Bad Salzuflen. Etwa 300 bis 350 Besucher kommen im Schnitt zu den deutschlandweiten Konzerten der Metal-Band Soulbound mit dem Bad Salzufler Sänger und Frontmann Johannes Stecker. Anfang August dürfte ein Vielfaches vor der Bühne stehen – dann erhält Soulbound das, was in der Szene als musikalischer Ritterschlag gilt: Die Gruppe spielt auf Wacken (Wacken Open Air, kurz W:O:A), einem der größten Heavy-Metal-Festivals weltweit. Ob man angesichts von knapp 100.000 Besuchern auf den Ackern der kleinen schleswig-holsteinischen Gemeinde nicht demütig wird, verrät Johannes Stecker im Interview. Erst jüngst habt ihr eure erste Headliner-Tour gespielt – dieses Jahr dann Wacken. Ist das zu fassen? Johannes Stecker: Ehrliche Antwort? Lange war es das nicht. Bis ich das begriffen habe, hat es gedauert – nicht, weil es so märchenhaft ist, sondern weil unser Weg bis hierher einfach lang und komplex war. Es gab viele Höhen, aber auch Phasen, in denen wir dachten, wir treten auf der Stelle. Dass wir jetzt auf einem Festival wie Wacken spielen dürfen, fühlt sich riesig an und wir sind ohne Ende dankbar dafür – klar. Aber es ist auch das Ergebnis von vielen Jahren Arbeit, kleinen Schritten und wachsendem Vertrauen in das, was wir tun. Was heißt das genau? Johannes Stecker: Letztes Jahr haben wir unsere erste nahezu ausverkaufte Headliner-Tour gespielt, unser Album „obsYdian“ veröffentlicht – und sind damit zum ersten Mal auf Platz 12 in die Albumcharts eingestiegen. Das waren alles Meilensteine und Wegvorbereiter. Wacken jetzt ist noch mal ein besonderes Highlight, ein Aushängeschild – aber wir verlieren dabei nicht aus dem Blick, wie wichtig auch all die kleinen Festivals waren, die seltener in den Fokus geraten, die für uns aber besonders prägend und hilfreich waren. Wir wissen, woher wir kommen und wem wir was zu verdanken haben. Wacken – wie arbeitet man auf so ein großes Ziel hin? Johannes Stecker: In unserem Fall: gar nicht. Wir haben Wacken nie als festes Ziel formuliert – einfach, weil die Gefahr zu groß ist, sich zu verrennen und am Ende enttäuscht zu werden. Die Szene ist voll von großartigen Bands, Künstlerinnen und Künstlern, die es verdient hätten, ganz oben zu stehen – und es trotzdem nie schaffen. Was du wirklich brauchst, ist Leidenschaft, Ausdauer, die richtigen Kontakte – und ja, am Ende auch ein bisschen Glück. Hattet ihr bereits Berührungspunkte zu Wacken? Johannes Stecker: Ja, ich hatte tatsächlich die Ehre, letztes Jahr schon auf dem Wacken Open Air zu sein – allerdings nicht als Musiker auf der Bühne, sondern als Gastredner. Wie findet so etwas seinen Platz auf Wacken? Johannes Stecker: Die Einladung kam über den Spiegel-Bestseller-Autor Dr. Nico Rose, der sich intensiv mit psychischer Gesundheit im Metal-Kontext beschäftigt und ein Buch über die Metal-Fanszene geschrieben hat. Ein wichtiger Teil unserer Bandarbeit ist das Engagement gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen. In diesem Zusammenhang wurde ich zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Depression eingeladen. Eine Podiumsdiskussion auf Wacken? Johannes Stecker: Unbedingt. Das ist ja gerade das Faszinierende an der Metal-Szene: Sie ist vielschichtig, reflektiert und offen für gesellschaftlich relevante Themen. In Wacken gibt es Umweltorganisationen, Initiativen für den Umgang mit psychischen Beeinträchtigungen, und Gruppen, die sich politisch und gesellschaftlich engagieren. Wacken ist musikalisch das Mekka – aber eben auch eine Art Messe, ein Treffpunkt der Szene, mit allen Themen und Gefühlen, die relevant sind. Ich vermute, der Talk mit Rose lief 2024 nicht zur Primetime auf der Hauptbühne? Da sind dann doch eher