Zwischen Freude und Ungewissheit: Wie zwei Syrer in Detmold den Assad-Sturz erleben

Detmold. Dieses Glücksgefühl, das der Sturz des Terror-Regimes von Baschar al-Assad bei Syrerinnen und Syrern auf der ganzen Welt ausgelöst hat, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Auch im Kreis Lippe sind die Menschen von diesem historischen Ereignis überwältigt - 400 gingen allein in Detmold auf die Straße, um ihre Emotionen auszuleben. Aber welche Gedanken und Gefühle beschäftigen syrische Menschen jetzt, die hier leben? Ein Gespräch zwischen zwei Freunden gibt Einblicke in ein zerrissenes Land, das endlich wieder frei atmen kann.

Knapp eine Woche nach der Befreiung ihres Heimatlandes sitzen Shirko Moustafa (32) und Saleem Al Dakkak (28) auf dem heimischen Sofa in Detmold und reflektieren, was gerade passiert ist. Irgendwie ist alles surreal. Beide wirken immer noch euphorisiert, wie befreit von einer Last, die ihnen seit Jahren, eigentlich seit Jahrzehnten, die Luft abschnürte. Unter die Freude mischt sich inzwischen aber große Sorge, wie es in Syrien weitergehen kann - und die Enttäuschung darüber wächst, wie die deutsche Politik mit der erlösenden Nachricht umgeht.

Enttäuschung über Reaktion der deutschen Politik &bdquo;Es ist ja nicht mal nur die AfD, die jetzt laut nach Abschiebung schreit“, sagt Shirko Moustafa ernüchtert. Auch Parteien wie die CDU würden mit der Idee von 1000 Euro Handgeld für Syrien-Rückkehrer in eine ähnliche Kerbe schlagen. &bdquo;Politisch ist das sehr enttäuschend. Mir gibt es das Gefühl: Du warst hier nie willkommen.“ Dabei sollte der historische Moment nach 13 Jahren Bürgerkrieg ein Grund zur Freude sein, auch wenn Syriens Zukunft noch ungewiss sei.

Die Gefühle sind allen voran intensiv. &bdquo;Es ist so, als hätte das innere Kind seine Freiheit zurück“, fasst Saleem Al Dakkak zusammen. &bdquo;Jetzt ist es nicht mehr nur im Ausland frei - sondern auch im Inland.“ Der 28-Jährige kam vertrieben vom Krieg, genau wie sein Freund Shirko Moustafa, im Jahr 2014 nach Deutschland. Beide lernten sich in der damaligen Unterkunft für Geflüchtete an der Adenauer Straße in Detmold kennen, die Stadt ist längst zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. &bdquo;In Deutschland habe ich überhaupt erst die Stabilität gefunden, mir ein Leben aufzubauen“, meint Moustafa.

Trotzdem könnte sich der 32-Jährige theoretisch vorstellen, nach Syrien zurückzukehren, gerade wenn man aus Deutschland weiter &bdquo;rausgeekelt werde“. Dabei zu helfen, das Land mit karikativer Arbeit aufzubauen, hält er für sinnstiftend. Seiner deutschen Lebensgefährtin habe die Idee nicht gefallen, gibt er zu. Und natürlich möchte ihn sein Umfeld gar nicht gehen lassen. Solche bestärkenden Worte täten bei all der öffentlichen Hassrede gut.

Für Saleem Al Dakkak kommt eine Rückkehr für immer überhaupt nicht infrage, sieben oder acht Kollegen hätten ihn darauf bereits angesprochen. &bdquo;Ich bin Deutsch-Syrer. Das bleibe ich. Nur weil Syrien wieder frei ist, verliere ich nicht meine deutsche Identität.“

Der 28-Jährige hat in Lemgo studiert und arbeitet heute als IT-Leiter des Diagnostikinstituts am Klinikum Lippe, Shirko Moustafa war jahrelang als Bankkaufmann tätig und ist inzwischen als IT-Händler selbstständig. Beide kommen aus unterschiedlichen Welten eines zerrissenen Landes: Al Dakkaks wurde in der Hauptstadt Damaskus in eine recht wohlhabende Familie geboren, so beschreibt er es, Moustafa kommt aus Aleppo und ist dort aufwachsen. Seine Familie - der Vater Ingenieur, die Mutter Lehrerin - hat sich als kurdische Minderheit inzwischen in den Nordosten des Landes zurückgezogen.

