Interview mit Dr. Johannes Hütte über die Covid-Situation im Klinikum Lippe

Kreis Lippe . Vor genau einem Jahr hat die LZ über die erste Impfung in Lippe berichtet. Es gab in der Folge ewige Wartezeiten für Impfwillige. Nach dem holprigem Start ist es seit Monaten für alle, die es wollen, ein Leichtes, sich den Piks abzuholen. Dennoch lehnen viele die Impfung ab, auch Menschen in den Pflegeberufen. Für diese wird die Impfpflicht kommen. Die LZ sprach mit Klinik-Geschäftsführer Dr. Johannes Hütte.

Ernüchtert Sie die geringe Impfquote?

Dr. Johannes Hütte: Ja. Die Lage ist insofern ernüchternd, weil zum einen der Sommer von vielen Menschen nicht für die Impfung genutzt worden ist und/oder die Angebote und Ansprachen nicht ausreichend waren. Offenbar haben weite Teile der Bevölkerung die Ernsthaftigkeit des Themas nicht erkannt. Allerdings ist nun ein deutlicher Anstieg festzustellen.

Nun steht die Impfpflicht bevor. Davon hat vor einem Jahr keiner gesprochen ...

Nein, aber etwa die Franzosen haben diese für die Gesundheitsberufe ja schon im Frühjahr eingeführt. Aber sie stellt uns auch vor Probleme.

Welche sind das?

In unserem Krankenhaus haben wir ein Abbild vieler gesellschaftlicher Strömungen. Auch wir haben Mitarbeitergruppen, die die Impfung aus bestimmten Überzeugungen heraus ablehnen. Ich hoffe sehr, dass diese sich noch überzeugen lassen. Sonst dürfen sie nach derzeitigem Stand ab März nicht mehr arbeiten.

Gar nicht mehr? Oder nur noch patientenfern?

Eine Pflegekraft, die patientennah nicht mehr arbeiten darf, ist nicht einsetzbar.

Werden diese freigestellt? In Zwangsurlaub geschickt? Bekommen sie Lohn weiter?

Wir prüfen dies mit Verbänden und den übrigen Krankenhäusern. Es kann sein, dass sie dauerhaft nicht mehr beschäftigt werden können beziehungsweise dürfen und eine Kündigung ansteht.

Das macht ja die Personalsituation nicht leichter. Laut Verband der Krankenhausdirektoren ist diese ohnehin überall schwieriger als vor einem Jahr.

Das ist so. Wie fast alle Krankenhäuser haben wir deutlich zu wenig Pflegekräfte, obgleich wir einstellen, was wir bekommen können, und seit mehreren Jahren Azubi-Plätze deutlich erhöht haben. Aber wir haben mehr als 40 offene Stellen in der Pflege, hinzu kommen Krankheitsausfälle und rund 40 Kolleginnen, die schwanger sind und nicht mehr patientennah arbeiten dürfen.

Wie läuft die Impfpflicht praktisch?

Wir kennen das von der Masern-Impfpflicht. Ich gehe davon aus, dass alle den Impfpass vorlegen müssen. Auch da erlebt man Überraschungen: Es gibt mehr und mehr Fälschungen. Den Verdacht gab es auch bei uns. Derzeit sind mehr als 1800 Mitarbeitende von uns hier im Haus komplett geimpft worden oder bereits genesen. Wie viele sich anderswo haben impfen lassen, wissen wir ja nicht, aber es werden schon mehrere Hundert noch gar nicht geimpft sein.

Ich höre deutliches Unverständnis.

Wir werben intensiv für Impfungen, es gibt Sondertermine und Aktionen. Die Betriebsärztin impft jederzeit. Doch was ich nicht begreife: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen auf den Stationen täglich, was Covid anrichten kann. Es gibt Impfdurchbrüche, ja. Aber das Gros der Schwerstverläufe auf den Intensivstationen sind Ungeimpfte. Sicherlich kann man nicht sagen, wer ungeimpft schwer oder nicht schwer erkrankt – aber warum das Risiko eingehen?

