Kein Bürgergeld mehr für Ukraine-Flüchtlinge? Was das für Lippe bedeuten würde

Kreis Lippe. Für seinen Vorschlag, allen seit 2022 hierhin geflüchteten Ukrainern nur noch die geringeren Gelder nach Asylbewerberleistungsgesetz statt Bürgergeld zu zahlen, hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) viel Kritik geerntet. Zu viel Aufwand, zu teuer, sagt das Bundesarbeitsministerium. SPD und Grüne sprechen von Populismus, die Teilhabe und die Integration werde erschwert. Wie schätzen Jobcenter Lippe und Kreis Lippe die Situation ein? Um wie viele Menschen in Lippe geht es überhaupt? Die LZ hat nachgefragt.

Die Zahlen für Lippe: Rund 6500 Ukrainer sind insgesamt hier gemeldet, aber nicht alle erhalten Leistungen vom Kreis oder dem Jobcenter. 1764 aus der Ukraine geflüchtete Familien bekommen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II, also Bürgergeld), insgesamt fast 4000 Menschen. 550 Ukrainern zahlt der Kreis Leistungen außerdem nach dem SGB XII. &bdquo;Das sind beispielsweise Ältere, Erwerbsunfähige und unbegleitete Kinder unter 15 Jahren“, erklärt Claudia Holzkämper, Leiterin des Fachbereichs Soziales und Integration beim Kreis Lippe. Neben den Kosten für den Lebensunterhalt ist dies auch Krankenhilfe und eventuelle Pflegeleistungen.

Wie kommt die Bürgergeld-Regelung zustande? &bdquo;Man wollte im Frühjahr 2022 schnellstmöglich eine gute Lösung finden“, sagt Sabine Beine, Verwaltungsvorstand beim Kreis Lippe. Die Jobcenter haben die Möglichkeiten, die Menschen in Arbeit zu bringen, Sprachkurse zu organisieren ... für die Sozialämter der Städte und Gemeinden sei das nicht so einfach. Eine Idee des Bürgergeldes im Vergleich zum Vorgänger Hartz IV war es ja, Fördermaßnahmen, vor allem bei der beruflichen Weiterbildung, zu forcieren. &bdquo;Aber niemand hat ja vor drei Jahren absehen können, dass der Krieg so lange dauert und das Ganze ein so nachhaltiger Prozess wird.“ Stefan Susat, Vorstand des Jobcenters Lippe, ergänzt: &bdquo;Die Städte und Gemeinden wären bei aller Kompetenz überfordert gewesen.“ Grade für Lippe sei die Regelung von Vorteil gewesen. &bdquo;In Lippe gibt es aufgrund der Zuwanderung der 1980er und 90er Jahren eine große russisch sprechende Community. Dies hat dazu geführt, dass Lippe im Vergleich zu anderen Kreisen doppelt so viele Ukrainer aufgenommen hat.“ Die besagte Community war auch von großem Vorteil. In Lippe gibt es viele Unternehmer, die russisch sprechen. &bdquo;So gab es doch deutlich weniger Sprachbarrieren für die Geflüchteten und mehr Möglichkeiten fürs Jobcenter, Jobs zu vermitteln“, sagt Susat. &bdquo;Solange die Geflüchteten erst die Sprache lernen müssen, stehen sie dem Arbeitsmarkt ja nicht zu Verfügung.“

&bdquo;Bürgergeld-Kosten“: Bürgergeld kommt vom Jobcenter. Susat nennt Zahlen. Das Jobcenter Lippe hat beispielsweise im April dieses Jahres 2,7 Millionen Euro Bürgergeld für die Ukrainer aufgewandt. Eine alleinstehende Person erhält 563 Euro, ein Paar in einer Bedarfsgemeinschaft 1012 Euro plus Mietkosten. &bdquo;Bürgergeld erhält, wer erwerbsfähig ist und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken kann. Zudem reichen andere vorrangige Leistungen wie Arbeitslosengeld, Wohngeld oder Kinderzuschlag nicht aus“, erklärt die Bundesregierung. Von 2007 bis 2022 habe das SGB-II-Budget des Bundes stets um die 35 bis 36 Milliarden Euro gelegen, sagt Susat. Seitdem sei es sprunghaft auf jetzt 47 Milliarden Euro angestiegen: Grund hierfür seien zum einen die Geflüchteten aus der Ukraine und zum anderen die zweimalige Erhöhung des Bürgergeld-Satzes. Das waren also politisch so gewollte Entscheidungen der Jamaika-Koalition.

Asylbewerberleistungsgesetz-Kosten: Diese Gelder zahlen die Kommunen. Das Gesetz sieht beispielhaft folgende Sätze vor: 441 Euro für Alleinstehende, 397 Euro für Paare in einer Sammelunterkunft und 353 Euro für Erwachsene unter 25 Jahre in einer stationären Einrichtung.

