Kreis Lippe. Sie ist kaum wiederzuerkennen: „Kommen Sie rein“, Elisabeth Lesemann öffnet beschwingt die Wohnungstür. Sie geht voran, vorbei an jener Tür, hinter der sich vor vier Jahren ein unglaubliches Drama abgespielt hat. Hier ist ihre Tochter Elisabeth gestorben - nach unsäglichem Leiden. Dann musste sie wenige Monate später im Januar 2022 einen weiteren schmerzlichen Verlust hinnehmen. Doch mit dieser von Trauer und Kummer gezeichneten Frau hat dies hier nichts mehr zu tun. „Alles hat sich gefügt“, sagt sie. Als die LZ 2021 erstmals über Elisabeth Lesemann junior berichtete, ging es um ein Pflegebett. Damals war die 42-Jährige schon von der Krankheit gezeichnet. Drei Jahre zuvor war ALS diagnostiziert worden. Sie wurde trotzdem schwanger - von einem sehr viel älteren amerikanisch-stämmigen Spanier namens Anselm. Die Beziehung zerbrach, und bei Ausbruch der Pandemie war klar, dass die Alleinerziehende trotz Nanny nicht in Barcelona klarkommen würde. Ihre verwitwete Mutter holte sie zur Pflege nach Detmold. Das Schicksal der beiden hat auch LZ-Leser berührt. Augustdorfer Realschüler sammelten Geld, um Mutter und Kind ein Fotoshooting zu schenken - ein glücklicher Moment für Mia Leonie und ihre todkranke Mama. Das war im Juli 2021. Doch alle Muskeln versagten nach und nach den Dienst, bis sie am 15. Dezember starb. Sie hatte verfügt, dass ihr kleiner Sonnenschein bei ihrer Großmutter aufwächst. Doch sie hatte die Rechnung ohne den Kindsvater gemacht. Als die Kleine etwa ein Jahr war, hatte der Spanier begonnen, regelmäßig in Detmold eine Ferienwohnung zu nehmen, um Zeit mit Mia zu verbringen. Jetzt wollte er sie mit nach Spanien nehmen, und das Familiengericht gab ihm recht. So wurde das kleine Mädchen eineinhalb Monate nach dem Tod der Mutter aus dem Schoß der Ziehfamilie gerissen. Der Oma blieben nur die doppelte Trauer um die eigene Tochter und um die Enkelin und ein einziges Foto der Kleinen, das der Vater aus Barcelona geschickt hatte. Heute hat sich das Blatt gewendet. Vor Elisabeth Lesemann auf dem Esstisch liegen stapelweise Fotos: Klein Mia ist offenbar eine aufgeweckte, hübsche Fünfjährige, die mit wachem Blick in die Kamera guckt und ihrer Mama ähnlich sieht. Wie hat die Oma es geschafft, die Meinung des Vaters zu ändern? „Ich habe ihm geschrieben. Dass ich einsehe, dass Mia ein Recht auf ihren Vater hat. Aber dass die Art und Weise, wie das gelaufen ist, mich ratlos zurücklässt. Und dass ich finde, dass sie das Recht auf all die Menschen hat, die sie lieben.“ Herbe Enttäuschung Zunächst zögerte Anselm. Er habe sich Rat bei einem Psychologen geholt, und der rate davon ab, das Kind hin und her zu zerren. Elisabeth Lesemann gab nicht auf. Sie und der neue Mann in ihrem Leben wollten Urlaub in Barcelona machen. „Wir haben gefragt, ob wir sie sehen dürfen.“ Es schien so, aber im letzten Augenblick machte Mias Vater einen Rückzieher. Eine herbe Enttäuschung, das Paar flog trotzdem hin. „Schließlich hatte ich hier nach Mias Geburt einen Monat bei meiner Tochter verbracht. Nun die Wege von damals zu gehen, gab mir das Gefühl, ihr nahe zu sein.“ Sie verkniff sich, ihre Enkelin und deren Vater zu stalken. Nach der Reise hielt sie Kontakt, schickte Päckchen, bekam Fotos. 2023 dann der Durchbruch: Mia, die neben Katalanisch wie ihr alleinerziehender Vater fließend Englisch spricht, durfte ihre Oma auf einem Spielplatz in Barcelona treffen.„Es war sehr warm, und ich hatte Wasserpistolen mitgebracht, um das Eis zu brechen. Irgendwann stand sie vor mir und schaute mich nur an. Ich hatte das Gefühl, da ist ein tiefes Erkennen.“ Zum Gegenbesuch in Detmold Die Information „ich bin Deine Oma“ verpackte Mia, wie es nur Kinder können. Nickte und lief wieder, mit der lustigen Wasserschlacht fortzufahren. Vater und Oma näherten sich zaghaft an. „Wenn mehrere Leute ein Kind lieben, dann kommt so etwas wie eine Beziehung auf.“ Und Vertrauen: Beim nächsten Besuch durften Elisabeth Lesemann und ihr Partner schon allein mit der Kleinen losziehen. „Und in diesem Sommer waren die beiden bei mir in Detmold.“ Verschüttete Erinnerungen wurden in Mia Leonie wach: „Sie hat sich an mein rotes Sofa erinnert, an dem sie laufen gelernt hat. Und an ihre rosa Gießkanne.“ Mittlerweile kann sich der Spanier sogar vorstellen, dass seine Tochter eines Tages in Deutschland studieren wird. Elisabeth Lesemann und der Vater ihrer Enkelin standen eines Tages in Barcelona am Strand, „und er sagte: You did a good job, Du hast einen guten Job gemacht. Und ich sagte: You also. Du auch.“