Im Innersten berührt - Gedenken an 9/11

Kreis Lippe . Die Flugzeuge, die ins Word Trade Center jagen, die einstürzenden Türme – diese Bilder sind vor 20 Jahren um den Globus gegangen. &bdquo;Was am 11. September 2001 passiert ist, hat nicht nur die USA verändert, sondern die ganze Welt", sagt Petra Linck. Die aus Barntrup stammende Künstlerin, die seit rund 30 Jahren in den Vereinigten Staaten lebt, hat gemeinsam mit ihrem Partner Kurt Petz eine Video-Performance kreiert, die an die Terroranschläge erinnert. Die Arbeit ist Teil der Präsentation des &bdquo;National September 11 Memorial & Museum" in New York.

Am 11. September 2001 war Petra Lincks Tochter, die in New York studierte, auf dem Weg zum World Trade Center. In letzter Minute änderten sich ihre Pläne – dennoch kam der Schrecken auf diese Weise nah an die Familie heran. Was Petra Linck aber nicht besonders hochhängen möchte: &bdquo;Jeder hat so seine Geschichte", sagt sie. Kaum jemand, den die grausamen Geschehnisse nicht im Innersten berührt hätten: Das hat sie in den folgenden Jahren in vielen Gesprächen mit Menschen erfahren. Und berühren möchten die Künstler, die sich in ihrer gemeinsamen Studienzeit in München kennen gelernt haben, auch die Betrachter ihrer Video-Performance. &bdquo;Remember 9/11 – Touch and Hug" (Berühren und Umarmen) haben sie ihre Arbeit genannt.

Spielort ist ein Raum, dessen Stirnseite die amerikanische Flagge fast komplett ausfüllt. An den Wänden links und rechts befinden sich auf Papierbahnen zwei lebensgroße, &bdquo;abstürzende" Figuren, links eine dunkle, rechts eine weiße auf blauem Grund. In dieser Kulisse stehen Kurt Petz und Petra Linck, zwischen sich ein Behälter mit weißer Farbe samt Pinseln, und Petra Linck beginnt, Kurt Petz über und über mit der weißen Farbe zu bemalen. Anschließend bemalt Kurt Petz Petra Linck ebenfalls mit der weißen Farbe. Danach schmiegen sich beide eng an die mit einer durchsichtigen Folie geschützte amerikanische Flagge und hinterlassen dort weiße Abdrücke. Schließlich umarmen sich die Künstler längere Zeit, bis sie gemeinsam den Raum verlassen. Zu den langsamen Bewegungen in der Performance sind minimalistische Tonfolgen zu hören, eine nachträglich zugespielte Komposition von Kurt Petz.

Menschen waren wie gefesselt

Rundum eingehüllt in die weiße Farbschicht und darin gewissermaßen auch gefangen: Damit spielen die beiden Künstler auf zwei Aspekte an. &bdquo;Alle Menschen an den Bildschirmen saßen dort wie gefesselt und kamen nicht vom Fernseher weg", erläutert Petra Linck. &bdquo;Und alle, die vor Ort waren, diejenigen, die versuchten, sich in Sicherheit zu bringen, sowie die Retter und Ersthelfer, waren weiß von Staub und Schutt. In dem Moment sahen alle diese Menschen gleich aus und verloren gewissermaßen ihre Identität." Die Umarmung am Ende der Performance schließlich soll für Gemeinsamkeit und Versöhnung stehen, soll ein Zeichen der Hoffnung sein.

Menschen, die von den Ereignissen in ihrem Innersten berührt wurden und werden, in Hoffnung zusammenführen: Das ist die Idee hinter der Performance &bdquo;Touch & Hug", die Kurt Petz und Petra Linck erstmals live 2018 in der White House Gallery in McGaheysville / Virginia – dem Wohnort von Petra Linck – gezeigt haben. Ein Preview der Video-Performance war 2019 in München zu sehen, später in dem Jahr wiederum in der White House Gallery in McGaheysville – und seit September 2020 ist sie Teil der Präsentation des &bdquo;National September 11 Memorial & Museum" in New York.

