Vor diesen Herausforderungen steht die solidarische Landwirtschaft in Lippe

Kreis Lippe. Katharina Herzog hat einen Kohlrabi gefunden und legt das Gemüseschutznetz beiseite. Die Gärtnerin packt die dicke Knolle mit beiden Händen und zieht: ein riesiger Kohlrabi, größer als ihr Kopf – frisch geerntet vom Acker der solidarischen Landwirtschaft (Solawi) in Dalborn. Sie lächelt, wirkt stolz und zufrieden: Denn durch ihre Arbeit können Mitglieder der Solawi nachhaltiges, saisonales und regionales Gemüse in Bioqualität vom Hof nebenan essen. Die Lebensmittel werden in Lippe erzeugt und der Verbraucher hilft dabei sogar mit.

Damit das möglich ist, bringt die Solawi jedes Jahr neue Kräfte auf. Die große Anstrengung liegt aber nicht im Gemüse ernten, sondern darin, genug Mitglieder zu finden, um den Gemüseanbau zu finanzieren. Als eingetragener Verein habe die Solawi nämlich keine Gewinnabsicht. &bdquo;Jedes Jahr 15 bis 20 Mitglieder zu suchen, ist ein Kraftakt“, erklärt Norbert Petau, Vorsitzender der Solawi in Dalborn. Doch wie steht es um andere Solawis in Lippe? Maren Kaschka, Vorstandsmitglied, und Ankristin Beineke, Gärtnerin der Solawi in Langenholzhausen, stehen vor ähnlichen Problemen.

&bdquo;Tolles, wertvolles Gemüse“

Die Mitglieder in Dalborn zu halten, sei schwierig, erklärt Petau: &bdquo;Meistens liegt es an der finanziellen Situation der Familien.“ Die Mitglieder seien zwar überzeugt, dass es tolles, wertvolles Gemüse ist – für manch einen aber zu teuer. &bdquo;Natürlich gibt es auch die natürliche Fluktuation“, ergänzt Katharina Herzog. Der Verein brauche 80 Mitglieder, damit es für einzelne Haushalte nicht zu teuer werde. Aktuell sind es 81 und zwei Probemitgliedschaften.

Der aktuelle Monatsbeitrag liege momentan bei rund 72 Euro pro Anteil. Der wird jährlich mit allen Mitgliedern bei der &bdquo;Bieterversammlung“ neu diskutiert. &bdquo;Da wird der Haushaltsplan transparent vorgestellt“, sagt die Gärtnerin. Alle benötigten Gelder für das Jahr werden offengelegt. Dazu gehören beispielsweise die Bezahlung des Gärtnerteams und der Einkauf von Jungpflanzen, Saatgut oder Kartoffeln aus Lemgo. Auch Materialkosten sind enthalten: für Gerätschaften, Werkzeuge oder Reparaturen am Folientunnel und dem Einachser, mit dem die Erde bearbeitet wird – der auch Kraftstoff benötigt.

Mund-zu-Mund-Propaganda &bdquo;Die Mitglieder sehen die Probleme, warum ein Monatsbeitrag von beispielsweise 50 Euro nicht ausreicht“, erklärt Petau. &bdquo;Für 2026 wird es noch genug Mitglieder geben, danach könnte es aber eng werden“, meint der Vorsitzende. Über die Jahre hätten sich gerade so genug Mitglieder über Mund-zu-Mund-Propaganda gefunden. Beim jährlichen Hoffest oder Bauernmärkten würden einige zusammenkommen. Die Solawi spreche sich auch in Nachbarschaften rum: &bdquo;Das Interesse nach frischem Gemüse ist groß.“

Wer Mitglied werden möchte, der müsse im Jahr 24 Stunden mithelfen. Wenn ein Mitglied das nicht leisten kann, müsse jede Stunde mit zehn Euro ausgeglichen werden. Meist sei eine Gärtnerin vor Ort und es hänge immer ein Plan aus, damit jeder weiß, was zu tun ist. Das Gärtnerinnen-Team ist über die App &bdquo;Signal“ im stetigen Kontakt mit allen Mitgliedern. Jeder in der Gemeinschaft werde einbezogen: &bdquo;Jeder sieht, wie das Gemüse angebaut wird.“

