Bürgergeld: Lippische Abgeordnete positionieren sich

Kreis Lippe. Die Debatte rund um das Bürgergeld hatte das Zeug zum Polit-Krimi. &bdquo;Die größte Sozialstaatsreform seit fast 20 Jahren“, wie es aus den Reihen der Ampel-Regierung hieß, wurde jäh von der Union im Bundesrat gestoppt. Es folgten Verhandlungen, harte Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit und ein Kompromiss. Seit dem ersten Januar hat dieses Bürgergeld Hartz IV abgelöst. Doch wie bewerten die lippischen Bundestagsabgeordneten das Ergebnis?

&bdquo;Mit dem Bürgergeld hat die Bundesregierung eine große Sozialreform auf den Weg gebracht.“ Mit diesen Worten beginnt die Bekanntmachung zum Bürgergeld auf der Internetseite der Bundesregierung. Im Vergleich zum Vorläufer Hartz IV ist der monatliche Regelsatz beispielsweise für Alleinstehende und Alleinerziehende um 53 Euro auf 503 Euro angehoben worden. In diesem Fall steigen die Anteile am Regelbedarf für Nahrung um rund 18 Euro, 4,73 Euro mehr gibt es für Telekommunikation und Post und 19 Cent mehr für Bildung.

Zudem wird es weiterhin Sanktionen geben. So können bei Terminverstößen die Leistungen um bis zu zehn Prozent gekürzt werden. Falls Betroffene eine &bdquo;zumutbare“ Stelle nicht annehmen wollen, drohen stufenweise Kürzungen der Leistung von bis zu 30 Prozent. Wenngleich die Sanktionen bleiben, soll sich mit der Reform der Umgang mit den Betroffenen ändern. So sollen die Bezieher des Bürgergeldes eher Berufsabschlüsse nachholen und an Weiterbildungsprogrammen teilnehmen, anstatt in Aushilfsjobs vermittelt zu werden.

Ampel und Union arrangieren sich mit Bürgergeld-Kompromiss Mit dem Bürgergeld-Kompromiss schafften es die beteiligten Parteien, jeweils ihren Stempel auf die Reform zu drücken. &bdquo;Das Bürgergeld schafft eine klare Kurskorrektur in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, für die wir Grüne im Bundestag lange gekämpft haben“, erklärt Robin Wagener, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Die Einführung des Bürgergeldes sei die größte Sozialreform der letzten 20 Jahre, fügt er an. SPD-Abgeordneter Jürgen Berghahn sieht das ähnlich: &bdquo;Mit dem Bürgergeld verabschieden wir uns nicht nur von Hartz IV und lösen ein zentrales Wahlversprechen ein. Wir schaffen auch mehr Sicherheit für Menschen, die beruflich in schwierige Lebenslagen geraten sind.“

&bdquo;Auf Wirken der FDP-Fraktion werden die Hinzuverdienstregelungen für Erwachsene und Jugendliche verbessert, Qualifizierung stärker gefördert“, merkt Christian Sauter, FDP-Bundestagsabgeordneter, an. Für die Union steht das Prinzip Fördern und Fordern im Mittelpunkt. &bdquo;Durch die Mitwirkung von CDU und CSU kommt nun eine Reform, die den Menschen in einer Notsituation hilft und zugleich den Weg zur Selbsthilfe hervorruft“, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Kerstin Viergegge.

Sanktionen als Knackpunkt Letzteres war ein entscheidender Knackpunkt für die Union, das ursprüngliche Bürgergeldgesetz im Bundesrat zu blockieren. Für sie kam der Aspekt des Forderns zu kurz. &bdquo;Auf dieser Basis konnte die Union im Vermittlungsausschuss noch einiges erreichen: Insbesondere wurde die sechsmonatige Vertrauenszeit gestrichen, die Jobcenter haben weiterhin Sanktionsmöglichkeiten und die Grundsicherung wird durch eine ausufernde Erhöhung des Schonvermögens nicht zur alternativen Arbeitslosenversicherung“, berichtet Vieregge.