Sprechen Sie Ihre Mitarbeiter dann an? Nach dem Motto: &bdquo;Sie sehen doch, wie es den Menschen geht?"

Wir sind ein Team, und ich möchte keinen Riss durch die Belegschaft. Wir brauchen unsere Mitarbeitenden, die einen guten Job machen. Deswegen bringen wir das Thema nicht im aggressiven Ton nach vorne. Aber es gibt diese Diskussionen natürlich. Und Anfragen an mich, von der Bereitstellung täglicher Teststationen für jeden Ungeimpften bis hin zur Forderung &bdquo;jetzt mal durchzugreifen". Die Situation ist vielschichtig.

Finden Sie persönlich die Impfpflicht also in Ordnung?

Ja. Sie hätte vermieden werden können, aber offenbar ist die individuelle Vernunft in Teilen nicht in der Lage, den kollektiven Zwang zu ersetzen. Ich verstehe es nicht. Die Impfstoffe sind gut erforscht, millionenfach eingesetzt. Und: Wir würden nicht über Kinderimpfung reden müssen, wenn die Erwachsenen mit dem Thema Impfen verantwortungsvoller umgegangen wären.

Sie wollen keinen Riss durch die Belegschaft. Aber der Riss durch die Gesellschaft scheint immer größer zu werden. Wie ist die Stimmung im Haus?

In Teilen von gereizt bis genervt. Da sind wir sicherlich ein Spiegelbild. Die Nerven sind stark beansprucht, weil im Winter auch ohne Covid immer ein hohes Patientenaufkommen da ist. Die Mehrheit unserer Mitarbeiter ist motiviert und engagiert und geht mit der Situation professionell um, aber Spaß macht das im Moment nicht.

Wie sieht es aus mit Überstunden und Urlaubsstau?

In einzelnen Bereichen sind mehrere 1000 Überstunden angefallen. Teilweise konnten wir keinen Urlaub gewähren. Was wieder schwierig ist, da Erholung wichtig ist und es 2022 zusätzliche Belastungen gibt.

Und mehr Geld? Frankreich zahlt 100 Euro Pflegebonus im Jahr.

Die Bundesregierung hat ein Sonderprogramm in Aussicht gestellt. Wobei klar ist: Mehr Geld ist schön, da freuen sich alle. Wenn es aber nur für eine Berufsgruppe und auch noch mit einer Auswahl ist, führt das zu Unzufriedenheit und Streit. Das kennen wir aus der Coronaprämie 2020/21. Aber das Kernthema ist: Uns fehlen Hände. Die fälschlich und fahrlässig in der Öffentlichkeit seit Jahren herbeigeredete geringe Attraktivität des Pflegeberufes ist ein Problem. Wir stellen mehr Auszubildende ein als je zuvor und werben um Nachwuchs. Gleichwohl werden sich Krankenhäuser darauf einstellen müssen, nach heutigen Maßstäben nicht mehr genügend Personal zu bekommen.

Dabei wächst die Baustelle in Detmold täglich, die Uni-Klinik ist gestartet. Das könnte eine Aufbruchstimmung schaffen.

Ja, es läuft, und wir kommen trotz allem gut voran. Aber es ist wahnsinnig viel zu tun, Im Moment stelle ich eher Ermüdungserscheinungen fest. Durch die hohe Covid-Belastung gibt es in den Kliniken keinen normalen Betrieb. Non-Covid-Patienten warten auf Behandlungen und Operationen. Ärzte sind unzufrieden, weil die Geschäftsführung sagen muss: Wir müssen OPs reduzieren – und das über Monate. Das Krankenhaus ist voll, auf Normal- und Intensivstationen. Obendrein mussten wir Stationen schließen, weil Personal etwa zu Gunsten der Intensivstation umgesetzt werden musste oder fehlt.

