„Ich wünsche mir Ruhe“: Wie ein gebürtiger Detmolder die Erkrankung der Töchter erlebt

Detmold. &bdquo;Unser Leben ist aus den Fugen geraten“, sagt Petra Stapela. Sie und ihr Mann Rolf haben sich ihren Ruhestand anders vorgestellt. Beide sind wegen körperlicher und mentaler Erschöpfung in die Frührente gegangen, doch erholen können sie sich nicht. Ihre beiden erwachsenen Töchter leiden an einer Folgeerkrankung von Long Covid: dem Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS).

Rolf Stapela ist 1957 in Detmold geboren, hat viele Jahre als Jurist gearbeitet und lebt heute in Bonn. Mit 63 Jahren ist er wegen eines Burn-outs in Frührente gegangen. Petra Stapela, geboren 1959, ist ebenfalls vorzeitig in den Ruhestand gegangen: &bdquo;Ich habe 43 Jahre als Krankenschwester gearbeitet und privat immer meine Angehörigen versorgt.“ Bei beiden sei der Wunsch entstanden, sich endlich zu erholen. Ihre aktuelle Lebenssituation zu meistern sei jedoch ein einziges körperliches und mentales Ringen.

Das Leben der beiden habe sich um 360 Grad gedreht, als ihre erwachsenen Töchter 2023 die Diagnose ME/CFS erhalten haben. Bei der älteren Tochter, die in Hamburg wohnt, habe im Juni 2022 alles mit einer ganz normalen Coronainfektion angefangen. &bdquo;Eineinhalb, zwei Wochen war sie wirklich krank“, erzählt Petra Stapela. Sie habe sich gut erholen können und sei schnell wieder zur Arbeit gegangen: &bdquo;Ihr Zustand hat sich dann aber verschlechtert und im August 2022 hat sie die Diagnose Long-Covid bekommen.“ Nach einem halben Jahr hätte sich ihr Zustand noch nicht verbessert, im Frühjahr 2023 folgte die Diagnose ME/CFS. Seit Juni 2023 könne sie nur im Bett liegen, habe mittlerweile Pflegegrad 4. Nun wird sie von ihren Eltern gepflegt.

Vielschichtige Rollen Die Rollen von Petra und Rolf Stapela seien dabei vielschichtig, insbesondere die seiner Frau, sagt Rolf Stapela: &bdquo;Meine Frau ist drei oder vier Wochen am Stück in Hamburg, betreut unsere Tochter, reicht ihr das Essen an und bringt sie zur Toilette.“ Auch um die beiden Enkelkinder, 10 und 14 Jahre, kümmere sie sich. &bdquo;Mein Alltag sieht so aus: Ich bin wie eine Arbeitsbiene – ich bin nur in dem Fokus für meine Tochter und meine Enkelkindern da zu sein“, sagt sie.

Mit einem Teelöffel müsse sie ihrer Tochter ganze Mittagsportionen anreichen: &bdquo;Das dauert teilweise bis zu 40 Minuten.“ Ihr Alltag bestehe nur noch aus Pflege und Betreuung. &bdquo;Meine Tochter kann nichts alleine machen – wenn sie kurz aus dem Bett möchte, müssen wir ihr dabei helfen, in den Rollstuhl zu kommen“, erklärt Petra Stapela. Sie kümmere sich auch um den Haushalt.

Für ihre Enkelkinder sei die Situation sehr schwer: &bdquo;Früher konnten sie nur mit einer Eieruhr für zwei bis drei Minuten am Tag zu ihrer Mutter. Die Kinder rollen ihre Mutter mittlerweile auch zur Toilette und sie können auch wieder mit ihrer ihr kuscheln.“ Das gehe aber nur kurz, denn bei ME/CFS bräuchte ihre Tochter vor allem Ruhe.

Der Pflegedienst Einmal die Woche komme ein Pflegedienst zum Duschen, Waschen oder für die Bettpflege. &bdquo;Die Pflegebetreuung muss rund um die Uhr da sein, denn meine Tochter kann selbst nicht mal einen Strohhalm halten“, erklärt Rolf Stapela. Beim Pflegegrad 4 gebe es eine Pflegeleistung von 1.859 Euro pro Monat: &bdquo;Das reicht für die komplette Pflege aber nicht aus.“

Es bräuchte eine 24-Stunden-Hilfe, die 18.000 Euro im Monat kostet: &bdquo;Das kann nur finanziert werden durch das Amt für Grundsicherung.“ Das Problem dabei: &bdquo;Es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis der Pflegegrad anerkannt wurde.“ Darum sei es bisher nicht möglich gewesen, eine 24-Stunden-Hilfe anzufordern.

