Bestseller-Autor aus Lippe erklärt: So waren die Germanen wirklich

Oerlinghausen. Es klebt der berühmte rote &bdquo;Spiegel-Bestseller“-Aufkleber auf dem Cover: Mit &bdquo;Das wahre Leben der Germanen“ hat Karl Banghard einen Bestseller verfasst. Im LZ-Interview erzählt er, wie es dazu kamen, welche Rolle das Hermannsdenkmal spielt und welche Bücher er als nächstes schreiben will.

Spiegel, Zeit, Geo, die London Times waren da - und jetzt kommt obendrein auch noch die LZ zu Ihnen - haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?

Karl Banghard: Schon ( lacht ) Das Buch war übrigens gar nicht meine Idee. Aber das Setting kommt erfahrungsgemäß bei Sachbüchern gut an, und wenn es überdies so ein Outlaw aus dem hintersten Oerlinghausen schreibt und kein Professor, macht es die Sache für die Leserschaft noch interessanter. Der Verlag hatte gefragt, ob ich das Buch schreiben wolle, es müsse in einem halben Jahr fertig sein. Dieser Druck tat mir gut. Ein Aufschub hätte die Aufgabe noch größer gemacht. Das war eine schöne Zeit. Den Urlaub zu canceln, abends zu schreiben.

Der Verlag hat Sie angerufen? Das läuft doch sonst umgekehrt.

Karl Banghard : Die kannten meine Blogs und ein paar Aufsätze. Da haben sie gedacht: Das ist gut, das ist einer, der sich mit den Rechten herumschlägt, da geraten wir nicht ungewollt in dieses Fahrwasser.

&bdquo;Das Buch eines Outlaws“, sagen Sie. Ich habe bei Ihrem Kapitel über Runen-Schrift beim Lesen von Wörtern wie &bdquo;UlldeR“ gedacht &bdquo;das wären ja astreine Ork-Namen“. Im nächsten Satz lese ich dann tatsächlich &bdquo;() schöne Ork-Namen für die nächste Tolkien-Verfilmung“. Wie schaffen Sie es als Outlaw mit Ihrer Buchpremiere, das Gespür der Leser so zu treffen?

Karl Banghard : Ja – der Stil ist offensichtlich eingeschlagen. Natürlich weiß der Verlag, was sich verkauft und was nicht. Ich wollte locker schreiben. Üblich ist nämlich, dass entweder ein rechter Autor muffig schreibt, weil er seit 1945 nichts dazugelernt hat. Oder es schreibt jemand aus der Wissenschaft, der sich ständig dafür entschuldigt, dass er das Thema in die Hand nimmt. Beides hat eine gewisse Schwere.

Sie sind einer, &bdquo;der sich auch mit den Rechten herumschlägt“, sagen Sie. Im Buch heißt das dann hintergründig, &bdquo;der germanische Mist stank noch beim Ausgraben.“

Karl Banghard: Klar ist das doppeldeutig, Aber es ist tatsächlich so. Wenn man Glück hat, in der Feuchtboden-Archäologie, stinkt der Mist noch wie vor zwei Jahrtausenden.

&bdquo;Das wahre Leben der Germanen“ ist ja überdies ein provokant-ironischer Titel.

Karl Banghard: Ich hätte es ja auch &bdquo;die wirklich wahre Geschichte der Germanen“ nennen können ( lacht ). Obwohl es in der Geisteswissenschaft die reine Wahrheit gar nicht gibt, wir sind keine Naturwissenschaftler. Ich wollte aber bewusst gegen die Mainstream-Geschichte steuern, die wir immer hören, Varusschlacht und Hermann und so.

Stellen Sie etwa Arminius in Frage?

Karl Banghard: Nein, natürlich nicht. Aber diese heutige Vorstellung von ihm, dass einer auf Dauer alleinherrschend sagt, was zu tun ist, das wollte man vor 2000 Jahren hier ganz offensichtlich nicht. Östlich des Rheins gab es nur dezentrale Strukturen. Arminius war kein unangefochtener Führer aller Cherusker.

Aber genau diese zentralistische Figur sehen viele im Hermann. Warum?

Karl Banghard: Jeder nimmt das, was ihm gefällt. Auch eine germanische Religion war kein Alleinstellungsmerkmal, und Tacitus schreibt von Männern in Frauenkleidern. Das wollen die Rechten natürlich nicht hören.

Macht Sie diese willkürliche Vereinnahmung des Hermann durch die Rechten nicht sauer? Oder ratlos?

Karl Banghard: Es ist frustrierend. Die germanischen Originale waren viel abgefahrener, als diese ewigen Schlamm- und Leder-Stereoptypen es sind, wie wir sie auch bei Netflix sehen, oder als Höcke und Co sie darstellen.