Zielgruppe: Junge Generation

Die Künstler hoffen, vor allem eine Zielgruppe mit ihrer Arbeit erreichen zu können: die junge Generation. Diejenigen, die 2001 zu klein waren, um eigene Erinnerungen an die verstörenden Bilder zu haben, und diejenigen, die gar nicht geboren waren. &bdquo;Mit Dokumentationen erreicht man die jungen Menschen nicht, das ist ein Thema, das derzeit im ganzen Land diskutiert wird", sagt Petra Linck. &bdquo;Wenn man sie erreichen und berühren will, dann muss das auf emotionaler Ebene geschehen. Und wir denken, dass Kunst generell und, dass unsere Arbeit dazu gute Mittel sind."

Wie aktuell das Thema und wie wichtig das Erinnern an die Terroranschläge seien, um zeitgeschichtliche Zusammenhänge zu verstehen, das sei ihr jüngst wieder bewusst geworden. &bdquo;Als ich vom Fernseher gesessen und die Bilder aus Afghanistan gesehen habe", sagt die Künstlerin. &bdquo;All das ist das Resultat dieses Tages vor 20 Jahren."

Dr. Ataullah Zulfacar kritisiert Zuweisung der Kollektivschuld Afghanistans

Detmold. Der 11. September 2001 hatte ganz normal begonnen. Dr. Ataullah Zulfacar , damals noch Oberarzt am Klinikum Lippe, schlief nach seiner Schicht im Dachgeschoss seines Wohnhauses – bis seine Tochter ihn weckte, von Toten in New York berichtete und ihn aufforderte, den Fernseher anzuschalten. 20 Jahre später ist dieser Tag in das kollektive Gedächtnis eingebrannt und die Folgen sind immer noch spürbar. Insbesondere in Afghanistan. Darüber möchte Zulfacar sprechen, denn er ist sauer.

Herr Zulfacar , haben Sie, als Sie von den Anschlägen hörten, eine Verbindung nach Afghanistan gezogen?

Dr. Ataullah Zulfacar : Nein. Später, als Bin Laden von den Amerikanern gejagt wurde und sich in einer Höhle in Tora Bora in Ostafghanistan versteckt hielt, habe ich verstanden, dass al-Qaida dahinter steckte. Vorher habe ich gedacht, dass sie nur damit angeben. Bis heute wird Afghanistan die Kollektivschuld für den 11. September gegeben, obwohl kein Afghane dabei war. Die Attentäter haben die Anschläge in Hamburg geplant und in den USA fliegen gelernt.

Afghanistan hat Osama Bin Laden nicht ausgeliefert...

Das liegt an der Mentalität: Ein Afghane würde nie einen &bdquo;Gast", der sich im Land aufhält, verraten. Mich stört, dass kein Wort darüber verloren wird, dass die Terror-Organisation in Pakistan entstanden ist. Dort ist Bin Laden 2011 dann auch gefasst worden – in einer Villa, in der er mit seiner Familie lebte. Die Mission der Amerikaner ging übrigens von afghanischem Boden aus.

Nach dem 11. September begann der Krieg gegen den Terror, das Taliban-Regime in Afghanistan wurde gestürzt, die Sicherheits- und Wiederaufbaumission unter ISAF-Führung begann. Wie war die Situation damals in Ihrem Heimatland?

Seit über 43 Jahren hat es nur Krieg gegeben. Als die Taliban Ende der 1990er Jahren kamen, waren die Menschen erst froh – die Russen hatten das Land zerstört. Dann folgten die fünf schwärzesten Jahre in der Geschichte des Landes. Afghanistan lag am Boden.

Sie haben seit den 1980er Jahren mit dem Ärzteverein für Afghanische Flüchtlinge ( AFAF ) immer wieder Hilfsgüter ins Land geschickt. Was konnten Sie bewirken?