Limp Bizkit, Iron Maiden, Korn, die Scorpions oder dieses Jahr Guns N’ Roses gefragt. Wann darf denn Soulbound spielen? Johannes Stecker: Verständliche Frage, mit der ich gerechnet habe, aber die Antwort darf ich noch nicht geben, weil Wacken noch keine Zeitpläne veröffentlicht hat und sich hier und da noch was verschieben kann. Was ich verraten kann, ist, dass wir einen guten Slot bekommen haben, mit dem wir sehr, sehr glücklich sind. So glücklich wie eure Fans? Johannes Stecker: Absolut. Unsere Community fiebert richtig mit, weil sie unseren Weg über viele Jahre mitverfolgt hat. Viele wissen, dass wir uns Stück für Stück hochgearbeitet haben. Und wenn man so lange gemeinsam unterwegs ist, fühlt sich ein Meilenstein wie dieser nicht nur für uns groß an, sondern auch für alle, die uns auf dem Weg begleiten. Wie bereitet ihr euch denn auf die Stunde auf der Bühne vor? Johannes Stecker: Wir nehmen sie genauso ernst wie fast jede andere. Wacken ist ein großes Festival, mit viel Sichtbarkeit – das ist uns bewusst und dem wollen wir auch gerecht werden. Aktuell stecken wir nur auch mitten in der Arbeit am neuen Album. Deshalb heißt es jetzt: Tempo anziehen, fit werden, Texte auffrischen – und dann mit voller Energie in die Vorbereitung für alle anstehenden Festivals gehen. Was mit der Erfahrung von 16 Jahren in der Musikbranche sicher auch Frage der Übung ist. Johannes Stecker: Erfahrung hilft natürlich – nach 16 Jahren weiß man, wie man sich vorbereitet und eine Setlist baut, die funktioniert. Aber Wacken ist kein Routine-Gig. Da steckt trotz aller Übung immer noch Respekt und Vorfreude drin. Wird Wacken anstrengender als „normale“ Klubkonzerte? Johannes Stecker: Ich würde sagen, emotionaler. Das haben wir zum Beispiel beim Rockharz-Festival schon ähnlich erlebt. Alles ist noch professioneller, noch durchgetakteter. Und natürlich gehen auch Selbstzweifel mit auf die Bühne. Du fragst dich: Kommt das an, was wir hier machen, kommen genug? Berührt das die Leute? Gerade bei so großen Festivals ist dieser Druck noch mal stärker spürbar. Aber genau das macht’s auch besonders. Wie viel Professionalität ist dabei, wenn ihr ganz normal auf Tour geht? Johannes Stecker: Man darf sich da nichts vormachen – unsere Band ist nach wie vor eine Mischung aus Berufung und Nebenjob. Ich arbeite ganz normal im Gesundheitswesen und lege für die Band im Schnitt noch mal locker 30 bis 40 Stunden pro Woche obendrauf. Wenn wir auf Tour sind, läuft vieles im kleinen, eingespielten Kreis: Ein Freund macht seit 15 Jahren unsere Tontechnik, meine Frau steht am Merch-Stand. Licht, Ton, Bühnenaufbau – das stemmen wir größtenteils selbst. Es wirkt vielleicht von außen größer, aber vieles entsteht mit viel Eigeninitiative, Einsatz und Herzblut. Sprich: Das Bild vom schillernden Leben als Rockmusiker ist ein Märchen? Johannes Stecker: Für einige wenige – wenn man sich die Headliner auf Wacken anschaut – sicher nicht. Aber auch wenn wir mit unserem aktuellen Album auf Platz 12 in die Charts eingestiegen sind und acht von zehn Shows ausverkauft waren, reicht das noch lange nicht, um finanziell unabhängig zu sein. Mit dem Erfolg wachsen eben auch die Ausgaben. Und im Streaming-Zeitalter ist einfach längst nicht mehr so viel Geld in der Branche unterwegs, wie es wohl mal früher gewesen sein muss. Woran liegt das? Johannes Stecker: Früher war es tatsächlich der Verkauf von CDs, später auch Downloads, der einen Großteil der Einnahmen ausgemacht hat. Heute hat sich das komplett gedreht. Streaming bringt Reichweite, aber finanziell kaum Substanz. Auch Vinyl ist eher ein Liebhaberprodukt und kein echter Umsatztreiber. Mittlerweile ist es oft so, dass