Mit Herzblut Der teuerste – und wohl wichtigste Punkt im Haushaltsplan der Solawi ist das Team der drei Gärtnerinnen: Sie arbeiten mit je 25, 20 und zwölf Stunden pro Woche – was marktgerecht bezahlt werden müsse. Die Solawi betreibe &bdquo;Market-Gardening“: Dabei werde viel Gemüse auf einer kleinen Fläche angebaut – und mit der Hand geerntet. &bdquo;Darum werden die zehn bis zwölf Beete jedes Jahr in der Fruchtfolge getauscht“, erklärt der Vorsitzende. Die Gärtnerinnen kümmern sich um die Fruchtfolge, säen Saatgut aus und ernten das Gemüse – bei rund 40 Gemüsearten mit über hundert Sorten.

Da ist für jeden etwas dabei: Tomaten, Gurken, Zucchini, Mangold, Möhren und etliche Kohlsorten wie Kohlrabi, Rosenkohl, Rotkohl, Weißkohl oder Grünkohl. Das frisch geerntete Gemüse holen die Mitglieder jede Woche bei der Solawi ab. Dafür hängt eine Tafel mit Mengenangaben aus. &bdquo;Je nach Jahreszeit sind sechs bis zwölf Gemüsesorten dabei“, erklärt Herzog. Im Winter ist die Auswahl kleiner, dafür fallen die Erntemengen pro Sorte größer aus. Zur Sommerzeit seien die Gemüsesorten vielfältiger, weil das die Hochsaison sei. Gemüse, das gelagert werden muss, werde beispielsweise in Detmold und Dörentrup in Depots eingelagert.

Auf ihren Permakulturgarten seien die Gärtnerinnen stolz: &bdquo;Für mich ist es eine Möglichkeit, zu zeigen, wie wir gemeinschaftlich wirtschaften können – mit einem überschaubaren Stück Land.“ Katharina Herzog arbeitet seit acht Jahren bei der Solawi in Dalborn: &bdquo;Es ist eine Vereinfachung des Lebens, weil immer klar ist, was gegessen wird.“ Sie freue sich über ihr fleißiges Team: &bdquo;Wenn man gut zusammenarbeitet, dann entlastet das in der Hochsaison.“

Ressourcenschonend Die zunehmende Trockenheit sei eine Herausforderung, auch wenn der Boden viel Feuchtigkeit hält. Die Gärtnerinnen bewässern das Gemüse mit dem Regen, der von den Dächern gesammelt wird. &bdquo;Das Wasser pumpen wir über schwarze Schläuche bis in die Beete“, erklärt Herzog. In Trockenperioden werde Wasser auch mal von der Stadt Blomberg bestellt. &bdquo;Wenn es nicht genug Wasser gibt, dann ist das ein echter Qualitätsabfall“, sagt Petau. Im Sommer würde alle zwei, drei Tage bewässert – aktuell einmal die Woche.

Vor allem profitiere die Solawi von der Schwarmintelligenz, die gemeinsam mit ihren Mitgliedern für jährlichen Fortschritt sorge. &bdquo;Die Ideen der Mitglieder helfen, Schwierigkeiten zu bewältigen“, sagt er. Beispielsweise kümmere sich eine Frau ehrenamtlich um Social Media-Kanäle, und andere, handwerklich Begabte helfen auch aus: &bdquo;So kommen viele Potenziale zusammen.“

Mehr Arbeit – weniger Helfer In Langenholzhausen gibt es auch eine Solawi – sie stehe kurzfristig vor anderen Problemen, sagt Vorstandsmitglied Maren Kaschka: &bdquo;Die größte Herausforderung ist, jemand Neues für das Gartenteam zu finden.“ Es sei zu viel Arbeit, für ein kleines Team. Sabine Arndt habe fünf Jahre als Gärtnerin dort gearbeitet, verstarb aber vor Kurzem. Ankristin Beineke ist auch Gärtnerin im Team, wird die Solawi jedoch bald verlassen, weil sie sich beruflich umorientiert habe. &bdquo;Da wird eine große Lücke auf uns zukommen“, erklärt Maren Kaschka. Sie hätten zwar Mitglieder, die auch mal helfen würden – das sei aber keine Dauerlösung: &bdquo;Auch bei denen findet der ganz normale Alltag statt, wie die Familie oder der Beruf.“

