Drogensüchtige in Lippe: Hinter jedem Gesicht steckt eine Geschichte

Kreis Lippe . Es ist ein kleiner unscheinbarer Raum mit Teeküche, an dessen Tresen Arzthelferin Petra Wilde täglich in menschliche Abgründe blickt. 3 bis 15 Minuten dauern die Gespräche mit den süchtigen Menschen an der Methadon-Ausgabe, schätzt sie. Je nachdem, wie es dem Gegenüber geht. Wenn jemand unglücklich sei, frage sie nach. &bdquo;Hier geht keiner einfach so raus", sagt Petra Wilde.

Besonders hart seien die Geschichten dahinter. Es geht um Gewalt, Missbrauch, Verlassenwerden. Aber auch um unzählige Lügen, die von der Suchterkrankung getrieben werden. Allein 85 Betroffene, die ihr Leben in den Griff bekommen wollen, werden in der Detmolder Gemeinschaftspraxis Faust/Ferekidis/Gottschalk mit dem Ersatzstoff Methadon behandelt. Rund 340 Abhängige sind derzeit nach Zahlen der Drogenberatung in ganz Lippe in Behandlung. &bdquo;Die Dunkelziffer ist sicher doppelt so hoch", sagt Mediziner Karl-Arne Faust. Nicht alle könne man erreichen.

Inzwischen gibt es neun Methadon-Praxen im gesamten Kreis, das sind zwar zwei mehr als vor drei Jahren, aber immer noch zu wenig, sagt Sozialpädagogin Silvia Bossemeyer von der Drogenberatung Lippe. Bei der Substitution, also der Behandlung mit dem Ersatzstoff, gehe es vor allem um Beziehungsarbeit – ob beim ersten Kontakt auf der Straße oder später bei der Behandlung in der Praxis. Abhängige mischten sich dann ganz normal unter die Alltagspatienten ins Wartezimmer und holten sich anfangs täglich ihre Ersatzdosis. Die Behandlung wird individuell angepasst.

Es sind gebrochene Menschen

Nicht alle Kollegen kämen damit klar. &bdquo;Es ist nicht unbedingt sexy", sagt Faust. Schließlich handelt es sich in der Regel nicht um &bdquo;High-class"-Patienten, sondern um gebrochene Menschen, teils ohne festen Wohnsitz, die auch als schwierigere Charaktere wahrgenommen werden. Allerdings werde oft außer Acht gelassen, dass auffälliges Verhalten bei Betroffenen eben nicht mit schlechtem Benehmen gleichzusetzen sei. &bdquo;Es ist eine echte Erkrankung des Nervensystems", sagt Faust. Das Belohnungssystem des Gehirns sei bei Heroinabhängigen stark geschädigt.

Die Menschen damit nicht allein und unter Umständen sterben zu lassen, sei eine gesellschaftliche Aufgabe. &bdquo;Bei Substitution kommt es viel auf die innere Haltung an", meint Faust. Insbesondere die Wandlung innerhalb der Behandlung beeindrucke ihn immer wieder, sagt der Detmolder Mediziner. Eine junge Frau habe nahezu mittellos und heroinabhängig zwei Kinder zur Welt gebracht und sei am Ende gewesen. Erst durch die Behandlung habe sie zurück ins Leben gefunden – inzwischen hat sie einen festen Job und lebt in stabiler Abstinenz, sagt er. Daneben gibt es jedoch auch Misserfolge oder nur die kleineren Glücksmomente, die ebenfalls wertvoll seien. &bdquo;Wenn eine Klientin anruft und mir erzählt, dass sie wieder zum Friseur geht oder sich schminkt, ist das schon ein toller Erfolg", erklärt Bossemeyer.

Gerade erlebte die Drogenberatung wieder eine große Welle von jungen Süchtigen. An äußeren Faktoren sei das schwer festzumachen. Oft versuchten Heranwachsende, mit Heroin ein Gefühl der Leere zu füllen, das schon durch schwierige oder traumatische Erlebnisse in der Kindheit gewachsen sei. &bdquo;Oft wird beschrieben, dass Heroin einen mit einem Gefühl von Wärme erfüllt", berichtet Bossemeyer. Wenn jemandem Gefühle wie Liebe und Geborgenheit in jungen Jahren nie vermittelt würden, sei dies schon eine gefährliche Voraussetzung für eine spätere Abhängigkeit. &bdquo;Nicht alle rutschen ab, doch es sind mehr, als man vermutet."

Medizinische Abläufe müssen verbessert werden

Abhängige aller Altersstufen werden in lippischen Methadon-Praxen behandelt. Inzwischen könne man die Menschen mit langfristigen Therapien sogar bis ins Rentenalter begleiten, sagt Bossemeyer.

Doch nicht immer ist es leicht. Schwierig sei im Praxisalltag, wenn die Sucht nur ein Symptom sei, mit der Betroffene andere psychische Erkrankungen überdecken wollten. &bdquo;Wenn ich die Stimmen in meinem Kopf mit Heroin ruhigstellen will, reicht eine Behandlung mit Methadon nicht", sagt Faust. Gleiches gelte für posttraumatische Belastungsstörungen.

&bdquo;Clean zu werden und dann erst eine Therapie machen zu dürfen, das ist für viele kaum machbar", sagt Bossemeyer. Deshalb müssten sich die medizinischen Abläufe unbedingt verbessern, mehr psychiatrische Einrichtungen müssten mitziehen. Die Arbeit sei anspruchsvoll, aber besonders. Das Menschliche mache einen großer Teil aus. Arzthelferin Petra Wilde kann das gut nachvollziehen.

In Lage und Bad Salzuflen fehlen Methadon-Plätze

Im Kreis Lippe gibt es insgesamt neun Methadon-Praxen, darunter drei Praxen in Detmold mit 192 Patienten sowie das Gemeindepsychiatrische Zentrum (GPZ), das 17 Patienten bei der Behandlung betreut. Je eine weitere Praxis mit Methadon-Ausgabe gibt es in Lemgo (4 Patienten), Dörentrup (70) und Blomberg (9). Als neue Standorte sind laut Karl-Arne Faust zwei Praxen in Horn-Bad Meinberg (11) dazugekommen. &bdquo;In Lage sind zwei Kollegen in den Ruhestand gegangen", so Faust.

Lage sei eh schon medizinisch unterversorgt, Nachfolger für die Substitution zu finden, sei deshalb nahezu unmöglich. Auch im Ameos-Klinikum Bad Salzuflen (früher Lippische Nervenklinik Dr. Spernau) werde derzeit mit der ambulanten Methadon-Ausgabe pausiert. Doch ein flächendeckendes Angebot sei für Kommunen am Rand des Kreises wichtig. &bdquo;Es nimmt nicht jeder, der diese Probleme hat, einfach 30 bis 40 Kilometer Fahrt auf sich."

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