Zwischen Mut und Verzweiflung: Zwei Lipperinnen sprechen über ihr Leben mit Long Covid

Kreis Lippe. Die Pandemie, für die meisten wohl auch eine Zäsur in der Zeitrechnung. Vor Corona - nach Corona. Dabei ist das Auftreten des Virus SARS-CoV-2 von Covid-19 erst fünfeinhalb Jahre her. Doch viele Menschen leiden nach einer überstandenen Infektion auch Jahre später noch an den Folgen, können ihr Leben wie früher nicht weiterführen. Zwei Frauen, die an Long Covid und ME/CFS als Folge leiden, erzählen von ihrem Schicksal.

Katja Meier, 48: Leben auf Pause gestellt Katja Meier* (*Name geändert) ist 48 Jahre alt, verheiratet, hat zwei (fast) erwachsene Töchter. Wer sie kennenlernt, erlebt eine kluge, fröhliche, positiv denkende Frau. Kaum vorstellbar, dass ihr das aufrechte Stehen schwerfällt, dass sie duschen oder gar Einkaufen an ihre Grenzen bringt. Katja Meier hat eine Schwerbehinderung - denn sie leidet an Long-Covid.

Ja, es gibt sie, die Geschichten der Long-Covid-Betroffenen, die sich erholen . &bdquo;Doch sie sind eine Ausnahme“, weiß die 48-Jährige. Zwar gäben solche Geschichten tatsächlich Hoffnung. Problematisch aber sei die Darstellung, diese Erkrankung sei kein Problem, weil man genau das immer wieder lese. Denn Long-Covid habe verschiedene Ausprägungen, und werde viel zu oft nicht ernst genug genommen.

Bei Katja Meier fing alles im April 2022, als sie sich mit dem Corona-Virus ansteckte. &bdquo;Es war wie eine ganz normale Erkältung, ich war gerade frisch das zweite Mal geimpft“, erinnert sie sich. Anfangs habe sie sich auch nicht besonders gewundert, dass die Erholung dauerte, kämpfte sich bei der Arbeit durch, freute sich auf den Sommerurlaub. &bdquo;Davor ist immer viel zu tun, ich habe das gar nicht Ernst genommen.“ Doch sie war erschöpft, körperlich und psychisch. Die erhoffte Erholung im Urlaub blieb aus. &bdquo;Mir ging es danach sogar noch schlechter. Da habe ich gedacht, das kann nicht normal sein.“

Alles ist zuviel Ihr Arzt schrieb sie sechs Wochen krank - ohne dass sich ihr Zustand besserte. Sie hat das Gespräch mit ihrem Chef gesucht, ihren Arbeitsalltag umstrukturiert. &bdquo;Das hat ein Jahr funktioniert - aber auch nur bei der Arbeit, für etwas anderes hatte ich keine Kraft mehr.“ Sie habe es irgendwie hinkriegen wollen, bis sie schließlich die Reißleine zog. Die Diagnose: ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom), eine chronische Multisystemerkrankung.

&bdquo;Alle Reize sind zu viel“, beschreibt die 48-Jährige ihren Zustand. Beispiel Einkaufen: die Regalbeleuchtung zu hell, die Hintergrundmusik zu laut, die Menschen zu viel. Und das Anstehen kaum möglich: Das Posturale Tachykardiesyndrom (kurz: POTS) sorgt dafür, dass ihre Herzfrequenz abnormal ansteigt, sobald sie aufsteht. &bdquo;Bei Bewegung geht es etwas besser durch die Muskelpumpe.“ Dazu kommt die Post-Exertionelle Malaise (kurz: PEM), die Verschlechterung der Symptomatik nach geringfügiger körperlicher und/oder geistiger Anstrengung, typisch für ME/CFS. Im schlimmsten Fall droht ein Crash, bei dem dann gar nichts mehr geht - über Tage und Wochen, &bdquo;sogar kauen und atmen ist anstrengend“, erinnert sie sich.

In den Grenzen bleiben &bdquo;Es ist, als sei das Leben auf ,Pause’ gestellt und man kann nicht auf ,Play’ drücken“, in ihrer Stimme klingt Verzweiflung mit. Teilhaben an Aktivitäten - nicht möglich. &bdquo;Ich habe bei Vorbereitungen fürs Dorffest geholfen, weil ich dabei sein wollte.“ Im Sitzen, Anstrengungen möglichst vermeidend. Das Ergebnis: Statt beim Fest mit den Nachbarn zu feiern, lag sie im abgedunkelten Raum, völlig erschöpft. &bdquo;Es ist, als wäre man aus dem Leben raus, nicht mehr da, obwohl man noch lebt.“ Und das seit mittlerweile drei Jahren.