Dazu kommen die Mitgliedsbeiträge: &bdquo;2025 war es schon sehr knapp, aber irgendwie ergibt sich immer etwas.“ Aktuell habe die Solawi in Langenholzhausen rund 40 Mitglieder. Geplant wurde dieses Jahr mit 20 ganzen Anteilen: Ein Anteil hat so viel Gemüse, dass eine vierköpfige Familie täglich davon kochen könne. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Viertelanteil, einen halben oder einen ganzen Anteil zu buchen, erklärt sie: &bdquo;Es gibt so viele verschiedene Lebenssituationen.“ Der Großteil der Mitglieder bezahle einen halben – zwei, drei einen ganzen Anteil. Der Rest verteile sich auf die Mitglieder, die Viertelanteile gebucht haben.

&bdquo;Von Grund auf selber kümmern“ Die Gärtnerinnen ernten das Gemüse, packen es in Kisten, und werden in ihrem Bauwagen gelagert. Den Strom produzieren sie mit Solarmodulen selbst: &bdquo;Wir mussten uns um unsere Möglichkeiten von Grund auf selber kümmern“. Der Acker, den die Solawi gepachtet habe, sei Landschaftsschutzgebiet. Bauen dürfen sie dort nicht und es sei kompliziert gewesen, den Bauwagen aufzustellen: &bdquo;Landwirte dürften das bebauen, weil es für die als essenzielle Lebensgrundlage anerkannt wird.“ Obwohl die solidarische Landwirtschaft auch Landwirtschaft betreibe, werde das von Behörden nicht als Grund gesehen, beispielsweise Bauen zu dürfen. Es fehle jemand, der mutige Entscheidungen treffen könne und diese auch begründet.

Auf die vergangenen zehn Jahre blickt Maren Kaschka stolz zurück: Am 12. September haben sie zehnjähriges Bestehen gefeiert. Für sie bedeutet solidarische Landwirtschaft vor allem eines: &bdquo;Solawi ist Eigenständigkeit und Lebensqualität.“ Sie arbeite im Naturkostbereich und wisse, dass Bioprodukte aus anderen Ländern importiert werden. &bdquo;Wir haben hier doch genug Fläche und können unser eigenes Gemüse anbauen“, erklärt sie. Außerdem beobachte sie eine zunehmende Konzentration auf große Konzerne und Handelsketten: &bdquo;Kleine Betriebe und Geschäfte gehen kaputt.“ Solawi sei zwar mehr Arbeit, doch auch eine Möglichkeit aktiv zu sein.

In Langenholzhausen wird auf einer Fläche von 0,7 Hektar Gemüse angebaut. Im großen Folientunnel wachsen allerlei Tomaten und Salate. Rund herum finden sich Möhren und zahlreiche Kohlsorten. Auf dem Acker gibt es rund 45 Gemüsesorten. Viele der Mitglieder kämen aus Lemgo, Bad Oeynhausen, Löhne – und natürlich aus dem Kalletal: &bdquo;Irgendwie finden sie immer Gründe, hierher zukommen.“

Fachkräftemangel Diese Herausforderungen kennt das Netzwerk für solidarische Landwirtschaft in Köln: Alina Reinartz ist Projektleiterin und berichtet, welche Probleme deutschlandweit herrschen. Der Fachkräftemangel sei zum jetzigen Stand noch nicht so groß, wie er bald sein würde: &bdquo;Vor allem, dass die Leute auch bleiben.“

Die Hürde genügend Mitglieder zu finden sei auch in anderen Vereinen da. In der Coronapandemie hätten sich vermehrt Menschen gefunden, die angefangen haben, täglich frisch zu kochen – und hätten sich angemeldet. Die anschließende Inflation habe die Ängste jedoch verstärkt, dass Menschen sich langfristig an eine Mitgliedschaft binden wollen: &bdquo;Sie sind vorsichtiger geworden.“

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