Wie aus Mord Totschlag wird: Kriminalwissenschaftler ordnet Detmolder Urteil ein

Detmold/ Münster. Der Fall um den getöteten Thorsten D. in Horn hat besonders durch die Brutalität der jugendlichen Täter über Lippes Grenzen hinaus viele Menschen betroffen gemacht. Gerade sind die drei Schüler (15), die den Mann am 25. Oktober getötet haben, vor dem Landgericht Detmold zu mehrjährigen Jugendstrafen wegen gemeinschaftlichen Totschlags verurteilt worden. Der Haupttäter, der mit dem Messer zustach, soll sechseinhalb Jahre in Haft, die anderen beiden prügelenden Mittäter jeweils fünf Jahre. Aber welchen Unterschied macht es, dass die Kammer vom Mordvorwurf abrückte? Und wie setzt sich die Strafe zusammen?

Prof. Dr. Michael Heghmanns, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften an der Universität Münster, hat den lippischen Fall in den Nachrichten verfolgt und weiß, dass für das zunächst angeklagte Mordmerkmal der Heimtücke feste Kriterien erfüllt sein müssen. &bdquo;Ein Täter handelt heimtückisch, wenn er sich durch das Ausnutzen der Arglosigkeit einen Vorteil verschafft“, erklärt Heghmanns. Weil es keinen Angriff erwartet, sei das Opfer wehrlos.

Das steckt hinter Heimtücke Dazu zählten Attacken von hinten oder auch direkt von vorne, wenn der Täter sein Opfer etwa zuvor in ein freundliches Gespräch verwickele und das Gegenüber mit einem Angriff überhaupt nicht rechnen könnte. Auch jemanden zu vergiften oder im Schlaf zu töten, gehöre zur heimtückischen Kategorie. Ein weiteres Beispiel, das Heghmanns oft seinen Studenten vermittelt: &bdquo;Wenn ich jemanden an einen einsamen Ort locke, von dem er nicht fliehen kann, macht ihn das ebenfalls wehrlos.“ Auch hier sei das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.

Für den aktuellen Horner Fall heißt das: Hätte der erste von einem der jugendlichen Tätter unvermittelt ausgeführte Faustschlag Thorsten D. &bdquo;komplett ausgeknockt“ und dementsprechend wehrlos gemacht, wäre die Bewertung der Kammer wahrscheinlich anders ausgefallen, schätzt der Rechtswissenschaftler. Der Entscheidung der Richter nach sei der Geschädigte aber am Boden eher durch die objektiven Umstände wehrlos gewesen, weil seine Angreifer in der Überzahl und ihm somit überlegen waren. Laut Landgerichtssprecher Dr. Wolfram Wormuth hatte D. noch einen der Mittäter mitgerissen und teils an den Jacken der Schüler gezerrt. als er zu Boden ging. Es habe eine Rauferei gegeben, bei der D. versucht haben soll, die Jugendlichen abzuwehren.

&bdquo;Die entscheidende Frage ist eh, ob die jungen Täter ihn mit dem ersten Faustschlag schon hatten töten wollen oder der Entschluss erst danach gefasst wurde“, sagt Heghmanns. Die Große Jugendkammer ging nun davon aus, dass der erste Faustschlag noch nicht in Tötungsabsicht passierte und somit kein Mordmerkmal vorgelegen habe. Auch Staatsanwältin Helena Fromme rückte vom angeklagten Mordvorwurf ab. Rechtsanwältin Ruth Kanzlsperger, die die Eltern des Getöteten vor Gericht in der Nebenklage vertrat, hielt die Argumentation ebenfalls für schlüssig.

Bei Jugendstrafen steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund Und die Höhe der Strafen? Was das eigentliche Strafmaß angeht, kommt es im Jugendstrafrecht laut Prof. Dr. Michael Heghmanns letztendlich nicht so sehr darauf an, ob es zu einer Verurteilung wegen Mordes oder Totschlags kommt. &bdquo;Der große Strafunterschied ist das nicht.“ Die Höchststrafe von zehn Jahren könne bei besonderen schweren Fällen für beides verhängt werden.

Anders als beim Erwachsenenstrafrecht werde für jugendliche Täter allerdings keine Gesamtstrafe gebildet und genauso stehe nicht die Bestrafung im Vordergrund, sagt Heghmanns. &bdquo;Die Strafzumessung muss nach den Bedürfnissen der Täter ausgerichtet werden.“ Das heißt, in erster Linie gehe es um einen erzieherischen Gedanken und die Frage, wie vorliegende Defizite ausgeglichen werden können, um das Verhalten der jungen Straftäter zu verändern.

Der Horner Fall sei dennoch &bdquo;kitzlig“, sagt Heghmanns, gerade was die Rolle der beiden Mittäter anbelange, die nicht zustachen. Deren Verteidiger hatten deutlich niedrigere Strafen gefordert.

Im Jahr 2020 war ebenfalls eine 15-jährige Jugendliche vor dem Landgericht Detmold verurteilt worden, weil sie ihren schlafenden Bruder (3) mit 28 Messerstichen in Detmold erstochen hatte. Das Gericht verurteilte die Jugendliche damals wegen Mordes aus Heimtücke zu siebeneinhalb Jahren Haft. Auch hier berücksichtigte die Kammer die schwierigen Lebensumstände des Mädchens, weshalb es nicht zu einer Höchststrafe kam.

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