KI-Spicken in Lippe: Betrügen im Schulalltag wird immer einfacher

Kreis Lippe. &bdquo;Schulnoten dienen dazu, den Lernfortschritt von Schülern zu bewerten. Sie sollen zeigen, wie gut jemand den Stoff verstanden hat, und dienen auch als Orientierung für Eltern, Lehrkräfte und Schüler selbst.“ Das erklärt künstliche Intelligenz (KI), wenn sie nach dem Sinn von Schulnoten gefragt wird. Und genau diesen Sinn untergräbt KI selbst immer öfter. Denn häufig spicken Schüler inzwischen mithilfe von KI.

Das Problem Wenn Schüler während der Prüfung Zugriff auf ein Smartphone haben, stehen ihnen viele Möglichkeiten offen. KI-Spicken passiert während Klausuren, aber auch während der Abiturprüfung. Ein entsprechender Fall in Hamburg ging 2023 groß durch die Medien. &bdquo;Auch im Unterricht haben die Schüler manchmal das Handy hinter der aufgeklappten Federmappe und lassen die KI über das Mikro bei den Lehrerfragen zuhören“, erzählt ein lippischer Gymnasiallehrer, der anonym bleiben möchte. &bdquo;Wenn dann der Schüler die KI-Antwort vorliest, wird natürlich seine mündliche Mitarbeit deutlich besser, obwohl beim Schüler kein Wissen dahintersteckt.“ Normalerweise sind Handys im Unterricht verboten. Aber bei einer großen Klasse mit 30 Schülern lasse sich das einfach nicht zu 100 Prozent überprüfen, sagt der Lehrer. &bdquo;Das verzerrt natürlich die Bewertungsrelationen, denn es gibt ja auch genügend Schüler, die fair arbeiten.“

Während Klausuren ist das KI-Spicken gerade noch einmal bequemer geworden. Seit Ende 2024 lässt sich Chat GPT im Messenger Whatsapp als Kontakt hinzufügen: Einfach ein Foto der Aufgabenstellung schicken und die KI antwortet nach ein paar Sekunden mit der Lösung.

Die Reaktion Wird der Betrug während der Klausur entdeckt, ist alles klar: Für das, was der Schüler bis jetzt geschrieben hat, gilt die Note 6. Den Rest der Arbeit darf er ohne KI-Hilfe fertig schreiben. Das Erwischt-werden-Risiko ist also begrenzt, seit die Schulen Arbeiten bei Betrugsversuchen nicht mehr komplett mit Note 6 bewerten dürfen. In einigen Fällen dürften Arbeiten, bei denen der Verdacht auf KI-Betrug besteht, aber auch komplett als ungenügend bewertet werden, berichtet Andreas Herm, Schulleiter des Detmolder August-Hermann-Francke-Gymnasiums. &bdquo;Dies soll abschreckend wirken und die Integrität der Prüfungen wahren.“

Schwieriger wird es, wenn erst bei der Korrektur auffällt, dass mit der Arbeit irgendetwas nicht zu stimmen scheint. Wenn beispielsweise bei Fremdsprachen-Klausuren Passagen nicht zum bisherigen Sprachniveau des Schülers passen. Gespickt wird, seit es Schule gibt. Früher ließen sich verdächtige Passagen mithilfe von Google meist schnell im Internet wiederfinden. Der Betrug war bewiesen.

Durch KI habe das Spicken aber eine neue Qualität bekommen, sagt der Lehrer. &bdquo;Das sind nicht mehr vorbereitete Fragen oder abfotografierte Arbeitsblätter. Vor allem in Sprach-Fächern ist die KI ziemlich gut. Bei englischen Shakespeare-Texten ist sie brillant.“ Kein Wunder. Die meisten KI sind mit englischsprachigen Beispielen trainiert worden. Sie &bdquo;denken“ deshalb auf Englisch und übersetzen ihre Antworten dann in die Sprache des Nutzers.

