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Ungewöhnliches Denkmal: Tankstelle hat besondere Historie

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Hat sich mit der Historie der Tankstelle beschäftigt: Martin Harmel. - © Foto: Pavlustyk
Hat sich mit der Historie der Tankstelle beschäftigt: Martin Harmel. (© Foto: Pavlustyk)

Lemgo. Tankstellen gelten oft als „Schmuddelkinder der Architektur“, bedauert Martin Harmel. Der 59-jährige Detmolder hat sich intensiv mit der Historie der ehemaligen „Tanke“ am Steinweg befasst, die einst nahe der geplanten Reichsautobahn liegen sollte.

Ob nun historisches Fachwerkhaus oder Industriedenkmal: Architektur drücke immer eine politische und gesellschaftliche Entwicklung aus, sagt Harmel. Der Architekt und Innenarchitekt aus Detmold hat zu der Geschichte der einstigen Tankstelle am Steinweg geforscht, die heute unter Denkmalschutz steht und in seinen Augen ein „unbequemes Denkmal“ ist. Unbequem, weil sie an ein Stück Lemgoer Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus erinnert.

Nach ihrer „Machtergreifung“ planten die Nazis eine Reichsautobahn, die oberhalb von Oerlinghausen und Lage zwischen Lemgo und Detmold Richtung Barntrup und Hameln führen sollte. Davon soll ein Lemgoer Ölhändler Wind bekommen haben. So wurde 1939 die Tankstelle am Steinweg erbaut, wo zuvor ein Holzlager und ein Dreschplatz zu finden gewesen waren.

Es sei die erste Großtankstelle von Lemgo gewesen, bemerkt Harmel, dessen Wissen auf Dokumenten des Lemgoer Stadtarchivs und des städtischen Bauamtes fußt. Großtankstelle hieß damals, dass diese über mindestens zwei Zapfanlagen verfügten. Allerdings sollte die Lemgoer Benzinstation nie an einer Autobahn liegen. Die Nationalsozialisten planten die Trasse für die heutige A2 um, die nahe Bielefeld verläuft. Für eine Autobahn, die an Lemgo vorbei führt, „hätte man den Teutoburger Gebirgsstrang mit erheblichem Aufwand untertunneln müssen“, sagt Martin Harmel. Nach dem Kriegsausbruch 1939 durfte der Lemgoer Ölhändler nur noch den öffentlichen Verkehr – etwa Kranken- oder Feuerwehrwagen – betanken. Nach 1945 wurde er enteignet, seine „Tanke“ stand unter Kontrolle der Alliierten und er – der eigentliche Chef – durfte in dieser lediglich arbeiten.

In den 1970er Jahren erwarb die Stadt das bebaute Grundstück, die die Tankstelle zunächst abreißen wollte, um das Finanzamt auszubauen. Ende der 1980er und Anfang der 1990er gab es eine Kontroverse zur Zukunft der Tankstelle. Nach einer zwischenzeitlichen Nutzung als „Autofriedhof“ verkaufte die Stadt das Areal 1998 an eine Privatperson. Seit 2000 ist der Deutsche Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein („Dekra“) Mieter.

Insofern erging es dem Denkmal am Steinweg besser als einer Ex-Tankstelle im Bielefelder Zentrum. Wo einst Benzin getankt wurde, steht heute ein moderner Apple-Store, bedauert Harmel.

Für ihn sind Tankstellen keine schlichten Gebäude, sondern stehen für Gesellschaftsgeschichte. Deshalb zitiert er gern das Motto eines vergangenen „Tags des offenen Denkmals“: „Ein Ort, an dem Kulturdenkmale verfallen, ist wie ein Mensch, der sein Gedächtnis verliert.“

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