In den Reihen der Ampel stieß die Initiative der Union nicht gerade auf Begeisterung. &bdquo;Es ist bitter, dass im Vermittlungsausschuss wegen der Blockade der Union im Bundesrat wichtige Verbesserungen wieder weggefallen sind, wie ein höheres Schonvermögen oder die Vertrauenszeit. Insgesamt ist es aber immer noch ein guter Kompromiss und sozialpolitischer Fortschritt“, sagt Wagener. Auch in der SPD-Fraktion stieß das Vorgehen der Union auf Unverständnis. Berghahn: &bdquo;Die Art und Weise, wie die Unionsfraktionen die Debatte rund um das Bürgergeld geführt haben, finde ich nach wie vor mehr als bedenklich.“ So sei das Bürgergeld von CDU/CSU mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gleichgesetzt worden. &bdquo;Und dabei nahmen es beide bei ihren Argumentationen mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau. Die CSU hatte in sozialen Netzwerken falsche Zahlen veröffentlicht, die vom DGB widerlegt wurden“, sagt Berghahn.

Streitigkeiten bleiben ungeklärt Dies bedeutet aber nicht, dass der Streit rund ums Thema Sanktionen in der Grundsicherung geklärt ist. &bdquo;Das grüne Konzept der Garantiesicherung sah vor, die Sanktionen abzuschaffen. Ich selbst bin ebenfalls sehr kritisch gegenüber Sanktionen im Allgemeinen und insbesondere vor dem Hintergrund von Kürzungen am Existenzminimum“, betont Wagener. In der Ampel und im notwendigen Kompromiss mit der Union habe sich aber nicht mehr durchsetzen lassen als das jetzt erreichte.

Dem entgegen stehen die Positionen der Union und der FDP, die Sanktionen für erforderlich halten. &bdquo;Dies ist das Maximum an Sanktionierung, das das Bundesverfassungsgericht per Rechtsprechung ermöglicht hat. Es ist damit ein Gebot der Fairness gegenüber denjenigen, die mit ihren Steuern diese Leistungen finanzieren und hart dafür arbeiten. Es gibt eine Mitwirkungspflicht, auch im Interesse des Steuerzahlers“, so Sauter.

Weitere Inhalte des Bürgergeldes Schonvermögen: Ursprünglich hatte die Ampel geplant, ein Vermögen von 60.000 Euro 24 Monate lang bei den Leistungsbeziehern unangetastet zulassen. Nach den Verhandlungen mit der Union wurde das Schönvermögen auf 40.000 Euro verringert und die Karenzzeit auf 12 Monate verkürzt.

Zuverdienst: Bürgergeldbezieher, die zwischen 520 und 1000 Euro verdienen, können künftig mehr von ihrem Gehalt anrechnungsfrei behalten. Die Freibeträge in diesem Bereich sind von 20 Prozent auf 30 Prozent gestiegen.

Kleinstbeträge: Wenn Leistungsempfänger fälschlicherweise Geld bekommen haben, soll das auch künftig zurückgefordert werden. Allerdings erst ab einer Bagatellgrenze von 50 Euro.

Weiterbildungsgeld: Unter Hartz 4 scheiterte die Berufsausbildung eines Leistungsempfängers oft daran, dass er vorrangig einen Aushilfsjob annehmen musste. Dieser &bdquo;Vermittlungsvorrang“ entfällt künftig. Stattdessen wird ein monatliches Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro eingeführt.

"Das Bürgergeld ist nicht der große Wurf" Während sich die Ampel-Parteien und die Union für den Bürgergeldkompromiss gegenseitig auf die Schulter klopfen, kritisieren Sozialverbände die Änderung der Grundsicherung. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband hat das Bürgergeld keine signifikanten Verbesserungen für die Betroffenen parat. Laut dem Verband müsste der Regelsatz deutlich höher ausfallen und das gesamte System der Grundsicherung, wie zum Beispiel der Berechnung der Regelsätze, reformiert werden.

&bdquo;Die 53 Euro mehr sind angesichts der aktuellen Preise nicht viel und keine ausreichende Kompensation für die Grundsicherungsempfänger“, sagt Katrin Büker, Kreisgruppengeschäftsführerin des Paritätischen in Lippe. Generell müssen aus ihrer Sicht bei der Erhöhung des Regelsatzes auch die Berechnungsgrundlage und die Regelsätze angepasst werden, sonst würde ein höherer Regelsatz keine wirkliche Veränderung darstellen. &bdquo;Das Bürgergeld ist nicht der große Wurf, als der er verkauft wird. Es ist das Rühren in einer Suppe, in der man nur ein paar Gewürze hinzufügt, mehr nicht“, sagt Büker.

