Bashir Jamali: Von der Flucht aus Afghanistan in die Detmolder Sterneküche

Kreis Lippe/Detmold. Seinen Geburtstag kennt Bashir Jamali nicht. Aber immerhin: Jetzt hat er einen. Offiziell. Schwarz auf weiß. In seiner Heimat Afghanistan war das nicht der Fall. Als er nach drei, vier Monaten auf der Fluchtroute über Iran, die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Deutschland kam, müsse er 18 gewesen sein - oder 19. Jetzt, mehr als zehn Jahre später, hat ihm der deutsche Staat ein Geburtsdatum zugewiesen: den 1. Juni 1991. Jamali ist überglücklich, seinen neuen und zugleich ersten unbefristeten Aufenthaltstitel in Händen halten zu können. Ein Dokument, eine Lebensversicherung.

Seine Familie hatte diese nicht. Sie ist tot. Bashir Jamali hat in Afghanistan alle Menschen verloren, die ihm lieb waren. Dort, in der Provinz Badakhshan im Nordosten des Landes, sei Afghanistan ein &bdquo;Land ohne Gesetz“. &bdquo;Dort ist kein gutes Leben möglich“, sagt Jamali. &bdquo;Spazierengehen, Einkaufen - bedeutet Angst. Hast du ein bisschen Geld in der Tasche, wollen dich Leute töten und dein Geld nehmen.“

Zwei Mal durchgefallen Stöhnen hierzulande viele über Bürokratismus und Verwaltungshürden, ist Deutschland für den 33-Jährigen &bdquo;das Land der guten Gesetze“. Auch wenn sie ihm selbst das Leben schwer gemacht haben. Denn so unfassbar Bashir Jamalis Geschichten aus Afghanistan und von der Flucht klingen, beinahe unvorstellbar sind auch die Hürden, die der junge Mann aus dem Weg räumen musste, als er nach Deutschland kam.

Ein Lied davon kann auch Jan Diekjobst, Gastronom aus Detmold, singen. In dessen Sterneküche arbeitet Jamali seit ein paar Jahren. Aber so glatt, wie das Messer die Eismeerforelle aus dem dritten Gang teilt, lief das nicht. Siehe die Gesellenprüfung: Den Praxisteil habe sein Schützling mit einer glatten Zwei bestanden. &bdquo;Aber aufgrund der Sprachbarriere hat Bashir dann die Theorie nicht verstanden - zwei Mal durchgefallen“, erinnert sich Diekjobst.

Diekjobst bleibt hartnäckig Sprachkurse habe der angehende Koch belegt, seinen Willen zur Integration mithin bewiesen. Insofern fehle ihm das Verständnis, dass beispielsweise komplizierte Wirtschaftsfragen nicht in der jeweiligen Landessprache gestellt werden. &bdquo;So verlieren wir Fachkräfte für einen Arbeitsmarkt, der sie dringend braucht - egal aus welchem Land.“

Denn: Zunächst als Geflüchteter nur geduldet, hätte Bashir Jamali sein Aufenthaltsrecht wieder verloren, wäre er nicht in Ausbildung oder Arbeit gewesen. Und inzwischen schiebt die Bundesregierung Afghanen auch wieder ab. Dem Detmolder Jamali kann das nicht mehr passieren. Er hat auch aufgrund seiner Festanstellung mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis. Auch weil Jan Diekjobst hartnäckig blieb: &bdquo;Ist mir doch egal, ob Bashir seine Prüfung bestanden hat. Er ist immer fleißig, immer pünktlich - ein Vorbild für andere in Sachen Arbeitsmoral.“ In der Küche von &bdquo;Jan’s Restaurant“ verantwortet Jamali mittlerweile drei Vorspeisen.

&bdquo;Im Hotel kommt die Polizei“ Ob Bashir an die Flucht denkt, während er die Hibiskusblüten anrichtet? An seine Familie? An Afghanistan? &bdquo;Manchmal“, räumt er ein. &bdquo;Dann bin ich traurig um meine Familie, die tot ist. Aber das habe ich hinter mir gelassen. Der Kopf muss frei sein.“ Auch frei von den Erinnerungen an die Flucht. Mit Bussen, Autos, zu Fuß ... tage-, wochen-, monatelang.

