Applaus trifft auf Protest: Weshalb Jens Spahn beim Auftritt in Detmold polarisiert

Detmold. Den Gegenwind ist Unions-Fraktionsvorsitzender Jens Spahn spätestens seit seiner Zeit als Gesundheitsminister gewohnt. Während der Pandemie riefen die Massen ihm &bdquo;Mörder“ hinterher, jetzt schallt ein wiederkehrendes, aber bestimmtes &bdquo;Hau ab“ über den Schulhof in Detmold. Spahn lächelt daher souverän, als er am Freitagnachmittag vor dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte aus dem Auto steigt. Die CDU Lippe hat ihn eingeladen. Es ist Wahlkampf. Der Bundespolitiker soll unterstützen.

Aber Jens Spahn polarisiert gerade wie kaum ein anderer CDU-Mann im Land. Maskenaffäre, die gescheiterte Wahl einer Verfassungsrichterin – sein Status scheint angeschlagen, die Stimmung gegen ihn wirkt aufgeheizt. Das ist selbst in Lippe spürbar. Dass es hier beim Besuch eines prominenten Bundespolitikers zu einer Gegendemo kommt, ist eher selten.

Protest gegen Spahn Etwa 60 Menschen stehen nun gegenüber vom Museum im Schatten und drücken ihren Protest aus. Sie schwenken Regenbogenflaggen, halten mit Masken verzierte Plakate in die Luft. Dazwischen blitzen Banner der Linken Lippe und der Grünen hervor. Auch der CSD Lippe und die &bdquo;Omas gegen Rechts“ sind gekommen. Ein rechtes Medium streamt den Protest offenbar live auf Youtube. Der Christliche Schulverein hätte sein Gelände gegen die Demo abschotten können, er tat es aber nicht.

Die Proteste, das sagt Jens Spahn später auf dem Flur, lösen gespaltene Gefühle in ihm aus. &bdquo;Ich denke mir einerseits: Gut, dass das möglich ist“, sagt Spahn. &bdquo;Wir sind ein freies und offenes Land, da darf es auch Demonstrationen geben.“ Auf der anderen Seite gebe es aber oft eine &bdquo;verzerrte Wahrnehmung“ von Positionen. &bdquo;Die Debatte ist oft aufgewühlt, teilweise verzerrt durch die sozialen Medien. Da frage ich mich oft, wo kommt eigentlich dieser Hass her?“ Nicht für alle Menschen, die gegen ihn auf die Straße gingen, gelte das. Aber Spahn hat auch schon einige bedrohliche Situationen erlebt, sagt er.

Ob er denn aktuell verstehen könne, warum die Menschen gerade jetzt gegen ihn auf die Straße gehen? Detmold ist ja kein Einzelfall. Spahn weicht aus. &bdquo;Da müssen Sie die Menschen fragen. Ich weiß nicht mal, was der Anlass war.“

Während draußen unter dem Motto &bdquo;Für Demokratie und Fairness und gegen Korruption und rechte Hetze“ demonstriert wird, dreht sich die von der CDU Lippe organisierte Diskussion in der Aula der August-Hermann-Francke-Schule um das Thema &bdquo;gesellschaftlichen Zusammenhalt, kulturelle Vielfalt und Verantwortung“. Spahn wirkt energiegeladen, greift sich nach den Grußworten von CDU-Landratskandidat Meinolf Haase und Dr. Marika Thiersch, CDU-Bürgermeisterkandidatin für Detmold, beschwingt das Mikrofon – und will es am Ende kaum loslassen. Er redet nicht wie einer, der gerade mit dem Rücken zur Wand steht. Zwischendurch gibt es von den rund 80 Zuschauerinnen und Zuschauern auch Applaus.

Dabei gibt es selbst aus den eigenen Reihen nicht nur Lobeshymnen. &bdquo;Können wir nicht einmal Geschlossenheit zeigen?“, fragt Meinolf Haase. &bdquo;Nicht nach links, nicht nach rechts – wir müssen wieder in die Mitte der Gesellschaft investieren.“ Haase schließt am Ende mit einem klaren Appell. &bdquo;Lieber Jens Spahn, macht eure Arbeit in Berlin so, wie ihr es versprochen habt, damit wir hier samstags auf dem Markt keinen drüber kriegen.“

Dass die CDU Lippe über den Auftritt des stark polarisierenden Fraktionsvorsitzenden im Vorfeld sicherlich auch intern diskutiert hat, davon hat Jens Spahn selbst nichts mitbekommen. &bdquo;Ich habe mich über die Einladung gefreut – und habe sie gerne angenommen.“

Einer der Zuschauer zielt ganz zum Schluss auf eine Frage ab, die auch einige Demonstranten draußen umtreibt. Es sei grotesk, dass Spahn ausgerechnet hier auftrete, findet eine Seniorin. Sie ist nicht die einzige. &bdquo;Jens Spahn dürfte hier nicht als Lehrer arbeiten“, sagt Dieter Gottschalk aus Detmold.

Keine homosexuellen Lehrkräfte erlaubt Der Christliche Schulverein Lippe, Träger der AHF-Privatschule, erlaubt nach seinen Glaubenssätzen keine homosexuellen Lehrkräfte an seinen Standorten. Dass die Frage sich darauf bezieht, kommt bei Spahn zunächst anders an. Wenn jemand etwas gegen homosexuelle Lehrer oder Schüler habe, führt er aus, dann &bdquo;hat das immer etwas mit einer kulturellen Prägung zu tun. In manchen Kulturkreisen sind Frauen weniger wert als Männer, und Schwule gar nichts.“ Das sei nicht richtig, darüber müsse man reden.

Als der CDU-Fraktionsvorsitzende damit konfrontiert wird, dass an der Schule keine homosexuellen Lehrkräfte arbeiten dürfen, zuckt seine Augenbraue kurz hoch. Es dauert nicht lang, da hat Spahn sich wieder gefangen. &bdquo;Es ist ja eine private Schule und damit ein Tendenzbetrieb. Von daher ist das hier möglich“, sagt Spahn. &bdquo;Ich halte es nur nicht für klug. Ich glaube, man vergibt damit auch einfach viel gutes Personal – und es setzt das falsche Signal.“ Vielleicht sei sein Auftritt hier daher umso wichtiger gewesen, um ein anderes Bild zu vermitteln. &bdquo;Egal, ob du schwul bist oder nicht – es kommt drauf an, mit welcher Einstellung du unterwegs bist. Das gilt auch für Lehrer.“

Kurz lernt Jens Spahn an diesem Nachmittag auch das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte kennen, das an die Schule angedockt ist. Museumsleiter Kornelius Ens hat nur Minuten, um die für Deutschland einzigartige Forschungsarbeit in Detmold vorzustellen.

Ob Spahn hier Chancen sehe, die russlanddeutsche Community zu erreichen, die inzwischen oft der AfD viel näher scheint? &bdquo;die unterschiedlichen Positionen verstehen und daraus dann idealerweise auch Verständnis entwickeln“, meint Spahn. &bdquo;Das gilt natürlich auch im Gespräch mit vielen Russlanddeutschen, von denen viele unsere Politik unterstützen. Aber ja, ich weiß auch, viele sind so enttäuscht, dass sie die extreme Rechte wählen.“ Er wolle aber keinen Wähler aufgeben.

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