Deshalb ist für Betroffene das sogenannte Pacing so wichtig, ein bewusster Umgang mit den eigenen Energiereserven auf körperlicher, geistiger und emotionaler Ebene. &bdquo;Ich musste lernen, in meinen Grenzen zu bleiben.“ Eine Pulsuhr - &bdquo;die habe ich früher immer verteufelt“, sagt sie und muss lachen - hilft ihr dabei, ihre Akkuladung für den Tag einzuschätzen: &bdquo;Ist Essen kochen oder ein Spaziergang heute drin? Je besser man sich daran hält, desto weniger verschlechtert sich der Zustand.“ Doch selbst viele Ärzte würden einfach zu wenig über PEM oder Pacing wissen, in der Reha stünde häufig Sport auf dem Programm. Doch das verschlimmere den Zustand nur.

Mittlerweile hat Katja Meier einen Schwerbehinderungsgrad von 50 Prozent, dazu Pflegegrad 2. Doch bis dahin sei es ein langer Weg gewesen, die standardisierten Fragebögen passten nicht auf das Krankheitsbild. &bdquo;Ja, ich kann allein duschen. Aber dass ich danach als Konsequenz zwei Tage flach liege, wird nicht berücksichtigt.“ Eine offene Kommunikation mit dem Gutachter hatte in ihrem Fall geholfen.

Kinder müssen auf ihre Eltern verzichten Schwierig sei auch das soziale Umfeld, &bdquo;zum Teil wird es auch von Bekannten oder Familienangehörigen totgeschwiegen. Man lernt, das auszuhalten.“ Oder Aussagen, man sehe ihr die Krankheit nicht an oder - auch nett gemeinte - Verharmlosungen, etwa, dass es normal sei, dass einem manche Dinge nicht direkt einfielen. Von Leuten, die sie kennen, würde sie sich da wünschen, &bdquo;dass sie sich schlaumachen, was diese Erkrankung bedeutet“.

Eine Unterstützung hat sie in ihrem Mann und ihren Töchtern, auch wenn sie sich häufig scheue, gerade die Mädchen um Hilfe zu bitten. Doch auch dafür hat sie eine kreative Lösung: Durch den Pflegegrad kann sie ihre Tochter für ihre Unterstützung bezahlen, &bdquo;das hat für uns beide einfach eine andere Qualität, als dass sie ihre behinderte Mutter pflegt“. Auch das macht ihr spürbar zu schaffen: nicht so für ihre Familie da sein zu können wie früher. &bdquo;Das Umfeld ist ebenso von der Krankheit betroffen, eingeschränkt, leidet.“ Kinder müssen auf ihre Eltern verzichten, ein gemeinsamer Urlaub war seit drei Jahren nicht möglich.

Im Alltag setzt Katja Meier auf Hilfsmittel, zum Beispiel einen kleinen Roll-Hocker in der Küche, um zuzuarbeiten. &bdquo;Außerdem habe ich ein kleines Elektrorädchen, mit dem ich an guten Tagen mit dem Hund rausgehen kann.“ Zu Fuß schaffe sie das seit Längerem nicht mehr. Selbsthilfegruppen können helfen, auch wenn man nicht in der Lage ist, an Treffen vor Ort teilzunehmen. &bdquo;Online bin ich jeden Tag im Austausch mit anderen Betroffenen, wir klären Fragen, geben einander Zuspruch, teilen Reha-Erfahrungen“, erklärt sie. Es gibt die, denen es schlechter, genauso wie die, denen es besser geht. Es gibt Online-Angebote, aber auch Treffen zum Malen oder Spazierengehen für die, die können. &bdquo;Und wir lachen viel“, sagt sie und lacht selbst.

Schritt für Schritt Wer mit ihr spricht, erkennt, wie sehr die Krankheit sie einschränkt, aber die Hoffnung aufgegeben habe sie nicht. &bdquo;Das beruhigt mich selbst, denn ich weiß, dass ich nicht depressiv bin. Klar gibt es Tage, an denen ich nur heulen könnte. Aber ich will wieder gesund werden.“ Deshalb hat die 48-Jährige an einer Studie teilgenommen und nimmt nun Medikamente, die bereits auf dem Markt sind, aber zuvor nicht bei Long-Covid eingesetzt wurden.

Arbeiten kann Katja Meier aufgrund der Erkrankung derzeit nicht. Schlimm ist für sie vor allem das Ungewisse, die Perspektivlosigkeit. Doch sie hofft auf eine Verbesserung durch die Medikamente, um ihrem Job wieder nachzugehen, denn ihre Stelle hat sie noch. &bdquo;Aber Schritt für Schritt“, bremst sie sich selbst.