Das plant die Bundesregierung: Geflüchteten aus der Ukraine, die nach dem 1. April eingereist sind, sollen zukünftig nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen - zuständig wären dann also die Sozialämter der Kommunen, nicht mehr die Jobcenter. Ein willkürlich gewähltes Datum, das im Grunde nichts aussagt, denn es gelten Übergangsregelungen, und wann das &bdquo;Leistungsrechtsanpassungsgesetz“ der CDU/SPD-Bundesregierung überhaupt in Kraft tritt, steht in den Sternen. Susat und Beine sehen dann in jedem Fall eine Menge Arbeit auf das Jobcenter und den Kreis/die Kommunen zukommen. &bdquo;Was passiert, wenn nun ein Mann aus der Ukraine, der im Krieg war, seiner Familie folgt? Er bekommt Geld aus einem anderen Topf als Frau und Kinder, nämlich von der Kommune.“ Und er bekommt keine Krankenversicherung, medizinische Versorgung rechnen Ärzte/Krankenhäuser dann direkt mit dem Kreis ab. Für die Vermittlung in Arbeit wäre die Agentur für Arbeit zuständig, für Sprachkurse wiederum die Kommunen. Ein gewaltiger Verwaltungs- und Abstimmungsaufwand. &bdquo;Unterm Strich würden beim Kreis und Jobcenter die Ausgaben wahrscheinlich künftig etwas weniger steigen, die Arbeit und die 2,7 Millionen Euro aber werden bleiben.“ Und: Wer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Unterstützung bekomme, müsse eigentlich in einer Unterkunft wohnen, nicht in einer Wohnung bei Frau und Kind. Als ob das nicht kompliziert genug wäre, liegt Söders Vorschlag nun obendrein auf dem Tisch, alle Geflüchteten nach Asylbewerberleistungsgesetz zu unterstützen.

Die Meinung der lippischen Experten: Sabine Beine warnt eindringlich: &bdquo;Dass die seit April aus der Ukraine Geflüchteten künftig Gelder aus dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen sollen, darf nicht dazu führen, dass die Städte und Gemeinden mehr zahlen müssen.“ Auch inhaltlich abseits des Geldes übt sie Kritik: Für die Arbeitsvermittlung sei das Jobcenter prädestiniert, die Sozialämter in den Kommunen für die Vermittlung von Sprachkursen nicht ausgebildet. Ohnehin arbeiteten die Kolleginnen und Kollegen in den Rathäusern am Limit, bräuchten bei einer Umsetzung von Söders Idee Zeit, um die Anträge zu bearbeiten, und dafür bräuchten sie die Daten aus dem Kreishaus und des Jobcenters - was ja in Deutschland aufgrund strenger Datenschutzvorschriften bekanntlich nicht nur manchmal für Probleme sorgt. Stefan Susat wird ebenfalls deutlich und kurz persönlich: &bdquo;Da blickt ja jetzt schon kaum noch jemand durch.“ Er plädiere grundsätzlich dringend für eine generelle Neuordnung der sozialen Hilfesysteme. Das gute SGB-II werde durch die vielen Ergänzungen und Änderungen stetig verschlimmbessert. Das Jobcenter jedenfalls habe &bdquo;relativ viele Menschen relativ schnell in Arbeit gebracht.“

Das sagen die Bürgermeister: &bdquo;Natürlich könnten damit personelle und finanzielle Belastungen der Kommunen verbunden sein, aber dazu wissen wir zu wenig“, sagt Dirk Becker, Sprecher der Bürgermeisterkonferenz. &bdquo;Jedwede Antwort wäre Spekulation“, betont auch Mario Hecker (Kalletal). Eine pauschale Entlastung für die entstehenden Mehrkosten der Länder und Kommunen sei zwar vorgesehen und der Übergang der Zuständigkeiten solle &bdquo;verwaltungsschlank und bürokratiearm“ erfolgen, schreibt die Stadt Detmold, stellt aber vorsichtshalber schon mal klar: &bdquo;Sollte es zu der Gesetzesänderung kommen, ist es unsere nicht verhandelbare Erwartung, dass Bund und Land Mehrkosten in voller Höhe übernehmen und die Kommune nicht, wie beispielsweise bei der Wohngeldreform so geschehen, die personellen Mehrkosten zu 100 Prozent tragen muss, ohne dass die Auftraggeber aus Bund und Land auch nur einen Cent des Personalmehraufwandes tragen.“

Ähnlich äußert sich die Stadt Bad Salzuflen, sie sieht bei Übernahme der Verantwortung einen &bdquo;erhöhten Beratungs-und Prüfungsbedarf.“Die Stadt rechne zunächst mit einem moderaten Anstieg der Fallzahlen im Asylbewerberleistungsbereich. Dies stelle keine außergewöhnliche Situation dar. Sollten allerdings Söders Idee zufolge sämtliche ukrainischen Vertriebenen, die seit März 2022 nach Detmold gekommen sind, künftig Asylbewerberleistungen statt Bürgergeld beantragen können, hätte dies &bdquo;erhebliche Auswirkungen“. Bei Fallübernahmen für die Vergangenheit müssten zusätzlich Rückrechnungen sowie Rückerstattungen zwischen den Behörden erfolgen – verbunden mit entsprechendem Personalmehraufwand. Eine fundierte Schätzung der Mehrkosten sei noch nicht möglich. Derzeit halten sich knapp 1.700 ukrainische Staatsangehörige in Detmold auf. Davon beziehen etwa 120 Grundsicherung im Alter nach SGB XII, also in Zuständigkeit der Stadt.

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