Treppe zweifach heruntergestoßen: Sohn gesteht Mordversuch an Mutter (99) in Lemgo

Kreis Lippe. So wie er da sitzt, scheint die Scham ihn fast aufzufressen. Sein Blick geht starr nach unten, die Schultern hängen herunter. Zwischendurch brechen die Tränen aus dem 71 Jahre alten Mann aus Fellbach heraus. In diesen Momenten klingt gerade an, dass seine drei Kinder den Kontakt zu ihm abgebrochen haben. Oder es geht um das, weshalb der Mann im grauen Pulli dort vor dem Schwurgericht auf der Anklagebank sitzt. Er soll am 11. August 2024 seine 99-jährige Mutter zweimal die Kellertreppe in ihrem Wohnhaus in Lemgo heruntergestoßen und sie einfach verletzt liegengelassen haben .

Staatsanwalt Alexander Görlitz geht daher der Anklage nach von versuchtem Mord aus. Das Warum bleibt rätselhaft. Besonders bizarr ist der Fall, weil die Seniorin ihren eigenen Sohn als mutmaßlichen Angreifer an diesem warmen Sommerabend an der Haustür gar nicht erkannt hatte. Und die später hinzugerufene Polizei selbst für einen kurzen Moment an einem Fremdverschulden zweifelte.

Mutter verweigert Aussage Gegen ihren Sohn aussagen will die 99-Jährige zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Detmold nicht, sie macht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Einer ihrer anderen Söhne nennt später den Grund. &bdquo;Das könnte sie gar nicht, das würde sie nicht überleben.“ Die Frau im Rollstuhl sei durch die Tat traumatisiert. Es sei schwer gewesen, sie dazu zu bringen, überhaupt wieder jemandem die Tür zu öffnen.

Eine detaillierte Aussage der Geschädigten benötigt das Schwurgericht unter dem Vorsitzenden Richter Karsten Niemeyer letztendlich nicht mehr. Überraschenderweise ändert der angeklagte Sohn am Freitagvormittag seine Strategie und legt über eine Erklärung seiner Verteidiger Jens Rabe und Henning Schuhmann ein Geständnis ab.

Damals, zwei Tage nach dem Treppensturz, hatte sich der studierte Zahnarzt bei der Polizei in Fellbach noch wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt und eine andere Version erzählt. Seine ursprüngliche Geschichte war, seine Mutter hätte sich im Hausflur vor seinem Schutzanzug, den er wegen einer Autopanne anhatte, erschrocken und sei daher im Rollstuhl die Treppenstufen zum Keller hinuntergestürzt. Er sei daraufhin panisch abgehauen, so hat es die Polizei in Fellbach notiert. Dass diese Version nicht passen kann, war den Ermittlern schnell klar.

Geständnis lässt Konflikte vermuten Jetzt legt er ein Geständnis ab. Verteidiger Jens Rabe liest vor, es täte dem Angeklagten endlos leid. Er habe sich von einem lange brodelnden Konflikt mit seiner Mutter hinreißen lassen und die Frau am Tatabend die Treppe hinuntergestoßen. Zweimal - wie er auf Nachfrage ergänzt, beim ersten Mal soll die Seniorin noch auf dem ersten Absatz vor einer Kurve liegen geblieben sein. &bdquo;Dann werde ich hier wohl sterben“, soll die Frau gerufen haben.

Der Aussage des Sohnes nach, habe er sich über sich selbst erschrocken und dann nach einem Telefon gesucht, um Hilfe zu holen. Als er gerade sein Handy aus dem Auto holen wollte, soll er schon den Pflegedienst über die Lautsprecherbox gehört haben. Diese geht los, wenn die Seniorin den Notrufknopf bedient. Bevor der Sohn das Gespräch annehmen konnte, so die Einlassung, sei es beendet gewesen. Dass er dann einfach gefahren sei, bedauere er sehr.

Die Seniorin hatte blutend im Keller gelegen und mehrere Hämatome davongetragen. Dem Rechtsmediziner nach hatte sie Glück. Hätte sie sich am Kopf verletzt, hätte eine Blutung durch die Blutverdünner leicht lebensgefährlich werden können. Inzwischen lebt die Seniorin wieder in ihrem Einfamilienhaus in Lemgo, wird viermal täglich vom Pflegedienst betreut - wie vorher auch.

Motiv bleibt rätselhaft Was die Motivlage angeht, kommt die Kammer kaum einen Schritt weiter. Verteidiger Jens Rabe gibt offen an, dass sein Mandant immer zumachen würde, wenn es darum gehe. Bei der Polizei in Fellbach hatte der 71-Jährige angegeben, er habe sich mit seiner Mutter beim Gespräch versöhnen wollen, weil die seine neue Ehefrau über Jahre nicht akzeptiert habe. Die Geschichte können weder sein Bruder noch die Nichte richtig nachvollziehen.

Der Bruder (67) selbst hatte den Kontakt zum Angeklagten letztendlich auslaufen lassen, weil der sich während der Pandemie als Impfgegner geoutet hatte und die Ansichten der Brüder nicht mehr vereinbar gewesen seien. &bdquo;Außerdem waren seine frauenfeindlichen Witze zu krass“, sagt der 67-Jährige. Über die Tat selbst, ist der Mann sichtlich geschockt. Auch er kämpft vor Gericht mit den Tränen.

Bis November 2022 soll sich der Angeklagte gut um seine in Lemgo lebende Mutter gekümmert und ihre Angelegenheiten geregelt haben. Die Mutter habe ihrem Sohn auch finanziell ausgeholfen, sagt der in Dortmund lebende Bruder. Dann soll die Seniorin ihrem Sohn bei einem Telefonat berichtet haben, seine Ex-Frau würde mit einem neuen Lebensgefährten zusammenleben. &bdquo;Darauf soll er ausgerastet sein und gesagt haben, ich streiche dich aus meinem Telefonbuch.“ Seitdem habe kein Kontakt mehr zwischen den beiden bestanden. Nach dem Treppensturz und seiner Selbstanzeige hat die Senioren den Sohn aus dem Testament gestrichen.

Der Prozess wird am Donnerstag, 27. Februar, fortgesetzt. Dann soll der psychiatrische Sachverständige sein Gutachten erstatten.

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