Andrea Schröder, 62: mitten im Leben ausgebremst Positiv und gleichzeitig verzweifelt - etwas, dass auch auf Andrea Schröder* (*Name geändert) zutrifft. Auch die 62-Jährige leidet an Long Covid und ME/CFS. Sie hat immer gern und viel gearbeitet, war sportlich, ist gerne verreist oder ins Theater gegangen. Mittlerweile ist sie froh, an manchen Tagen stückweise einen Weg von 500 Metern gehen zu können. &bdquo;Es gibt Tage, da ist man so verzweifelt“, ihre Stimme bricht und die Verzweiflung ist deutlich erkennbar.

Im Jahr 2021 ist sie dreimal gegen Corona geimpft worden, &bdquo;gleich nach der ersten hatte ich Herz-Rhythmus-Störungen“, sonst habe sie nicht viel bemerkt. &bdquo;Ich hatte auch gar keine Zeit nachzudenken, habe Vollzeit gearbeitet.“ Im Februar 2022 infizierte sie sich zum ersten Mal mit dem Virus, der Verlauf ordentlich mit hohem Fieber, es dauerte lange, bis der Test wieder negativ war, erzählt sie. Es traten Beschwerden an Körperstellen auf, mit denen die 62-Jährige bereits Malessen hatte, wie der Schulter und dem Rücken. &bdquo;Ich habe mich durch den Sommer gequält“, erinnert sie sich, ihr Arzt meinte, sie könne ein kleines Burn-Out haben. Für Februar 2023 stand eine Reha an, &bdquo;zehn Tage vorher bin ich in die Long-Covid-Ambulanz, weil ich dachte, es könne ja doch daher rühren“. Und genauso war’s: Dort wurde die Diagnose Long Covid gestellt.

In den sechs Wochen Reha, die nicht auf Long Covid, sondern auf Psychosomatik ausgelegt war, hat sie alles mitgemacht, es sei ihr aber immer schlechter gegangen. Und dort habe sie sich auch das zweite Mal mit Corona infiziert. Im Sommer kamen Gedächtnisprobleme, der sogenannte Brain-Fog (Gehirn-Nebel) dazu. &bdquo;Ich habe gearbeitet, aber zu Hause habe ich dann nichts mehr geschafft“, viel zu erschöpft war sie. Ein Neurologe brachte schließlich Long Covid ins Gespräch, im Herbst beantragte sie eine Post-Covid-Reha, die sie im März 2024 antrat. &bdquo;Dort hieß es, ich habe zwei Jahre lang viel zu viel gemacht“, sagt Andrea Schröder noch immer ungläubig. Und dort in der Reha ist sie dann auch zusammengebrochen. &bdquo;Ich konnte nicht mehr, hatte das Gefühl, ich schaffe das alles nicht.“

Bloß kein Crash Wieder zu Hause wurde sie krankgeschrieben. &bdquo;Ich habe so viele Therapien versucht“, sagt sie verzweifelt, von Kältekammer bis Sauerstofftherapie und Reha-Sport. Das meiste auf eigene Rechnung. &bdquo;Doch die Krankheit ist einfach so unbekannt, kaum jemand kennt sich wirklich aus.“ Mittlerweile mache sie zweimal die Woche Neurofeedback, um dem &bdquo;Brain-Fog“ entgegenzuwirken - &bdquo;es ist besser geworden“. Doch viel lesen etwa kann sie nicht, dabei hat sie das immer gern; gerade kognitiv geht alles nur in kleinen Portionen. Im Mai 2024 hat sie angefangen, sich mit Pacing zu beschäftigen. &bdquo;Mein Leben ist von morgen bis abends getrackt“, sie hat eine Fitnessuhr, Schrittzähler, Blutdruckmesser. &bdquo;Ich muss immer wieder auf meinen Puls gucken“, erklärt sie, denn der muss möglichst niedrig bleiben, damit sie Energie behält. Denn abends ist selbst Kauen anstrengend. Und wenn sie sich überanstrengt, dann kommt der Crash: &bdquo;Es gab Zeiten, da habe ich nur im Bett liegen können mit Augenmaske und Ohrstöpseln.“

Ihren Tag bestimmt das Reiz-Erholungs-Prinzip, nach 30 Sekunden Anstrengung wie etwa Gehen macht sie Atemübungen, um den Puls zu beruhigen. Ein Spaziergang von ein paar Hundert Metern kann so leicht eine Stunde dauern. &bdquo;Aber immerhin schaffe ich das mittlerweile wieder.“ Andrea Schröder ist zu 60 Prozent schwerbehindert, hat Pflegegrad 2, dadurch kann sie sich eine Putzhilfe leisten. Doch auch bei ihr war es ein schwieriger Weg dorthin. Als Hilfsmittel hat sie seit kurzem auch einen Klapprollstuhl. &bdquo;Das hat mich solche Überwindung gekostet. Die Gewissheit, nicht allein leben zu können, ist einfach frustrierend.“