Die Hürden Weil die KI-Antworten aber generiert werden und keine 1:1-Kopie eines vorhandenen Textes sind, ist der Nachweis eines KI-Betrugs mithilfe von Google unmöglich. Überwachungskameras dürfen die Schulen während der Klausuren nicht aufstellen, Handy-Störsender auch nicht benutzen. Erlaubt sind Feststellungsprüfungen im Nachgang. Dabei wird der Schüler gebeten, seine Klausur-Antwort noch einmal mit eigenen Worten mündlich zu erklären. &bdquo;Das ist aber ein enormer Aufwand“, sagt der Lehrer. Besonders, wenn die Fälle von KI-Betrug mehr würden. &bdquo;Wie viele solcher Feststellungsprüfungen wollen Sie denn machen? Wir wollen ja auch noch unterrichten!“

Vor allem könne so ein Vorgehen ja auch auf den Widerstand der Eltern stoßen – was dann ganz viel Bürokratie nach sich ziehe. &bdquo;Beim letzten Notenwiderspruch haben wir etwa 40 Dokumente einreichen müssen: Erwartungshorizonte, Klassenbucheintragungen, Stellungnahmen der Fachlehrer, eine Stellungnahme der Schulleitung... Und das alles nicht digital, sondern auf Papier. Das war ein sehr dicker Packen.“ Und wenn man die Arbeitszeit für die Bearbeitung solcher Widersprüche zusammenzähle... &bdquo;Sie vertragen ein oder zwei Widersprüche, aber keine 20“, sagt der Lehrer. Er wünsche sich deshalb mehr Rückendeckung für die Schulen mit juristisch klaren Aussagen.

Die Chancen Natürlich bietet die Nutzung von KI auch neue Möglichkeiten: Statt für Hörverstehen-Übungen in Sprach-Fächern einen statischen Dialog von CD abzuspielen, können Schüler mit der KI selbst in einer Fremdsprache sprechen. Die KI kann sogar Dialoge mit dem Schüler in einer Art Rollenspiel (&bdquo;Ich bin ein Kunde in einem Bekleidungsgeschäft, Du die Verkäuferin“) umsetzen. &bdquo;KI kann ein Lernturbo sein oder ein Lernkatastrophe“, sagt Clemens Boppré, Schulleiter des Bad Salzufler Rudolph-Brandes-Gymnasiums. &bdquo;KI ist beispielsweise fantastisch für die Nacharbeit von Klausuren.“ Sie lasse sich nach der Analyse der Klausur als Trainer verwenden, um an den eigenen Defiziten zu arbeiten. Auch die Erstellung von Glossaren mit Spezialvokabular zu bestimmten Themen sei für die KI ein Klacks. Sein Kollege Oliver Dudek, Schulleiter der Bad Salzufler Gesamtschule Aspe, unterrichtet Chemie und gab der KI eine grafische Darstellung mit dem Auftrag, diese zu erläutern: &bdquo;Da muss ich meinen Hut ziehen. Das war 1A. Das hat mich an dieser Stelle überflüssig gemacht.“

Boppré sagt: &bdquo;Ich gehe im Unterricht offensiv mit KI um und ermutige die Schüler, sie zu verwenden – als mächtiges Hilfsmittel und nicht als Kompetenzersatz.“ Das zeige den Schülern auch: &bdquo;Das kennt nicht nur ihr. Und wenn ihr KI nicht transparent verwendet, komme ich euch auf die Schliche.“

KI sei nun mal in der Welt und gehe auch nicht mehr weg, sagt Boppré. &bdquo;Das verändert die Art und Weise, wie gearbeitet wird.“ In der Berufswelt und natürlich auch in der Schule, die ja für diese Berufswelt vorbereite. &bdquo;Schüler müssen in die Lage versetzt werden, KI-generierte Inhalte zu bewerten“, schreibt Herm. Allerdings lasse sich Bildung nicht immer abkürzen. Deshalb schaffe man im Unterricht bewusst &bdquo;analoge Zeiten“, in denen wieder nur Stift und Papier genutzt würden.