Ziel war es, die medizinische Versorgung zu verbessern. Wir haben zum Beispiel Geräte ins Land gebracht und die Leute darin geschult, wie man sie bedient – mit der Aufgabe, dies dann auch anderen Kollegen beizubringen. Zwei bis drei Jahre erfolgte eine Supervision. Außerdem haben wir Hospitationen von afghanischen Ärzten in Deutschland ermöglicht. Immer mit dem Okay der afghanischen Regierung. Mittlerweile geht es mehr um Binnenflüchtlinge, die vor Krieg und Hunger fliehen, in Löchern oder unter Planen hausen und um die sich niemand kümmert. Unsere Motivation ist, für Land und Bevölkerung etwas zu tun – dort, wo es der Staat nicht macht und Maßnahmen an Bürokratie und Korruption scheitern. Dabei haben wir uns an den Allerärmsten orientiert.

Erst neulich haben Sie in einer Zoom-Konferenz mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer versucht, Hilfe der Bundeswehr zu bekommen. Was wurde daraus?

Nichts. Wir hatten angeregt, dass die Bundeswehr bei ihrem Abzug aus Afghanistan Dinge, die sie nicht mehr verwenden kann, im Land lässt und an unsere Helfer übergibt. Der zweite Vorschlag war, dass wir die Leer-Flüge nach Afghanistan nutzen, um Hilfsgüter hinzubringen. Wir hatten einen Schriftwechsel mit der Bundestagsabgeordneten Kerstin Vieregge dazu. Aber am Ende hat es nicht geklappt, weil alles fluchtartig unter Stress geschah. Niemand hatte erwartet, dass die Taliban so schnell übernehmen.

Wie bewerten Sie die Lage im Land?

Nachdem die Taliban-Regierung ihre Minister benannt hat, bin ich sehr skeptisch. Ich dachte erst, sie wären nun milder, würden internationales Recht anerkennen und Ruhe ins Land bringen. Aber sie geben sich nach außen nur moderat aus und geben gleichzeitig damit an, den Westen besiegt zu haben. Kein Wort wird über Frauen und die Beteiligung der verschiedenen Ethnien verloren. Ich kann nur beten.

War die Sicherheits- und Wiederaufbaumission umsonst?

Der Einsatz hat Geld und Menschenleben gekostet. Aber es hat sich auch viel geändert. Nicht durch das Militär, sondern durch die Menschen vor Ort. Es wurden Häuser, Fabriken, Schulen und Unis gebaut. Die junge Bevölkerung ist gut ausgebildet, auch Frauen. Ich hoffe, dass sie auf die Barrikaden gehen.

Was bleibt von der demokratisch-islamischen Republik?

Nichts. Die Taliban wollen ein Emirat und eine Islamisierung. Dabei gehören schon 99 Prozent der Bevölkerung dem Islam an, die brauchen nicht islamisiert zu werden. Was die Taliban sagen, steht nicht im Koran. Darin steht: Jeder ist anders, auch andersgläubig. Gekämpft wird nur, wenn man seinen Glauben nicht ausüben kann.

Was braucht das Land?

Ruhe. Es ist wichtig, dass die Vereinten Nationen in Afghanistan aktiv werden, besser Blauhelme als Nato-Soldaten . Es braucht einen Beschluss durch den UN-Sicherheitsrat, damit niemand einmarschiert, und von Afghanistan keine Militär-Aktion ausgeht. Es muss seine traditionelle Neutralität, wie in den Weltkriegen gezeigt, wiedererlangen. Ich wünsche mir einen Status wie die Schweiz. Das Land braucht gute Beziehungen zu allen Seiten. Das ist die Basis für die Zukunft.

Zur Person Dr. Ataullah Zulfacar ist 1942 in Japan geboren worden, wo sein Vater als Erster Botschafter Afghanistans eingesetzt war. Als er fünf Jahre alt war, zog die Familie zurück in die Heimat. Mit 18 ging Ataullah Zulfacar nach Deutschland, wo er die Sprache lernte, Abitur machte und Medizin studierte. Nach verschiedenen Stationen war er von 1980 bis 2007 am Klinikum Lippe tätig. 1983 gehörte Ataullah Zulfacar zu den Gründungsmitgliedern des Ärztevereins für Afghanische Flüchtlinge (AFAF), der sich für eine gute medizinische Versorgung einsetzt, Schulen baut, die Infrastruktur verbessert und die deutsch-afghanische Beziehung stärkt.

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