&bdquo;Man versucht alles“ Eine große Stütze ist ihr Lebensgefährte, der ihr immer hilft, da ist, Verständnis hat, immer positiv und fröhlich ist und sie zum Lachen bringt. &bdquo;Er hilft mir so sehr, und meine Krankheit schränkt auch ihn so ein“, ihre Stimme versagt. &bdquo;Man lernt, mit vielem umzugehen, aber ich bin einfach nicht mehr die alte“, und das macht ihr zu schaffen. Sie versucht seit einigen Wochen, wieder ab und an Freunde zu sehen - für maximal eine Stunde. &bdquo;Aber man merkt, dass sich die Spreu vom Weizen trennt“. Auch die Selbsthilfegruppe sei wichtig für sie, ohne den Austausch hätte sie vieles nicht gewusst. &bdquo;Und man fühlt sich nicht ganz so allein und einsam.“

&bdquo;Ich bin mitten im Leben einfach ausgebremst worden.“ Doch sie versucht, positiv zu bleiben, hat an Studien teilgenommen, geht zum Psychologen, versucht verschiedene Therapieansätze, nimmt Nahrungsergänzungsmittel für mehr Energie - immer auch auf die Gefahr hin, dass sich der Zustand verschlechtert. &bdquo;Man versucht alles, was einen unterstützt, selbst wenn einem die Haare von den Medikamenten ausfallen.“

Es braucht einfach mehr Forschung, ist sie überzeugt - und vor allem Ergebnisse. Denn ME/CFS ist keine neue Erkrankung, doch Aufklärung eine Katastrophe, sagt Andrea Schröder. &bdquo;Ich habe lange gedacht, ich kriege das schon irgendwie hin, doch ein starker Wille allein hilft nicht gegen die Krankheit.“ Und wer sie erlebt, der lernt eine Frau kennen, die stark ist und versucht, positiv zu bleiben - trotz aller Verzweiflung. Und versucht, sich nicht kleinkriegen zu lassen.

Selbsthilfe hilft Ende März hat sich die Long Covid Selbsthilfegruppe Detmold zum ersten Mal im AWO-Begegnungszentrum in der Elisabethstraße getroffen. Jeder ist willkommen, auch kurze Besuche seien gern gesehen, um auf Pacing - den bewussten Umgang mit den eigenen Energiereserven - zu achten. Treffen in Präsenz finden am vierten Freitag im Monat von 10 bis 12 Uhr statt, es gibt aber auch Online-Formate. Weitere Infos unter Tel. 01797601008.

Wer eine weitere Gruppe in Lippe gründen möchte, der kann sich auch an die Selbsthilfe-Kontaktstelle wenden. Sie unterstütze Gruppengründungen in Präsenz wie auch Online-Formate, betont Mitarbeiterin Silke Stegelmann. Kontakt per E-Mail an selbsthilfe-lippe@ paritaet-nrw.org .

50 Prozent mit ME/CFS Ein großer Teil der Long-COVID-Erkrankten berichtet von den für ME/CFS charakteristischen Symptomen, erklärt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Mehrere Studien deuteten darauf hin, dass nach einem halben Jahr Erkrankungsdauer circa die Hälfte der Long-COVID-Betroffenen die Diagnosekriterien für ME/CFS erfüllt.

ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue (körperliche Schwäche), die das Aktivitätsniveau erheblich einschränkt, unter neurokognitiven, autonomen und immunologischen Symptomen.

Charakteristisch für ME/CFS ist die Post-Exertionelle Malaise (PEM), eine ausgeprägte und anhaltende Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung. Die PEM führt zu ausgeprägter Schwäche, Muskelschmerzen, grippalen Symptomen und der Verschlechterung des allgemeinen Zustands.

Zwischen Mut und Verzweiflung: Zwei Lipperinnen sprechen über ihr Leben mit Long Covid

Angebot zur Kommunalwahl

Zu erschöpft für den Alltag: ME/CFS-Diagnosen verdreifacht

Leben mit Fatigue-Syndrom - Betroffene sprechen in TV-Doku

Risiko für Long Covid hat sich deutlich verringert

„Er konnte keinen Stift mehr halten“: Wie ein neunjähriger Lipper mit Long Covid lebt

Warum viele an Covid-Spätfolgen leiden - und es nicht wissen

Fünf Jahre Corona - Müssen wir uns noch Sorgen machen?