Ein Urgestein berichtet: Seit 30 Jahren mit dem Taxi durch Detmold

Detmold . Der kleine weiße Teddy ist immer dabei. Er sitzt ganz links hinter der Windschutzscheibe und hat von dort den besten Blick auf die Straße und in den Innenraum. Taxifahrerin Helga Darsow hat ihn einst zur Aufmunterung eines Jungen gekauft, den sie öfters in eine Klinik nach Münster fuhr. Seitdem ist er zu einer Art Maskottchen geworden – ein ständiger Begleiter, der mindestens genauso viele Geschichten kennt wie sie selbst.

Die Detmolderin ist ein &bdquo;Urgestein" in der Branche. Sie fährt bereits seit 30 Jahren Taxi und denkt auch im Alter von 73 nicht ans Aufhören. Zumindest noch nicht so bald. &bdquo;Ich mache meins mit Herz und Seele", sagt sie und lacht herzlich. Der Kontakt zu den Menschen und die Gespräche seien es, die sie antreiben, seitdem sie sich vor 25 Jahren selbstständig gemacht hat. Damals ahnte sie noch nicht, welche Veränderungen die Branche durchmachen würde.

&bdquo;Ping". Das Display des Smartphones, das links neben dem Lenkrad hängt, leuchtet rot. Die Zentrale hat Helga Darsow eine Fahrt zugewiesen. Schon lenkt sie das Taxi aus ihrer Parklücke am Landestheater heraus. Eine Frau soll aus der Wiesenstraße abgeholt werden. Dass ihr deren Name bekannt vorkommt, ist nach so langer Zeit nicht verwunderlich.

Das schnelle Geld ist vorbei

&bdquo;Als ich angefangen habe, konnte man leicht schnelles Geld machen", erinnert sich die Detmolderin und blickt auf die 1990er Jahre. Die Kneipen, die Diskos, die britischen Soldaten, die damals noch in der Region stationiert waren, bedeuteten Kundschaft. Bis Mitte der 1990er Jahre war Detmold mit drei Kasernen der größte Garnisonsstandort britischer Streitkräfte im Kreis Lippe. Doch dann wurden die Soldaten nach und nach abgezogen, die Zahl der Diskos und Kneipen sank, das Freizeitverhalten der Menschen änderte sich – mit massiven Auswirkungen für die Taxi-Branche.

Die Unternehmer mussten sich breiter aufstellen. Das Hauptgeschäft am Tag machen heute die Krankenfahrten aus, neben den klassischen Fahrten zum Friseur oder zum Einkaufen. Nachts bildet das Anrufsammeltaxi einen Teil der Aufträge, das ursprünglich für junge Leute gedacht war, aber auch von vielen anderen Altersgruppen genutzt wird. Die Pandemie brachte einen weiteren Umsatzeinbruch. Das nächtliche Geschäft brach um 70-80 Prozent weg, während die Krankenfahrten am Tag weiterliefen. Mittlerweile hat sich die Lage aber wieder normalisiert.

An der Adresse in der Wiesenstraße angekommen, ist von dem Fahrgast noch nichts zu sehen. Die 73-Jährige fährt ihren Mercedes Kombi vorsichtig durch die schmale Einfahrt und steigt aus. Hier ist vermutlich Hilfe gefragt. Sie geht der Frau entgegen und geleitet sie von der Haustür zum Wagen. Die Seniorin hat Schmerzen und muss zu einem Arzt nach Bad Meinberg. Schnell geht es weiter.

Freundlichkeit ist Trumpf

Hilfsbereitschaft ist der Taxifahrerin wichtig. Nett und freundlich zu sein, sei das A und O. &bdquo;Klar bin ich an manchen Tagen froh, nach Schichtende nicht mehr reden zu müssen, oder auch schon mal genervt. Aber das dürften die Kunden nicht merken", sagt die Detmolderin als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Dabei hat ihre berufliche Laufbahn einmal ganz anders begonnen.

Sie startete als Offset- und Buchdruckerin bei einer Firma in ihrer Heimatstadt Bad Salzuflen, doch die ging irgendwann nach Berlin. Nach der Trennung von ihrem Ehemann musste Helga Darsow umdenken, zwei ihrer fünf Kinder lebten noch zu Hause, das Haus war noch abzubezahlen. Nach einigen Jobs in der Gastronomie habe irgend jemand zu ihr gesagt: ,Du fährst doch gerne Auto. So sei sie schließlich zum Taxi-Fahren gekommen – und, nachdem sie bei der Prüfung zunächst durchgefallen war, dabei geblieben.

Das Gespräch während der Fahrt nach Bad Meinberg dreht sich um den Arztbesuch. Und dann kommt der Geistesblitz. Helga Darsow erinnert sich nun, dass sie die Seniorin vor 14 Tagen vom Notarzt abgeholt und ihr sogar noch einen niedergelassenen Arzt empfohlen hatte. Es folgte eine OP, jetzt geht es zur Abschlussuntersuchung. &bdquo;Ich glaube nicht, dass ich diese Fahrt von der Krankenkasse erstattet bekommen kann", sagt die Kundin. &bdquo;Ich gebe Ihnen trotzdem eine Quittung", entgegnet die Taxifahrerin. Jede Krankenkasse habe ihre eigenen Regeln. Man wisse ja nie.