&bdquo;Germanen hatten einen weiten Horizont“

Inwiefern?

Karl Banghard: Germanen waren quietschbunt. Es gab Priester in Frauenkleidern, Orientale waren gern und freiwillig hier, wurden sogar was. Sie waren sehr mobil und hatten einen weiten Horizont, waren nicht so schollengebunden. Die Freiheit, sich zu bewegen, war sehr ausgeprägt. Und das gab Sicherheit, etwa bei Missernten weiterzuziehen.

Das hört sich gar nicht mal so unsympathisch an, wie unsere Vorfahren drauf waren.

Karl Banghard: Das ist eben nicht so schwarz-weiß zu bewerten. Die Darstellung, Germanen lägen nur im Schlamm rum, ist ein bisschen billig. Doch dass unsere völkischen Oberlehrer aus ihnen Heilige machen, kann es ebenfalls nicht sein.

Sie schreiben sehr faktenbasiert.

Karl Banghard: Natürlich sind die archäologischen Quellen tückisch. Aber nicht so tückisch wie die Quellen römischer Schriftsteller, die mit einer politischen Intention geschrieben haben. Heute ist oft schwer nachzuvollziehen, warum das vielleicht falsch sein kann, was sie geschrieben haben. Das ist so, als ob Sie irgendwelche esoterischen Internet-Geschichten in der Zukunft als echte Geschichte präsentieren würden. Da wissen Sie in 2000 Jahren auch nicht mehr, wie der Zeitgeist heute war.

Und Ihre wahre Geschichte beruht auch auf dem, was gerade nicht gefunden wurde. Sie führen das Wacken-Festival als Vergleich an: Wenn unsere Archäologen-Nachkommen irgendwann einen Schauplatz dafür meinen entdeckt zu haben, aber keine Kronkorken finden, sei das der falsche Ort.

Karl Banghard: Wenn nach Schlachten zwar Katapultbolzen liegengelassen wurden, aber Pfeilspitzen fehlen, heißt das: Damit konnten die Germanen nichts anfangen und damit doch. Weil sie offensichtlich keine Katapulte hatten. Übrigens: In Wacken werden auch Weinflaschen ausgegraben. Der Heavy-Metal-Fan als reiner Biertrinker ist ein Mythos.

Ein bisschen beleidigt bin ich übrigens schon, dass das Wort &bdquo;Detmold“ bis jetzt, Seite 205, nicht einmal im Buch auftaucht, geschweige denn das Hermannsdenkmal.

Karl Banghard: Ich komme ja auch aus Oerlinghausen ( lacht ). Aber ich schreibe ja immerhin, dass Kalkriese nicht unbedingt der Ort der Varusschlacht sein muss.

&bdquo;Nichts ist hundertprozentig sicher“

Sie sind doch wohl kein Kalkriese-Leugner?

Karl Banghard: Nein. Um Gottes Willen. Aber nix ist hundertprozentig sicher. Viel wichtiger an der Erforschung dieser Zeit ist, dass wir sie nirgendwo sonst erforschen können, wie die Römer einen Landstrich unter ihren Fiskus gebracht haben, aussaugen, erschließen wollten. Sie waren ja nur 30 Jahre da. Die großen Städte liegen quasi unzerstört vor uns. Das macht es so interessant. Haltern ist ein Kaff geblieben, spielt heute eben nicht in der Champions-League.

Heute ist den meisten Archäologen völlig egal, wo diese Schlacht war, schreiben Sie. Das lesen Marketing-Leute nicht gern, oder?

Karl Banghard : 100 Kilometer westlich oder östlich – das ist tatsächlich völlig egal. Die vorsichtigen, hochkompetenten Kollegen in Kalkriese wurden ein bisschen vom Regionalmarketing dort über den Tisch gezogen. Wenn ich das jetzt so sage, ist das doch Hilfe für Detmold genug, da brauchen Sie also nicht mehr beleidigt zu sein.

Haben Sie schon Lust auf ein zweites Buch?

Karl Banghard: Auf einen richtigen Bestseller? &bdquo;Reich in fünf Minuten“ oder &bdquo;Heilen mit Hefeweizen“ wären wahrscheinlich ganz erfolgreich.

ZUR PERSON

Karl Banghard, 58, studierte in Bonn und Heidelberg, volontierte im Archäologischen Museum Freiburg, leitete die Museumspädagogik der Pfahlbauten am Bodensee und organisierte den Aufbau eines Freilichtmuseums am Federsee und einer Burg. Seit über zwanzig Jahren leitet er das Archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen.

Karl Banghard: Das wahre Leben der Germanen. Ullstein, 269 Seiten, 22 Euro. ISBN: 978-3-549-10090-5

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