Paritätischer Wohlfahrtsverband fordert 276 Euro mehr Konkret müssen, laut einer Pressemitteilung des Paritätischen, die Leistungen auf mindestens 725 Euro angehoben werden, um wirksam vor Armut zu schützen. Der Verband fordert eine entsprechende Erhöhung des Regelsatzes um 276 Euro plus die vollständige Übernahme der Stromkosten und mahnt die Politik zur Eile. Angesichts der Notlage der Betroffenen sei keine Zeit zu verlieren.

Die 276 Euro setzen sich vor allem aus den vom Verband errechneten Regelbedarfen für Verkehr, Freizeit und Kultur und Gaststättendienstleistungen zusammen. Hier fordert der Paritätische mehr als das doppelte des im Bürgergeld veranschlagten Regelbedarfes. Hinzu kommen monatlich rund 24 Euro für Versicherungen, wie eine private Haftpflichtversicherung. Im Bürgergeld ist dafür kein Geld vorgesehen.

25.000 Bürgergeldempfänger in Lippe Im Kreis Lippe beziehen laut einer Pressemitteilung des Jobcenters Lippe rund 25.000 Personen Bürgergeld. Für sie seien im Vergleich zum Dezember 2022 650.000 Euro mehr an Leistungen ausgezahlt worden. Das ist Geld, das Familien in Lippe zusätzlich zum Ausgleich der aktuell vielerorts zu verzeichnenden Preissteigerungen zur Verfügung steht, heißt es in der Pressemitteilung weiter.

&bdquo;Die Vorlaufzeit zur Einführung des Bürgergeldes war denkbar kurz, denn erst Ende November hatten Bundestag und Bundesrat das Bürgergeld beschlossen. Die Mitarbeitenden des Jobcenters mussten viele organisatorische Voraussetzungen für den Übergang zum Bürgergeld schaffen. Das Bürgergeld ist trotz allem pünktlich an alle ausgezahlt worden“, betont Jobcenter-Vorstand Stefan Susat.

&bdquo;Zur Armut verdonnert“ Mit dem Bürgergeld präsentiert die Ampelregierung ihre Reform der Grundsicherung. Doch kurz vor dem Inkrafttreten blockierte die Union die Reform im Bundesrat und schärfte im Vermittlungsausschuss ordentlich nach. Sie pochte auf mehr &bdquo;Fördern und Fordern“ und das Einhalten des &bdquo;Leistungsprinzips“. LZ-Volontär Philipp Kersten hält das für zu kurz gedacht . Ein Kommentar.

Wer Parolen wie &bdquo;Fördern und Fordern“ oder Worthülsen wie das &bdquo;Leistungsprinzip“ rausholt, wenn es um Menschen in der Grundsicherung geht, verkennt die Realität.

Zum einen gab es laut der Agentur für Arbeit im Dezember 2022 rund 750.000 Menschen, die trotz Job aufstocken mussten. Besonders Alleinerziehende sind davon betroffen. Zwar bietet das Bürgergeld für diese Menschen gewisse Verbesserungen, gelöst wird das Problem allerdings nicht. Solange Menschen trotz Arbeit auf Sozialleistungen wie Bürgergeld oder Wohngeld angewiesen sind, ist das Anpreisen vom Leistungsprinzip, ohne das Infragestellen niedriger Löhne, blanker Hohn.

Zum anderen geht die Rechnung der &bdquo;Fördern und Fordern“-Fraktion nicht auf. Denn auf rund 1,9 Millionen offene Stellen kommen 2,4 Millionen Arbeitslose. Und das sind noch die geschönten Zahlen, weil die Arbeitslosenstatistik zum Beispiel Menschen, die älter als 58 Jahre sind, nicht erfasst. Es gibt also hunderttausende Menschen in Deutschland, die durch das Raster fallen und von der Politik zu einem Leben am Existenzminimum verdonnert werden, egal wie groß ihre Leistungsbereitschaft ist. 1,81 Euro für Bildung und rund 13 Euro fürs Essen gehen im Monat ist man abgeschnitten von der Gesellschaft.

Die Konservativen sollten sich ehrlich machen und dabei helfen, das System grundlegend zu reformieren, anstatt vom Leistungsprinzip zu philosophieren, welches sie durch ihre eigene Lohn- und Arbeitsmarktpolitik zerstört haben.

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