Nur einmal kam die Polizei

Die 73-Jährige hat sich im Laufe ihrer Berufsjahre einiges an Wissen angeeignet und natürlich auch viel gesehen und erlebt. Gegruselt hat sie sich aber nie, auch nachts nicht. &bdquo;Wenn ich betrunkene Männer nach Hause gebracht habe, hatte ich eher den Eindruck, dass sie froh waren, von einer Frau gefahren zu werden. Es wurde auch mal gemeckert, aber nur, wenn die Männer dachten, ihre eigene Frau säße am Steuer", erzählt die Detmolderin und lacht. Die Briten seien am friedlichsten gewesen, und hätten auch nicht aufs Geld geguckt. Nur einmal in 30 Jahren habe sie die Polizei gerufen, als ein Fahrgast nicht zahlen wollte. Mittlerweile habe sie einen Blick dafür, bei wem es problematisch werden könnte und kassiere dann vorab.

An der Praxis in Bad Meinberg angekommen, hilft Helga Darsow ihrem Fahrgast beim Aussteigen. Dann meldet sie über das Smartphone, dass sie frei ist. Momentan gibt es keine offenen Fahrten, wie in der Übersicht zu sehen ist. Drei Taxis stehen in Detmold am Bahnhof und eines am Landestheater, also geht es erst einmal dorthin zurück. Sie sei ohnehin eine &bdquo;Theatergängerin", denn im Gegensatz zum Bahnhof liegt der Taxistand dort im Schatten. Aber es kann auf dem Weg natürlich noch eine Fahrt herein kommen. Das wird sich zeigen.

Koordiniert werden die Fahrten über die Taxifunkzentrale &bdquo;Deta" (kurz für &bdquo;Detmolder Taxi") – ein Zusammenschluss aus 12 kleinen Taxi-Firmen mit 22 Autos, die keine eigene Zentrale haben und diese stattdessen über den Verbund organisieren und finanzieren. Zu diesen selbstständigen Unternehmern gehört auch Helga Darsow mit zurzeit zwei Fahrzeugen – eines fährt sie selbst, immer von 4.30 bis 13 Uhr; das andere teilen sich ihre Tochter und ihr Schwiegersohn, die auch in der Nacht und am Wochenende fahren.

Der Funk zwischen der Taxi-Zentrale und den Fahrzeugen ist durch ein digitales Vermittlungssystem ersetzt worden. &bdquo;Früher konnte jeder Fahrgast mithören, welche Fahrten reinkamen und wer wohin musste", erklärt die 73-Jährige. Das geht aus Datenschutzgründen nicht mehr. Darüber hinaus eröffnet die Technik weitere Vorteile: Die Kunden können per App bestellen, die Fahrtenvermittlung ist effizienter und die Abrechnung der Krankenfahrten einfacher.

Mit Bütteken und Buch

Zurück am Landestheater reiht sich Helga Darsow in eine Reihe aus mehreren Taxis ein. Vier Fahrzeuge stehen nun vor ihr. Für den Fall, dass sie einmal länger warten muss, hat sie die LZ sowie ein Bütterken und eine Kanne Tee griffbereit. Ein Buch liegt hinter der Windschutzscheibe, und das Handy ist mit der Freisprecheinrichtung verbunden. Und dann gibt es natürlich auch noch die Kollegen. Nein, alleine sei sie nie.

&bdquo;Früher war der Zusammenhalt noch anders", sagt die Detmolderin mit Blick auf die anderen Fahrzeuge. Es seien mehr Unternehmer selbst gefahren, außerdem habe es mehr Selbstständige und Autos gegeben. Das bestätigt auch die Statistik des Kreises Lippe, in der sich seit 2015 eine &bdquo;leicht rückgängige Entwicklung" bei der Zahl der Konzessionen abzeichnet. Nachwuchsprobleme sind ein Thema in der Branche, Studenten als Fahrer so gut wie gar nicht mehr zu bekommen. Auch Helga Darsow hat, seitdem ihr Fahrer verstorben ist, niemanden mehr, der ihren Wagen nachmittags und an den Wochenenden fährt. Also bleibt er stehen.

In zwei Minuten macht es Ping

&bdquo;Sie können ja auch nicht jeden aufs Auto setzen", betont die 73-Jährige. Damit spielt sie nicht nur auf das polizeiliche Führungszeugnis, das Gesundheitszeugnis und ab 60 Jahren den Reaktionstest als Voraussetzungen für den Taxischein an, sondern vor allem auch die Umgangsformen. Wie es für sie weitergeht, weiß sie noch nicht. Konzession und Taxischein müssen alle fünf Jahre neu beantragt werden, drei habe sie noch. Ob sie erneut verlängert? Mal sehen.

Helga Darsows Schicht ist fast zu Ende. Kurzer Anruf bei der Zentrale. Ob es noch eine Fahrt für sie gebe, will die Detmolderin wissen. &bdquo;Warte noch fünf Minuten, dann ist die Hölle los", sagt die Kollegin am anderen Ende. Gleich müssen Schulkinder gefahren und Dialyse-Patienten abgeholt werden. Zwei Minuten vergehen. Dann macht es &bdquo;Ping".

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