Zur Therapie in Extertal: Ein Betroffener erzählt von seiner Mediensucht

Kreis Lippe/Extertal. Eben mal den Weg per &bdquo;Google Maps“ raussuchen, sich ein Bahnticket im Internet bestellen oder im sozialen Netzwerk Instagram surfen. Für die meisten gehören diese Dinge wohl zum Alltag. Für Timo (Name von der Redaktion geändert) dürfen sie das seit einiger Zeit nicht mehr. Der Familienvater hat in den vergangenen Jahren eine ausgeprägte Mediensucht entwickelt, war in diesem Jahr bereits zwei Mal in der Oberbergklinik in Laßbruch in stationärer Behandlung.

Mit völliger Abstinenz versucht er jetzt, seine Sucht in den Griff zu bekommen. Er weiß aber auch: Um irgendwann vielleicht doch einen normalen Umgang mit Handy, Laptop und Co. zu erlernen, braucht es noch viel mehr. Und der Weg, der vor ihm liegt, wird kein einfacher.

Für das Gespräch hat sich Timo einen Text zurechtgelegt, aus dem er vorliest. &bdquo;Um verschiedene Emotionen zu verarbeiten, habe ich angefangen, meine Gedanken aufzuschreiben. Das hilft mir“, erzählt er, bevor er loslegt. Seinen letzten Text hat er überschrieben mit: &bdquo;Ich bin mediensüchtig.“ Eine Erkenntnis, für die er lange gebraucht habe, erzählt Timo. Seit seiner Jugend kämpfe er mit dem Gefühl, negative Emotionen, wie Ablehnung, Kritik, Langeweile, Frustration und Überlastung, kompensieren zu müssen. Schon damals habe er seinen ersten Burn-out gehabt.

&bdquo;Das Internet hat das Ganze verstärkt“, liest Timo weiter vor. Bis zu 16 Stunden am Tag habe er zuletzt auf verschiedensten Online-Plattformen verbracht, sogar bei alltäglichen Erledigungen, wie dem Einkaufen, habe er das Handy in der Hand gehabt, immer mit der Angst, &bdquo;irgendeinen Trend zu verpassen“. Jede neue App sei auf sein Handy gewandert. &bdquo;Im Internet bin ich der realen Welt entflohen und konnte in meine eigene ,Fantasiewelt’ abtauchen“, wie es Timo beschreibt.

Auch pornografische Inhalte kamen dazu Aber nicht nur Apps wie Instagram oder Facebook hat Timo seine volle Aufmerksamkeit gewidmet. Immer mehr wurden auch pornografische Inhalte zu einem Mittel, negative Gefühle auszugleichen. &bdquo;Es gibt kein befreienderes Gefühl als den Orgasmus“, beschreibt er seine Bewältigungsstrategie. Irgendwann allerdings sei der endgültige Kollaps gekommen. &bdquo;Ab Mitte vergangenen Jahres wurden mir in einer ambulanten Therapie Antidepressiva verschrieben“, erzählt Timo.

Anfang 2024 kam dann der vollständige Zusammenbruch, der durch die Sucht noch verstärkt wurde. &bdquo;Als ich weinend auf dem Boden saß, wusste ich, dass es so nicht mehr weitergeht“, sagt er. Die Diagnose: Rezidivierende (wiederholte) schwere Depression. Es folgte die erste stationäre Reha.

Um sich voll und ganz auf seine Genesung zu konzentrieren, verkaufte er seine Firma. &bdquo;Ich war in der Medienbranche tätig, das Internet war mein Job“, erzählt Timo weiter. Heute ist er berufsunfähig, kommuniziert mit einem alten Handy, auf dem Whatsapp und Co. nicht verfügbar sind. Alle Computer im Haus sind so eingerichtet, dass er keinen Zugriff auf das Internet hat. &bdquo;Und das ist gut so“, sagt Timo.

&bdquo;Wenn ich allein wäre und Zugang hätte, würde ich rückfällig werden. Im Moment glaube ich nicht, dass ich jemals eine kontrollierte Nutzung hinbekomme, auch wenn das natürlich das Ziel ist, zumal unsere Welt ja immer digitaler wird.“ Auch nach dem ersten zweimonatigen Aufenthalt in der stationären Therapie habe er mehrere Rückfälle gehabt, nach dem letzten Aufenthalt sei er bislang abstinent.

Süchte machen nach wie vor Probleme Seine Depression, so beschreibt es Timo selbst, habe er inzwischen zu 90 Prozent im Griff. Seine Süchte machen ihm hingegen deutlich mehr Probleme. Um den Hormonspiegel auszugleichen, nehme er nach wie vor Medikamente. &bdquo;Ich muss aber auch sehr viel Persönlichkeitsarbeit leisten“, erzählt er.

In der Therapie habe er gelernt, Verhaltensmuster herauszuarbeiten, die schon in seiner Kindheit geprägt wurden. Vor allem Verlustängste hätten zu überzogenem Leistungsverständnis und damit letztendlich in die Überlastung geführt, sagt er. &bdquo;Aufgeben war nie eine Option für mich“, beschreibt Timo den Druck, den er sich selbst in den vergangenen Jahren gemacht hat. Inzwischen wisse er, wie wichtig es ist, sich nicht abhängig von Fremdbewertungen zu machen, auch mal ’Nein’ zu sagen und erst mal für sich selbst zu sorgen.

&bdquo;Ich vergleiche das immer mit dem Aufsetzen der Sauerstoffmaske im Flugzeug: ’Setzen Sie sich zuerst die Maske auf, dann helfen Sie Kindern und anderen.’ Erst wenn ich selbst genug Luft zum Atmen habe, habe ich auch Luft für andere“, erklärt er.

Und auch wenn er bereit ist, mit der LZ über seine Geschichte zu sprechen, allen Menschen in seinem Umfeld hat sich Timo bis heute nicht offenbart. &bdquo;Das schwierigste war das Outing vor meinen Kindern“, sagt er. Ohne die Unterstützung von ihnen und seiner Frau, da ist er sicher, würde er den schwierigen Weg nicht schaffen. &bdquo;Ein vollständiges Outing wird für mich aber immer mehr zu einer Option, um mich selbst zu befreien“, sagt er. Vorstellen könnte er sich dafür einen Blog oder einen Podcast. Auch um anderen Betroffenen zu zeigen: &bdquo;Ihr seid nicht allein.“

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