Zwei Kilometer von ihrem Haus entfernt sollen vor ein paar Tagen mutmaßlich türkische Drohnen Bomben abgelassen haben. &bdquo;Meinen Eltern geht es so lala“, sagt Moustafa und spiegelt damit die Zerrissenheit wider. &bdquo;Wie soll man sich uneingeschränkt freuen, wenn Assad weg ist, die Gefahr für den kurdischen Teil aber nach wie vor nicht gebannt ist?“

Im Sommer hätten seine Eltern das erste Mal für zwei Monate Detmold besucht. Hier bleiben wollten sie nicht, sagt er. &bdquo;Sie haben sich hier nicht wohlgefühlt, hätten ganz neu anfangen müssen.“ Saleem Al Dakkaks Angehörige sind dagegen als Muslime in der Hauptstadt Damaskus sicher und fürchten diese Probleme nicht. Für die in Detmold lebenden Männer spielt der Glaube selbst keine Rolle: Sie sind Atheisten, sagen sie.

Syriens Zukunft ist ungewiss Wenn sich die Detmolder über die Zukunft ihres Geburtslandes unterhalten, ist spürbar, wie unterschiedlich sie manche Nuancen bewerten und wahrnehmen. So kompliziert die Situation in Syrien auch ist, es gibt einen Kern, der alle zu einen scheint: &bdquo;Jeder hat andere Vorstellungen“, sagt Saleem Al Dakkak. &bdquo;Aber: Hauptsache Assad ist weg, dann wird es nicht schlimmer als vorher.“ Die Hoffnung sei, dass das syrische Volk über die Jahre aufmerksam geworden ist und durch kritisches Denken keine Diktatur mehr zulässt.

&bdquo;Ich würde mir wünschen, dass die ganze Welt mehr hinschaut“, sagt Shiroko Moustafa. Damit in Syrien Stabilität herrschen und Demokratie aufgebaut werden könne, sei das Land auf unterstützende Hilfen aus dem Ausland angewiesen, ohne dass die Länder sich direkt einmischten. Dass mit dem Islamisten-Chef Abu Mohammed al-Dscholani ausgerechnet ein ehemaliger Gefolgsmann Al Qaida das neue Syrien fürs Erste anführen soll, bereitet Moustafa und vielen seiner syrischen Freunde Kopfzerbrechen. &bdquo;Ich hätte mir gewünscht, die erste Rede hätte in einem Parlament stattgefunden, nicht in einer Moschee.“

Der gewählte Ort habe einen schwierigen Symbolcharakter. Die Angst davor, einen einzelnen Menschen erneut zur Kultfigur aufsteigen zu sehen, schwingt daher in Shirko Moustafas Herzen mit. Sein Freund Saleem Al Dakkak ist dagegen überzeugt, dass das syrische Volk nicht wieder auf einen &bdquo;Psychopathen“ hereinfallen werde. Schön wäre es, so stellt es sich Moustafa vor, wenn langfristig gesehen eine Frau die erste Präsidentin eines arabischen Landes werden könnte. Das alles klingt nach ferner Zukunftsmusik. &bdquo;Die Freude ist nach wie vor da“, sagt er. &bdquo;Aber wir werden jeden Schritt kritisch beobachten.“ Und auch wenn die aktuelle &bdquo;Hassrede“ in Deutschland enttäuschend sei, lasse er sie nicht auf seinen &bdquo;vorsichtigen Optimismus“ wirken.

Syrien beim Wiederaufbau helfen Saleem Al Dakkak hat mit seinen IT-Kenntnissen eine digitale Plattform gebaut, um die Syrerinnen und Syrer weltweit zu vernetzen. Damit sollen Menschen im Ausland mit ihrer westlichen Expertise im Heimatland helfen können. &bdquo;So können auch die Menschen helfen, wie ich, die nicht selbst für die Freiheit gekämpft haben.“ Kommende Woche soll die Homepage unter dem Titel Anahoon (&bdquo;Ich bin hier“) online gehen. Die Idee ist, den Kontakt untereinander auszubauen, einen zentralen Ort zum Problemmanagement zu schaffen und auch Umfragen einzubetten, die die Meinungsfreiheit abbilden können.

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