Live-Auftritte und Musik vor allem dafür da sind, Aufmerksamkeit zu erzeugen – und am Ende am Merchandise-Stand die Kosten irgendwie wieder reinzuholen. Klingt nach ständigem Druck, abliefern zu müssen ... Johannes Stecker: ... und ganz ehrlich? Der ist größer geworden. Durch Social Media und Ähnliches. Als kleinere Band hast du keine PR-Abteilung wie die ganz Großen und musst trotzdem laufend aktiv sein, etwas von dir preisgeben, den Kontakt zu deinen Fans halten. Du bist also Manager, Songwriter, Content-Creator, Tourmanager, Techniker, Produzent, PR-Experte, also dein eigenes Mini-Unternehmen. Klingt nach Zerreißprobe. Johannes Stecker: Das ist es. Und es funktioniert nur, weil wir wirklich dafür brennen. Ich liebe es, mich durch Musik auszudrücken – allein das ist mir den ganzen Stress wert. Dass wir mittlerweile an dem Punkt sind, an dem sich das Projekt zumindest selbst trägt, ist für uns ein riesiges Glück. Der wirkliche Aha-Moment kam aber erst letztes Jahr mit unserer ersten eigenen Headliner-Tour. Nach so vielen Jahren als Vorband hat unser Booker irgendwann gesagt: „Jetzt seid ihr dran.“ Der Gamechanger? Johannes Stecker: Ich sehe das so und bin froh, dass er uns überzeugen konnte. Euch überzeugen? Bei dem Angebot, sagt man da Nein? Johannes Stecker: Das habe ich lange Zeit. Eigentlich dachte ich, wir wären noch nicht so weit und wir haben uns nicht getraut. In uns steckt immer noch dieses Gefühl, Konzerte zu spielen, bei denen außerhalb unserer Heimat kaum jemand auftaucht. Und jetzt kommen Menschen gezielt, um uns zu sehen, und sie tragen unser Merch. Das macht mich vor allem dankbar. Und demütig. Seht ihr Wacken als Zwischenstation oder habt ihr euer Ziel erreicht? Johannes Stecker: Nein, wie könnten wir? Wir machen Musik nicht, um einmal auf Wacken zu spielen, sondern weil wir sie lieben – und weil da noch viel vor uns liegt. Das nächste Album ist gerade in Arbeit, und mit der kommenden Tour wollen wir auch beim Booking den nächsten Schritt gehen. Größere Klubs, größere Verantwortung – und natürlich bedeutet das auch: wieder Urlaub opfern, morgens mit Schminkresten im Gesicht aus dem Tourbus zur Arbeit. Aber genau das ist der Alltag, den wir uns ausgesucht haben. Und den wir auch irgendwie lieben. Bleib da noch Zeit, selbst Musik zu konsumieren und Konzerte zu besuchen? Johannes Stecker: Eher selten. Und wenn, dann höre ich Musik inzwischen ganz anders. Als Musiker kannst du den analytischen Blick nur selten abschalten – ich achte auf Stimmen, Arrangements, Texte, Wirkung. Der private, naive Zugang zu Musik ist ein Stück weit verloren gegangen. Aber dafür habe ich einen neuen gewonnen: einen tieferen Respekt für das, was andere schaffen – und den Wunsch, selbst immer weiter dazuzulernen. „Johnny“ Stecker: Zurück zu den Wurzeln Johannes „Johnny“ Stecker (44) stammt aus Bad Salzuflen, wo er auch das Gymnasium im Lohfeld besuchte. Nach Stationen in Berlin und Bielefeld ist er wieder in seine alte Heimat zurückgekehrt. Bereits in den 2010er-Jahren engagierte er sich musikalisch und organisatorisch für die Benefiz-Festivalreihe „Rock am Hallenbrink“ – zugunsten des Kinderschutzbundes Bad Salzuflen und der Einrichtung „Herberge zur Heimat“ in Detmold. Seit 2009 steht Johnny mit seiner Metal-Band Soulbound auf der Bühne – einer Formation mit lippischen und Bielefelder Wurzeln. Soulbound bezeichnen ihr Genre augenzwinkernd als „We-Don’t-Give-A-F***-Metal“: ein bewusster Bruch mit starren Schubladen und Genregrenzen, um die oft dogmatische Frage, was „echter“ Metal sei, spielerisch zu hinterfragen. Neben der Musik arbeitet Johnny nach dem Studium als approbierter Psychotherapeut in einem Bielefelder Krankenhaus.