Detmold. Ihr Mund steht offen, die Augen sind weit aufgerissen. Für einen kurzen Moment wirkt die angeklagte Detmolder Anwältin fassungslos, als die Vorsitzende Richterin Katharina Schikowski nach 29 Prozesstagen das Urteil verkündet. Dabei hatte sich in den zehn Monaten einer aus Sicht der Kammer „langwierigen und gründlichen“ Beweisaufnahme eins angekündigt: Viele Vorwürfe lassen sich nicht so einfach wegwischen. Die Große Wirtschaftsstrafkammer ist am Ende von der Schuld der Angeklagten überzeugt - und verurteilt die 59-Jährige zu viereinhalb Jahren Haft wegen gewerbsmäßiger Untreue, Betrugs in Tateinheit mit Untreue und versuchten Betrugs in insgesamt 30 Fällen. Darüber hinaus soll die Angeklagte den Schaden von rund 34.900 Euro zurückzahlen sowie fünf Jahre nicht mehr als Betreuerin arbeiten dürfen. Das Berufsverbot greift mit Rechtskraft, wird aber während der Haft ausgesetzt. „Dieser Fall hat viele Menschen interessiert und beschäftigt“, fasst Richterin Schikowski zusammen. Ihre Worte spiegeln sich im voll besetzten Zuschauerraum wieder. Den ist die Kammer gerade in Wirtschaftsstrafsachen weniger gewohnt, erklärt die Vorsitzende. „Wenn man im Alter oder in Krankheit Hilfe benötigt und dann an jemanden gerät, der sich selbst bereichern will, ist das für viele ein Albtraum - und für einige ist dieser Albtraum wahrgeworden.“ Die Richterin meint damit die fünf betreuten Menschen, die für dieses Verfahren bedeutend sind und von der Angeklagten in ihrer Funktion als Betreuerin nachweislich betrogen wurden. „Wir haben in diesem Verfahren viel moralisch Fragwürdiges gehört“, sagt Schikowski. Dass sich eine Betreuerin als Alleinerbin einsetzen oder als Begünstigte für eine Lebensversicherung eintragen lasse, habe etwas Anrüchiges. Die Kammer bewerte aber keine Moral, sondern strafbares Verhalten. Insgesamt habe sich eine „erhebliche kriminelle Energie“ offenbart. Fest stehe, dass die Anwältin im April 2021 versucht hatte, das Erbe einer betreuten und dementen Seniorin von mehr als 720.000 Euro an sich zu reißen. „Sie wusste, dass sie aufgrund einer fortschreitenden Demenz nicht mehr testierfähig war, ließ sich aber trotzdem ins Testament als Alleinerbin eintragen.“ Nur der spätere Rechtsstreit mit dem rechtmäßigen Erben verhinderte ihren Plan, erklärt die Vorsitzende. Die Kammer ist überzeugt, dass sie den Angehörigen zwischenzeitlich unter Druck setzte, sodass er ihr fast freiwillig zehn Prozent des Erbes auszahlte. „Das Geld hat er nie gesehen“ Einen anderen, offenbar gutgläubigen Senioren habe die Anwältin mithilfe einer Vorsorgevollmacht und seiner EC-Karte ausgenommen, davon geht die Kammer ebenfalls aus. Knapp 13.000 Euro soll die Juristin so über zwei Jahre von dessen Konto abgehoben haben. Bei dem Argument der Verteidigung, der betroffene Senior habe doch eine Quittung unterschrieben, das ganze Geld auf einmal erhalten zu haben, geht die Kammer nicht mit. „Er hat ihr blind vertraut und alles unterschrieben, was sie vorgelegt hat.