Das wirkt sich alles aufs Geld aus. &bdquo;Die Finanzlage der Kliniken spitzt sich zu", schrieb die LZ – auch wegen nicht durchgeführter Operationen. Wie sind Ihre Zahlen?

Vor dem Hintergrund der Pandemie bin ich wirtschaftlich durchaus zufrieden – auch wenn die grundlegenden Fehlsteuerungen in der Finanzierung der Krankenhausinfrastruktur vom Land nicht behoben sind. Das Klinikum wird die ursprünglichen ambitionierten Ziele zwar nicht erreichen, aber einen Überschuss von mehr als einer Million Euro erzielen, den wir in erweiterte medizinische Angebote und Baumaßnahmen investieren. Die Thorax-Chirurgie in Lemgo wird deutlich ausgebaut. Im ersten Halbjahr wird weitere Hochleistungsmedizintechnik in Betrieb genommen. Und im Oktober werden wir den Neubau in Detmold schrittweise in Betrieb nehmen. Wir liegen trotz mancher Lieferengpässe im Plan.

Letzte Chance Ein Kommentar von Martin Hostert

Es sind deutliche Worte des Klinikums, und nicht zum ersten Mal. Wenn sich nicht mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort impfen lassen, wird sich die Situation noch weiter zuspitzen: Allen Prognosen zufolge mehr Corona-Erkrankte müssen dann von weniger Pflegerinnen und Pflegern versorgt werden. Und das liegt nicht an der kommenden Impfpflicht, sondern an all denjenigen, die sich nicht impfen lassen wollen.

In einer Silvesterausgabe lohnt ein kleiner Rückblick: Vor einem Jahr haben wir die ersten Impfungen für den Kreis vermeldet. Ein 94-jähriger Bewohner des Friedrich-Winter-Hauses war der erste Lipper, der das Vakzin erhielt. 180 Dosen waren in den Kreis geliefert worden, und es ging los. &bdquo;Endlich!" dachten viele, und &bdquo;schon!" andere. Denn Moderna & Co. hatten das Vakzin in Rekordzeit bis zur Zulassung entwickelt. Es folgten teils chaotische Monate mit Einteilungen nach Geburtsjahrgängen, nicht funktionierenden Anmeldevorgängen, überlasteten Telefon-Hotlines. Doch dann wurde allmählich vieles besser – die Rädchen von Kreisgesundheitsamt, Kassenärztlicher Vereinigung, Wohlfahrtsverbänden und anderen griffen besser ineinander, viele arbeiteten dort bis zur Erschöpfung.

Das Impfzentrum lief, es gab irgendwann genügend Impfstoff für alle, um sich – millionenfach nachgewiesen – in den aller-allermeisten Fällen vor schlimmer Erkrankung zu schützen. Doch einhergehend mit besserer Logistik sank die Impfbereitschaft. Wir saßen im Biergarten und dachten an nichts Böses; die nervige Maske war ein hinzunehmendes Übel. Insofern lohnt sich in einer Silvesterausgabe auch ein Ausblick: Diese Nachlässigkeit, verbunden mit einem bewussten Nein allzu vieler zur Impfung, führt uns dahin, wo wir stehen: der Impfpflicht als letzter Chance, des Virus und seiner Mutanten Herr zu werden.

Interview mit Dr. Johannes Hütte über die Covid-Situation im Klinikum Lippe

Covid-Infektion könnte Blutgefäße schneller altern lassen

Seltene Diphtherie - Kind stirbt nach monatelangem Kampf

Museumsadvent, Kläschen & Weihnachtsmann auf Tour: Die Wochenendtipps für Lippe

Lichterglanz, Riesenrad & Nikolausexpress: 8 Ausflugstipps für die Winterzeit in Lippe

Künstler aus Lippe erheben ihre Stimme für die Demokratie

Türchen 6: Detmold begibt sich auf weihnachtliche Zeitreise

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus