamas getrennt. Nicht so auf dem Hof Hellmig in Extertal-Hohensonne: Hier dürfen die Kälbchen weitgehend bei der Mutterkuh bleiben. Einfach ist das nicht.

An diesem Herbsttag weht eine sachte Brise durch die offene Kinderstube. Klein Zara ist gerade mal ein paar Tage alt. Das schwarze Kälbchen hat sich ins Stroh gekuschelt, während die Mama sehnsüchtig in Richtung Weide blickt und die Cousins bereits munter herumtollen. Astrid Hellmig öffnet das Gatter, und schon setzen sich die Mutterkühe in Bewegung. Die Sonne und das Gras lockt die Tiere hinaus. Staksig und unbeholfen folgen einige Kälber, nur Zara traut sich noch nicht. &bdquo;Sie braucht ein bisschen Ermunterung", sagt Astrid Hellmig lächelnd. Und wie auf Kommando kommt die Mutterkuh von der Weide zurück in den Stall, stupst ein bisschen, muht ganz sanft, bis das Kleine den Weg wagt.

Tierwohl über Ertrag Den ganzen Tag über war viel Leben in der Kinderstube. In wenigen Stunden allerdings werden Astrid Hellmig und ihr Mann André den Nachwuchs in den Laufstall bringen, der direkt neben der großzügigen Kinderstube liegt. Zeit, damit sich im Euter genügend Milch sammelt, die gemolken und vermarktet werden kann. &bdquo;Das ist natürlich bei weitem nicht so viel Milch, wie in der traditionellen Milchviehhaltung zusammenkäme, wo eine Hochleistungskuh schon an die 40 Liter am Tag gibt", weiß die 37-jährige Pferdewirtin. &bdquo;Aber wir wollen eben auch, dass es den Tieren gut geht."

Auf die kurzfristige Trennung über Nacht stellen sich Mütter und Kälbchen sehr schnell ein: &bdquo;Kühe können sich in Windeseile an einen Rhythmus gewöhnen." Die Trennung für Stunden bleibt den Tieren in den drei Wochen nach der Geburt sogar ganz erspart, denn wie bei menschlichen Müttern ist die Milch der ersten fünf Tage durch nichts aufzuwiegen, wenn es um den Gesundheitsschutz des Nachwuchses geht. Eigentlich ist die muttergebundene Kälberaufzucht einfacher: &bdquo;So muss ich mich wenigstens nicht mit den Nuckeleimern abmühen", sagt die Bäuerin.

Während sich Astrid Hellmig Zeit nimmt, das System zu erklären und in den nächsten Stall führt, hüpft ihr achtjähriger Sohn Tom voraus: &bdquo;Da ist Natus, unser Bulle", ruft er. Der tonnenschwere Koloss auf vier Beinen wird gerade von Bauer André Hellmig von einigen übermütigen Jungspunden getrennt: Sie haben ebenso wie der Bulle spitzbekommen, dass Milka, eine der Kühe, bullig ist. Und Versuche der Halbwüchsigen, sie zu decken, werden gnadenlos unterbunden.

Zarte Rinderliebe Er ist offensichtlich Herr im Stall, bedrängt jedoch Milka kein bisschen, steht ihr lediglich zur Seite, stupst sie sanft, während sie am duftigen Heu knabbert. &bdquo;Er wartet auf den richtigen Augenblick", erläutert Astrid Hellmig. &bdquo;Für die Kühe ist er sehr wichtig, sobald er den Stall verlässt, werden sie deutlich unruhiger." Übrigens dürfen alle Kühe ihre Hörner behalten: &bdquo;Wir haben festgestellt, dass sie sich nicht damit verletzen. Die Hörner sind ein Stoffwechsel- und Sinnesorgan, das wichtig für das Sozialleben in der Herde ist."

Was aber ist mit all den Bullenkälbern? Hier versuchen die Hellmigs eine Gratwanderung, denn sie vermarkten das Rindfleisch ebenfalls. Dazu kreuzen sie die schwarz-bunten Holsteiner Fresian mit Pinzgauern, um eine höhere Fleischqualität zu erzielen. &bdquo;Aber wir bringen es nicht über uns, sie zu einem der großen Schlachthöfe zu bringen." Stattdessen hat sie einen heimischen Schlachtermeister ausfindig gemacht, der die Tiere dann auch weiterverarbeitet, einmal pro Monat vermarktet die Familie Bullenfleisch direkt ab Hof.

Fleischqualität dank Lebensqualität Das Tierwohl steht ganz oben: &bdquo;Es kommt darauf an, dass unsere Tiere echte Lebensqualität haben", betont Astrid Hellmig später in der warmen Bauernküche, während sie ein Stück Holz in den Ofen legt. &bdquo;Der Tod gehört nun mal zum Leben dazu. Es muss ein Gleichgewicht sein." In der Konsequenz heißt das: &bdquo;Wenn wir hier Rindfleisch auf dem Teller haben, dann kennen wir seinen Namen."

Das hat sie auch ihrem Sohn erklärt. &bdquo;Ich finde das nicht schön, aber ich verstehe, warum wir das machen müssen", sagt der. &bdquo;Sonst haben wir am Ende selbst nichts zu essen." Die Hellmigs haben auch schon viel Lehrgeld zahlen müssen. &bdquo;Ich dachte ja, das klappt schon, wenn wir die Kälbchen bei den Müttern lassen, aber anfangs waren da viele Euter entzündet, und ganz am Anfang ist uns sogar eines gestorben." Mittlerweile habe sie den Bogen raus, den Tieren gehe es gut.

Gewinnbringende Milchvermarktung ist schwierig Wirtschaftlich sind die Hellmigs aber noch nicht aus dem Gröbsten raus, es hapert an der Milchvermarktung. &bdquo;Wir überlegen, unsere Milch selbst zu pasteurisieren und zu vermarkten, das wären aber noch einmal hohe Investitionen. Derzeit lassen wir uns beraten." Konventionelle Milch bringt um die 32 Cent, Hellmigs erhalten für ihre Bio-Naturlandmilch 37 Cent, denn ihr süddeutscher Abnehmer zieht 10 Cent für die Logistik ab. Damit sich alles rechnet, bräuchten sie eigentlich 60 Cent. Noch hat sich keine Biomolkerei in Ostwestfalen gefunden, die ihnen die Milch abkauft.

Was, wenn es nicht klappt? – Dann würden Hellmigs die Herde verkleinern, weiter Bio-Milch vertreiben und sich mehr auf den Ackerbau konzentrieren. &bdquo;Aber Mütter und Kälber trennen, das kann ich nicht mehr."

"Weniger muss mehr sein" Ein Kommentar von Marianne Schwarzer

Schon seit Beginn moderner Milchviehwirtschaft trennt der Bauer die Kälbchen kurz nach der Geburt von ihren Müttern. Auch ohne Gefühlsduselei lässt sich nachvollziehen, dass dies den Tieren Stress macht. Ein Thema begleitet alle Diskussionen um das Tierwohl: Der Preis. Denn in der stetigen Abwärtsspirale des Entgelts für Milch, aber auch für Fleisch jedweder Art, scheint Massentierhaltung aus Sicht der meisten Landwirte der einzige Weg zum Überleben zu sein.

Wenn die Molkerei nur 32 Cent für konventionell erzeugte Milch zahlt, wenn im Supermarkt das Pfund Hackfleisch nur 1,99 Euro kostet, läuft was gehörig falsch. Wir können das Tierelend nur beenden, wenn wir bereit sind, mehr zu zahlen – und weniger zu konsumieren. Dabei könnten ein höherer Preis und eine größere Wertschätzung für landwirtschaftliche Produkte nicht nur mehr Tierwohl bewirken: Die Verknappung von Fleisch und Milch wären auch fürs Klima gut.

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