Nach tödlichem Verkehrsunfall in Lügde: Gericht gibt Verurteilten keinen Straferlass

Detmold/ Lügde. Formal geht es um nicht mehr viel - und doch scheint der erneute Prozess für die Angehörigen alles zu bedeuten. Der Zuschauerraum in Sitzungssaal 165 ist daher am Mittwochmorgen voll besetzt, als die Auffangkammer vor dem Landgericht Detmold neu über das Strafmaß nach einem absichtlich herbeigeführten, tödlichen Verkehrsunfall in Lügde entscheiden muss. Am Ende weicht die Kammer unter der Vorsitzenden Richterin Katharina Schikowski nicht einen Monat vom ursprünglichen Urteil ab.

Das Gericht verurteilt den heute 31-Jährigen daher erneut zu acht Jahren Haft wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Daneben erhält er eine fünfjährige Führerscheinsperre.

Der Pyrmonter hatte sein Auto im März 2024 auf der Schnellstraße in Lügde bewusst in den Gegenverkehr gesteuert, weil er aus Sicht der Kammer mit der Trennung seiner Freundin nicht klar kam und sich das Leben nehmen wollte. Bei dem Frontalzusammenstoß starb ein unbeteiligter Dritter, ein 54-Jähriger aus dem benachbarten Emmerthal.

Hinweis der Redaktion: Wer den Gedanken an Selbsttötung trägt, findet bei der Telefonseelsorge unter der Rufnummer 0800 1110111 oder 116 123 Ansprechpartner. Das Krisentelefon Lippe ist unter Tel. (05231) 33377 zu erreichen.

Schuld des Angeklagten ist bewiesen An der Schuld des Angeklagten hatte der Bundesgerichtshof (BGH) keinen Zweifel - das Urteil sei schlüssig dargelegt. Der BGH bemängelte auf Revision des Angeklagten hin einzig, das Schwurgericht habe in seiner Urteilsbegründung nicht gewürdigt, dass der Angeklagte nach der Haft nicht mehr als Berufssoldat arbeiten könne - zumindest theoretisch hätte dieser Umstand zu einer etwas niedrigeren Strafe führen können, nicht müssen.

Letztendlich ist es also ein formaler Fehler der Justiz, der alle Beteiligten an diesem Vormittag erneut zusammenführt. Dass der seit einem Jahr und zehn Monaten in Untersuchungshaft sitzende Pyrmonter seine Rechtsstellung als Zeitsoldat durch das Urteil verliere, stehe allerdings in keinem Verhältnis zu den Folgen für den Getöteten und seine Angehörigen, sagt die Vorsitzende Schikowski nach knapp drei Stunden in der Urteilsverkündung. &bdquo;Dazu hing die Zahl der Opfer nur vom Zufall ab. Es hätte auch drei oder mehr Menschen treffen können.“

Der Kammer bleibt auch nicht verborgen, dass die vielen Tränen des Angeklagten nicht einzig von Reue geprägt scheinen, sondern sich wohl vor allem auf die Folgen beziehen, die dieses Verfahren für seine eigene Person bedeuten. Er blickt dennoch an einer Stelle in den Zuschauerraum und sucht Blickkontakt zu den Angehörigen. &bdquo;Ich kann das nicht mehr rückgängig machen, es tut mir extrem leid“, sagt er. Seine Stimme wirkt wie von Tränen verschluckt. &bdquo;Mir ist es wichtig, Ihnen das ins Gesicht zu sagen.“

Mutter des Getöteten mit rührenden Abschiedsworten Die Mutter des Getöteten schafft es an diesem Tag nicht, im Gerichtssaal Platz zu nehmen und dem Verantwortlichen für den Tod ihres Sohnes ins Gesicht zu schauen. Rechtsanwalt Oliver Engel, der die hinterbliebenen Eltern in der Nebenklage vertritt, verliest daher auf Wunsch seiner Mandantin eine von ihr verfasste Erklärung in seinem Plädoyer.

Die Seniorin spricht darin von dem &bdquo;Tag, an dem ihr Herz verbrannte“. Beschreibt, welche Lücke der Verlust ihres Sohnes in ihr aller Leben gerissen habe. &bdquo;Unendliche Leere hat sich in unserem Haus breitgemacht“, heißt es in dem Schreiben. &bdquo;Ein Platz bleibt leer. Was sind acht Jahre für das Leben unseres Sohnes?“ Die Eltern &bdquo;könnten und werden“ die Tat nicht verzeihen, so trägt es der Anwalt vor.

Einen besonderen Stich ins Herz versetzt den anwesenden Angehörigen dann aber ein Satz, der in den Feststellungen des ersten Urteils niedergeschrieben ist und daher zu Beginn - wie das gesamte Urteil - laut verlesen wird. An der Stelle geht es darum, warum das Gericht Abstand von dem von der Staatsanwaltschaft angeklagten Mordvorwurf aus Heimtücke genommen hat.

Laut Urteil war die Kammer überzeugt, dass das Opfer den aus dem Kreisverkehr kommenden Unfall-Audi mit Licht hätte wahrnehmen müssen. Da der Unfallfahrer auf etwa zehn Metern frontal auf das Auto im Gegenverkehr zusteuerte, sei der 54-Jährige nicht arg- und wehrlos gewesen, hätte sogar &bdquo;möglicherweise wirksam ausweichen können“. Ein Satz, der im Saal spürbare Unruhe auslöst.

Staatsanwaltschaft geht weiterhin von Mord aus Oberstaatsanwalt Christopher Imig macht in seinem Plädoyer keinen Hehl daraus, dass die Ermittlungsbehörde das nach wie vor anders sieht, auch wenn er nicht mehr als die bereits ausgeurteilte Haftstrafe von acht Jahren beantragen kann. Die Umstände offenbarten eine &bdquo;völlig selbstsüchtige Motivation“ des Angeklagten, hält Imig fest. Zehn Sekunden auf der Gegenfahrbahn hätten dem Opfer keine realistische Chance gelassen, den Zusammenstoß zu verhindern. &bdquo;Man muss sehen, dass er dem Tod ins Auge geblickt hat, aber er blieb wehrlos.“

Die verstörte Reaktion der Angehörigen lässt die Vorsitzende Richterin am Ende nicht unkommentiert stehen, selbst wenn der Sachverhalt an sich rechtskräftig feststeht. &bdquo;Wir haben gesehen, dass Ihnen das nahegegangen ist“, sagt Schikowski. &bdquo;Es klingt nach einer Mitschuld, aber das hat niemand so gemeint.“ Die Kammer habe damit nur erläutern wollen, weshalb das Mordmerkmal aus ihrer Sicht nicht gegriffen hat. Dass die Richterin das noch einmal deutlich anspricht, ist der Familie enorm wichtig. &bdquo;Dieser Satz war für uns das Schlimmste“, sagt eine Angehörige.

Rechtskräftig ist auch dieses Urteil nicht. Verteidiger Torsten Gieseke wird erneut für seinen Mandanten in Revision gehen. Er hatte diesmal ein halbes Jahr weniger Haft beantragt. Dass das neue Urteil nicht mal etwas geringer ausfällt, kann der Rechtsanwalt aus Bielefeld nicht nachvollziehen. &bdquo;Das wird der Entscheidung des BGHs nicht gerecht“, sagt Gieseke. Er hätte dagegen verstanden, erklärt der Verteidiger, wenn die Kammer zumindest zwei Monate vom eigentlichen Strafmaß heruntergegangen wäre. &bdquo;Mein Mandant ist kein Traumtänzer.“ Der Fokus des Gerichts habe aber offenbar woanders gelegen - bei den Opfern.

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