Lippische Studie beleuchtet Folgen der Zeitumstellung

Lemgo. Zweimal im Jahr drehen Millionen Menschen weltweit an den Uhren – und an ihrer inneren Balance. Am 30. März ist es wieder so weit. Die Zeitumstellung, seit Jahrzehnten etabliert, steht zunehmend in der Kritik. Mediziner, Wirtschaftsfachleute und Energieanalysten diskutieren ihre Auswirkungen kontrovers. Auch an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) wird dazu geforscht. Die jüngste Studie von Doktorand Philipp Neumann und Professor Dr. Korbinian von Blanckenburg liefert eine umfassende Analyse. Ihr Fazit: Aus medizinischer Sicht spreche kaum etwas für die Zeitumstellung – und auch ökonomisch seien die Vorteile fraglich.

Zwischen Sommer- und Normalzeit Mehr als 1,2 Milliarden Menschen in gut 70 Ländern sind von der Zeitumstellung betroffen. Zweimal jährlich werden die Uhren umgestellt: Im Frühling eine Stunde vor, im Herbst eine Stunde zurück. Ziel der Maßnahme war ursprünglich, Energie zu sparen und Tageslicht effizienter zu nutzen. Doch was bringt die Zeitumstellung heute wirklich? Seit mehr als 100 Jahren wird zu ihren Auswirkungen geforscht.

Insbesondere fünf Bereiche stehen im Fokus: Stromverbrauch, Gesundheit, Kriminalität, Verkehrssicherheit und Wirtschaft. Während die Europäische Union bereits 2018 die Abschaffung der Zeitumstellung beschloss, scheitert die Umsetzung bislang an der Uneinigkeit der Mitgliedsstaaten. Die politische Diskussion bleibt also bestehen – umso wichtiger sind fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, findet die FH.

Wissen aus 360 Quellen Die Forschungsarbeit von Philipp Neumann und Korbinian von Blanckenburg trägt den Titel &bdquo;What Time Will It Be? A Comprehensive Literature Review on Daylight Saving Time“. Die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Time & Society erschienene umfassende Literaturreview wertet mehr als 360 wissenschaftliche Studien aus und bringt Licht in ein komplexes Thema.

Ein zentrales Ergebnis: Die erhoffte Energieeinsparung bleibe weitgehend aus. Zwar zeigten einige Regionen einen leichten Rückgang des Stromverbrauchs in den Abendstunden, doch in südeuropäischen und äquatornahen Ländern sei der Verbrauch durch die Zeitumstellung sogar gestiegen. Die Annahme, dass durch längeres Tageslicht weniger Strom verbraucht werde, greife also nicht pauschal.

Gesundheitliche Risiken Aus medizinischer Sicht steht die Zeitumstellung zunehmend in der Kritik. Fachgesellschaften wie die Society of Sleep Medicine und die American Medical Association empfehlen eine ganzjährige Normalzeit. Der Grund: Die Zeitumstellung bringe die innere Uhr des Menschen durcheinander – mit weitreichenden Folgen. Besonders im Frühjahr führe die plötzliche Stunde weniger Schlaf zu Problemen.

Studien belegten einen Anstieg akuter Herzinfarkte und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Tagen nach der Umstellung. Langfristig erhöhe die Sommerzeit das Risiko für bestimmte Krebsarten und könne sogar die Sterblichkeit beeinflussen. Auch psychische Erkrankungen träten häufiger auf: Viele Menschen fühlten sich während der Sommerzeit unwohl und depressive Episoden nähmen zu.

Wirtschaftliche Einbußen Ein weiteres Argument pro Zeitumstellung war lange Zeit ein wirtschaftlicher Vorteil. Doch auch hier zeigen die Daten der Studie ein anderes Bild. Während der Sommerzeit sinke die Produktivität, während Arbeitsunfälle zunähmen. Besonders betroffen seien Berufstätige in Schichtarbeit, deren Rhythmus sich nur schwer an die veränderten Lichtverhältnisse anpasse. Die schulische und akademische Leistungsfähigkeit leide ebenfalls.

Philipp Neumann erläutert: &bdquo;Die Daten zeigen, dass Schülerinnen und Schüler nach der Zeitumstellung größere Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Das könnte langfristig sogar wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen.“ Ein oft genanntes Gegenargument sei die erhöhte Kaufbereitschaft der Menschen während der Sommerzeit – doch wissenschaftlich belegbar sei dieser Effekt nicht.

Verkehrssicherheit Auch in den Bereichen Kriminalität und Verkehrssicherheit gibt es keine klare Antwort. Theoretisch könne eine längere Tageshelligkeit in der Sommerzeit Straftaten reduzieren. Doch die Studienlage ist uneindeutig: Während einige Untersuchungen einen Rückgang bestimmter Delikte zeigten, weisen andere keinerlei Effekt nach. Zudem stammten fast alle relevanten Studien aus Nord- und Südamerika – belastbare Daten für Europa fehlten.

Ähnlich widersprüchlich sind die Ergebnisse zur Verkehrssicherheit. Neumann: &bdquo;Zwar könnte eine hellere Rushhour das Unfallrisiko für Fußgänger und Radfahrer senken, doch der positive Effekt bleibt begrenzt. Gleichzeitig steigt in den Tagen nach der Umstellung das Risiko von Unfällen durch Müdigkeit – besonders bei jungen Autofahrern.“

Praxisrelevanz Die Forschung von Philipp Neumann und Professor Dr. Korbinian von Blanckenburg ist laut FH aus mehreren Gründen von Bedeutung: Sie sei die erste umfassende Analyse, die die fünf zentralen Bereiche der Zeitumstellungsforschung systematisch verknüpfe. Dadurch entstünden neue Impulse für die interdisziplinäre Forschung. Gleichzeitig könne die Arbeit als Grundlage für politische Entscheidungen dienen. Denn während die Diskussion über die Zeitumstellung auf EU-Ebene weiterläuft, lieferten die neuen Erkenntnisse der beiden Forscher an der TH OWL eine faktenbasierte Argumentationshilfe. Sollte die Zeitumstellung in Europa tatsächlich abgeschafft werden, könnten Studien wie diese den Weg dafür ebnen.

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