“ Das Geld habe er aber nie gesehen. Genauso wenig hält es das Gericht für nachvollziehbar, die Anwältin habe eigener Einlassung nach mit Vorschüssen gearbeitet und deshalb Geld von den Betreuten einbehalten. Diese seien in den angeklagten Fällen nie vereinbart worden, außerdem seien nie entsprechende Rechnungen bei den diversen Durchsuchungen gefunden worden. Komisch sei ebenfalls, dass das Geld immer scheibchenweise abgeholt worden sei, erklärt die Vorsitzende. Weitere Beteiligte mit eigener Anklage Bei weiteren betreuten Senioren habe die Angeklagte offenbar die Chance gewittert, die „Töpfe der Pflegekasse voll auszuschöpfen“ und die Höchstsätze für sogenannte Verhinderungspflege von je etwa 2000 Euro zu kassieren. Sowohl ihr Ehemann als auch die Nichte ihrer ehemals mitangeklagten Kanzlei-Mitarbeiterin hatten angeblich vertretungsweise Betreute besucht, diese Leistungen aus Sicht des Gerichts aber nicht erbracht. Beide Beteiligte erwartet ein eigenes Strafverfahren. Bei den nicht erbrachten Besuchsdiensten eines anderen Senioren durch die vor Kurzem verurteilte Kanzlei-Mitarbeiterin geht das Gericht dagegen davon aus, dass die Angeklagte selbst getäuscht worden sei und mit diesem Betrug nichts zu tun hat. Deshalb gibt es für diesen Vorwurf einen Freispruch. Anders als Verteidigerin Christina Peterhanwahr geht das Gericht ebenfalls davon aus, dass die angeklagte Anwältin dabei geholfen hat, ihrer ehemaligen Mitarbeiterin die Eigentumswohnung einer betreuten Seniorin für einen viel zu günstigen Kaufpreis zu vermachen. Dafür hatte sie eine viel zu geringe Wertermittlung in Auftrag gegeben. Sowohl die Chatverläufe zwischen den Beteiligten als auch ein Video, auf dem die Anwältin und ihre ehemalige Mitarbeiterin telefonisch auf die Frau einwirkten, sprächen aus Sicht der Kammer eine deutliche Sprache. Die Wohnung in der Detmolder Innenstadt war für 82.500 Euro verkauft worden, ein vom Gericht bestellter Gutachter schätzte den Wert dagegen auf rund 110.000 Euro. Selbst hatte die Anwältin die besagte Wohnung mal auf 150.000 Euro geschätzt, auch das steht in den Akten. Angeklagte lässt sich Bausparvertrag von Betreuten auszahlen In einem weiteren Fall ließ sich die Angeklagte einen Bausparvertrag von rund 13.000 Euro auf ihr eigenes Konto zahlen, behielt dazu noch den an zwei gemeinnützige Organisationen gedachten Anteil aus einem Testament 20 Jahre zurück. Verteidigerin Christina Peterhanwahr erklärt, das habe an der Ruhezeit auf dem Friedhof gelegen. Sie sieht in keinem Fall strafbares Verhalten, plädiert daher auf einen Freispruch und Haftentschädigung. „Sie ist manchen Menschen vielleicht nicht sympathisch oder hat Verhaltensweisen, die komisch sind“, führt Peterhanwahr aus. „Aber all das hat keine strafbare Relevanz.“ Die Vertreter der Staatsanwaltschaft sehen das anders. Oberstaatsanwalt Christopher Imig und Staatsanwalt Moritz Lange beantragen daher für 30 Taten sechseinhalb Jahre Haft. Neben dem Wertersatz hält die Staatsanwaltschaft noch ein lebenslanges Berufsverbot als Betreuerin sowie fünf Jahre für angemessen, die die Angeklagte nicht mehr als Anwältin arbeiten darf. Die Kammer sieht für das Verbot als Anwältin nicht den notwendigen Zusammenhang. Wie das am Ende die Anwaltskammer beurteilt, steht auf einem anderen Blatt. Oberstaatsanwalt Christopher Imig nutzt sein Plädoyer noch mal dazu, um zu erklären, weshalb es sich um ein „außergewöhnliches und denkwürdiges“ Verfahren handelt. 15 Minuten geht es allein um das Ausmaß, das sich den Ermittlern nach und nach erschlossen hatte. Vieles sei zu kompliziert gewesen oder inzwischen verjährt, um es anzuklagen, sagt Imig. Klar ist aber auch, dass der Fall mit diesem Urteil nicht beendet ist. Die Staatsanwaltschaft Detmold hat schon zwei weitere Anklagen vorbereitet. Verteidigerin Peterhanwahr wird in Revision zu gehen.