Wenn die Schüler in Bad Salzuflen im Unterricht mit Tablets arbeiten, können die Lehrer über ein Classroom-Management-System sehen, was auf den einzelnen Bildschirmen vor sich geht. &bdquo;Früher, als es KI noch nicht gab, merkte man bei Rechercheaufträgen schon: Die guten Schüler formulierten bei Google präzise Fragen, um gute Ergebnisse zu bekommen. Die Schwächeren taten sich schon damit schwer, eine präzise Frage zu stellen.“ Genauso sei es auch bei KI. &bdquo;Um den perfekten Prompt [Frage an die KI] zu schreiben, muss man schon viel über die Sache wissen.“

Die Zukunft Die Detmolder Bezirksregierung – Aufsichtsbehörde der Schulen im Kreis Lippe – sieht in KI Potenziale und Herausforderungen gleichermaßen. Das Land NRW plane zum Sommer 2026 ein fünftes Abiturfach, bei dem die Möglichkeiten der Digitalisierung und der KI gezielt als zusätzliche Chancen für die Ausgestaltung des neuen Prüfungsformats angesehen würden, schreibt Pressesprecherin Juliane Koeper. Ziel ist es, dass Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2026/2027 in die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe eintreten, ihr Abitur im Jahr 2029 erstmals in dem neuen Format ablegen.

Gedacht ist an Projektkurse, deren Ergebnisse die Schüler regelmäßig präsentieren und kritisch bewerten müssen – im Abitur mündlich vor einem Kolloquium. Das würde von den Lehrern verlangen, sich unterrichtsbegleitend ähnlich wie ein Doktorvater an der Uni zu kümmern – was deren Schulleiter wiederum schnell an den derzeit geringen Personalschlüssel denken lässt.

Die Kultusministerkonferenz der Länder hat im Oktober 2024 eine Handlungsempfehlung zum Umgang mit KI in Schulen herausgegeben. &bdquo;Die Länder sind sich darin einig, dass ein allgemeines Verbot von KI zur Bearbeitung von in häuslicher Arbeit anzufertigenden Produkten – unter Berücksichtigung der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler – weder zielführend, wünschenswert noch durchhaltbar ist“, heißt es darin.

Und weiter: &bdquo;Prüfungsformate, die juristisch nicht einwandfrei der in der Aufgabe geforderten eigenständigen Leistung einer Schülerin bzw. eines Schülers zugerechnet werden können, werden abgeschafft oder grundlegend weiterentwickelt.“ Abgeschafft wird deshalb voraussichtlich die Facharbeit, in der Schüler sich bislang in einer langen Hausarbeit mit wissenschaftlichen Methoden mit einem Thema auseinandersetzten. &bdquo;Es gibt sie seit 15 Jahren und eigentlich sollte sie aufs universitäre Leben vorbereiten“, erklärt Dudek. In der Q1 (12. Klasse) ersetzte die Facharbeit eine Klausur. Solche eine Hausarbeit ist heute in KI-Zeiten zur Leistungsbewertung nicht mehr tauglich.

&bdquo;Wenn die Kinder ihr Wissen woanders herkriegen, dann müssen wir uns überlegen, ob wir den Prozess stärker bewerten“, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Schließlich gebe es die Schulnote nicht fürs Auswendiglernen, sondern sie solle den Lernprozess beurteilen. &bdquo;Eigentlich beschummeln sich die Schüler beim KI-Betrug ja selbst“, sagt auch Dudek.

Was ist eine Künstliche Intelligenz? Von echter künstlicher Intelligenz sind selbst heutige KIs noch weit entfernt. Das wäre dann eine Künstliche Allgemeine Intelligenz (AGI, artificial general intelligence). Sie sollte jedes Problem lösen können, das auch ein Mensch lösen kann – und vielleicht noch mehr.

Heutige KIs sind Sprachmodelle (LLM, für large language models). Sie sind eigentlich nur dafür gemacht, sehr gut mit Sprache umgehen zu können. Dafür berechnen sie, welches nächste Wort in ihren Antworten wahrscheinlich (!) das richtige ist. Damit sie diese Wahrscheinlichkeitsberechnungen durchführen können, sind sie mit extrem vielen Texten trainiert worden.

Dass LLM-KIs auch Wissensfragen beantworten können, ist nur ein Abfallprodukt dieser großen Trainingsdatenmengen, denn darunter waren auch Wissens-Texte. Deshalb sollte man Behauptungen von LLM-KIs nicht bedingungslos trauen.

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