2024 hätten sie den ersten Antrag für eine ganztägige Pflegekraft gestellt. Doch nach mehrfacher Nachfrage hätte ihnen niemand geantwortet. Später hieß es, der Antrag für die Finanzierung der Pflegeassistenz sei erst im Dezember 2024 an eine andere Sozialbehörde weitergeleitet worden: &bdquo;Diese Behörde gab auf Nachfrage im August 2025 zu, dass unser Antrag seit acht Monaten ohne Bearbeitung bei ihr gelegen habe.“ Nun habe die Familie die Anträge neu stellen müssen.

Rücklagen sind fast am Ende &bdquo;Unsere Ersparnisse und finanziellen Möglichkeiten sind erschöpft“, erklärt er. &bdquo;Unsere Familie war mit Beginn dieser Krankheit vollkommen auf sich gestellt und nicht in der Lage, durch den Behördendschungel und die ablehnende Haltung der Kranken- und Pflegeversicherungen zu erkennen, wo welche Anträge zu stellen waren.“

Da von Amtswegen auch keine Hilfe erfolge, müssten Rolf und Petra Stapela weiterhin regelmäßig zwischen Bonn und Hamburg pendeln, um ihre Tochter zu pflegen und die Enkelkinder zu beaufsichtigen. &bdquo;Dadurch entstehen auf die Dauer erhebliche Fahrtkosten“, erklärt er. Dabei bleibt es nicht: Kosten für die doppelte Lebensführung in Hamburg und auch Hotelkosten kämen dazu, weil es in der Wohnung ihrer Tochter kein geeignetes Gästezimmer gebe.

Hätten die Ämter schneller geholfen, wären ihre Kosten laut Rolf Stapela wesentlich geringer gewesen. &bdquo;Die Behörden vertrauen auf die Hilfe von uns Großeltern im Ruhestand“, sagt er. Erst wenn sie gesundheitlich einbrechen würden, entstehe aus behördlicher Sicht eine offizielle Notlage: &bdquo;Aber dann wird bereits tatsächlich alles zu spät sein.“

&bdquo;Step-by-Step“ Das Jugendamt hätten sie auch um Unterstützung bei der Kinderbetreuung gebeten. &bdquo;Wir wollen endlich eine Vertretung haben, weil wir nicht mehr können – wir haben auch keinen Urlaub gehabt, das geht alles nicht mehr“, sagt er. &bdquo;Ich war immer vollkommen vom deutschen Gesundheitssystem überzeugt, vor allem als langjährige Krankenschwester“, ergänzt Petra Stapela. Aber: &bdquo;Es wird sich in unserem Gesundheitssystem darauf ausgeruht, dass Angehörige sich um die Familien kümmern.“

Das Zauberwort für Stapelas sei &bdquo;Step-by-step“: Sie lebten nur noch von einem Tag zum Nächsten. Denn nicht nur ihre ältere, sondern auch die jüngere Tochter sei 2023 an ME/CFS erkrankt. &bdquo;Wir kannten die Symptome ja schon“, erklärt Petra Stapela. So hätten sie schnell handeln können.

Wenn Petra Stapela zurück nach Bonn, in ihre eigene Wohnung fahre, übernehme ihr Mann die Betreuung in Hamburg. &bdquo;Am Anfang konnte ich das noch für zwei Wochen, aber länger als eineinhalb geht nicht mehr“, sagt er. Zu Hause könne Petra Stapela aber immer noch nicht abschalten. Sie haben ihre jüngere Tochter mit Pflegegrad 2 bei sich aufgenommen. Bei ihr liegen laut ihrem Vater die gleichen Symptome vor wie bei der anderen Tochter, nur in abgeschwächter Form. Auch sie benötige Unterstützung.

Ans Meer Die lang ersehnte Erholung in der Frührente bleibt bis heute aus. Es ist deutlich zu spüren, dass die Grenzen der beiden lange überschritten sind. Rolf Stapela: &bdquo;Wenn wir frei haben, versuchen wir irgendwie zur Ruhe zu kommen.“ Doch ihre persönlichen Kontakte und privaten Lebensumstände seien auf null reduziert.

&bdquo;Wir hätten auch keine Energie dazu, es geht nicht mehr“, sagt er. Behörden würden nicht helfen und nicht zahlen, deswegen müssten sie weiter machen. &bdquo;Dieser Kahn würde sonst zum Kentern kommen.“ Es werde dringend Zeit, dass Behörden, Kranken- und Pflegeversicherungen unbürokratisch helfen und sich den Herausforderungen von ME/CFS stellen.

Emotional bewegt sagt Rolf Stapela: &bdquo;Wir brauchen Ruhe und Unterstützung – wir können nicht mehr.“ Sie bräuchten dringend Hilfe in der Betreuung, sonst kämen sie aus der Sackgasse nicht mehr heraus. Petra Stapela brauche eine Pause: &bdquo;Ich wünsche mir einfach nur Ruhe, am Strand entlang zu laufen, mir den Wind durch die Nase wehen zu lassen, sieben Stunden am Stück schlafen. Unsere Enkel und Ärzte fragen uns immer, wie wir noch lachen können.“ Gott sei Dank könnten sie das noch.

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