&bdquo;Man schläft viel auf der Straße, weil im Hotel oft die Polizei kommt“, sagt Bashir. Umgerechnet 8000 Euro hat er an Schlepper und andere Profiteure entlang der Fluchtrouten bezahlt, damit er vorankam. Als er in Deutschland war, kamen immer noch Drohanrufe, er solle mehr bezahlen, sonst werde man ihn suchen und finden.

Traum vom Führerschein Für Jan Diekjobst ist das eine Geschichte, die sein Angestellter lebenslang mit sich herumtragen werde. &bdquo;Aber sie ist nicht das Hier und Jetzt. Jetzt geht es um unseren Respekt gegenüber der Arbeit, die Bashir gut macht“, betont Diekjobst. Wenn Jamali Hilfe braucht, bei einer neuen Wohnung, die er nach Blomberg deutlich zentraler in Detmold gefunden hat, beim Kauf und Transport einer neuen Waschmaschine, dem Umzug oder, wie man einen Führerschein macht, - &bdquo;wir alle helfen, wir sind jetzt seine Familie“, sagt Sternekoch Diekjobst.

Stichwort Führerschein: Der bedeutet für den 27-Jährigen Freiheit und steht als nächster Punkt auf der Wunschliste. &bdquo;Einfach ins Auto setzen und losfahren“, davon träumt der gebürtige Afghane. Einkaufen in Bielefeld war er schon, ebenso in Köln und Düsseldorf, oder neulich beim Heimspiel des TBV Lemgo ... vor zehn Jahren hätte Jamali nur davon träumen können. Nach acht Jahren Schule in Afghanistan aber dort nie in einem Job, kann man seine Karriere wohl als steil beschreiben. Gelernt hat er mit viel Talent und Willenskraft, bescheinigt ihm Diekjobst.

Erste Anstellung im Brauhaus Der Lohn: nicht nur der sichere Aufenthaltstitel. Sondern auch eine eigene Wohnung, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, Rentenversicherung, Krankenversicherung ... Selbstverständlichkeiten für die meisten Deutschen. Für Geflüchtete eine Traumwelt, die oft eine solche bleibt. Das liege auch an den vielen Hürden, die es gebe, sagt Diekjobst. Aufgebaut meist von Behörden, die nach Vorschrift handeln und nach Aktenlage urteilen müssen. Diekjobst: &bdquo;Ich habe Verständnis für jeden Kollegen, dem solch’ ein Ritt durch die Instanzen zu kompliziert ist.“

Der Ritt sah bei Bashir Jamali so aus: Erstaufnahme in Frankfurt am Main, dann mehrere Monate im Heim in Blomberg. Im Brauhaus in Detmold fand er seine erste Anstellung, bis zum Beginn der Ausbildung arbeitete er durchgängig in verschiedenen Gastronomiebetrieben Detmolds. &bdquo;Zehn Jahre im Geschäft“, sagt er selbst. Dazwischen immer wieder Deutschkurse, Qualifizierungen und Termine beim Sozial- sowie Ausländeramt.

&bdquo;Zur falschen Zeit am falschen Ort“ Letzten Endes bleibt für Jamalis Chef Jan Diekjobst eines hängen: Keinen Menschen nach seiner Herkunft zu beurteilen. &bdquo;Niemand kann etwas dafür, wenn er zur falschen Zeit am falschen Ort geboren ist.“ Wie Bashir Jamali - auf seinen Geburtsort und seine Zeit blickt er mit Schmerz. Aber, wie gesagt, auch mit der nötigen Distanz.

Im Detmolder Hof isst das Küchenteam selbst, bevor die Gäste kommen. Reihum wird das Team bekocht. Wenn Bashir Jamali dran ist, gibt es geschmorte Lammhaxe, wie sie die Afghanen mögen ... mit Zwiebeln, Knoblauch, Safran und Reis. &bdquo;Drei bis vier Stunden muss das köcheln“, sagt der 33-Jährige. Ein Stück Heimat, das nicht wehtut, sondern von innen wärmt. Vor allem, wenn man es in der &bdquo;Familie“ genießen kann.

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