Lemgo. „Von dort ist damals das Wasser gekommen", sagt Günter Krüger aus der Schuhstraße und zeigt mit dem Finger in Richtung Regenstorplatz. Der 86-Jährige erinnert sich an den 8. Februar 1946: Damals überflutete die Bega fast die gesamte Neustadt. „Das wird mir wohl immer im Gedächtnis bleiben", sagt er.
Wie berichtet, waren zu dieser Zeit viele Städte in Ostwestfalen-Lippe von Hochwasser betroffen. Starke Regenfälle ließen Flüsse in den Kreisen Herford, Minden-Lübbecke, Gütersloh und Höxter über die Ufer treten. In Lemgo meldete neben der Neustadt auch die Grevenmarsch „Land unter". „Die Überschwemmungen richteten große Schäden an", so Krüger.
Eine Ursache für das Hochwasser in Lemgo: Das Wehr am Langenbrücker Tor lag unter Eis und war nicht mehr zu öffnen. Durch Schneeschmelze und Regen staute sich das Wasser und suchte sich seinen Weg. In vielen Straßen habe der Pegel einen Meter erreicht, erzählt der Zeitzeuge. Teilweise sei man nur noch mit Booten voran gekommen. „Die Bürger versuchten, sich und ihre Habe zu retten, flüchteten in Obergeschosse oder auf Dächer." Günter Krüger war damals 16 Jahre alt. Seine Eltern hatten an der Schuhstraße einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. „Die Stallungen lagen ebenerdig. Als das Wasser kam, mussten wir schnell reagieren, um das Vieh in Sicherheit zu bringen", sagt er. Für die Ziegen wurde die Situation per Seilwinde gelöst: „Wir haben sie auf den Scheunenboden hochgezogen", erinnert sich Krüger an die abenteuerliche Rettungsaktion.
Auch die Lebensmittelvorräte – in der Nachkriegszeit ein besonders hohes Gut – konnte die Familie fast vollständig bergen: bis auf einen Sack voller Kartoffeln, der nach Tagen im überfluteten Keller ungenießbar war, so Krüger.

Während das Wasser in der Schuhstraße stand, harrte die Familie in ihrer Wohnung im Obergeschoss aus. „Wir kamen nicht mehr raus", schildert der Lemgoer die bedrohliche Situation. Erst etwa 36 Stunden nach dem Beginn der Flut floss das Wasser nach und nach aus der Neustadt ab – und hinterließ ein Bild der Verwüstung: ruinierte Gärten, Schlamm in Wohnungen und Kellern, Fachwerkhäuser, die anfingen zu faulen.
Insgesamt sei seine Familie glimpflich davongekommen, ist Krüger noch heute froh. Sie hätten zum Glück rechtzeitig auf die Katastrophe reagieren können. „Zudem hatten wir ein Haus aus Stein, dem das Wasser nicht so viel anhaben konnte."
Dennoch habe das Naturunglück sein späteres Leben mit geprägt, bilanziert er: „Seit dem Hochwasser stand für mich fest, dass ich niemals in eine Wohnung im Erdgeschoss einziehen würde."
Feuerwehr und Stadt sehen sich für den Notfall gerüstet
Das Jahrhunderthochwasser vor 70 Jahren war wohl die stärkste, aber nicht die letzte Überschwemmung, die Lemgo erlebt hat. Nach wie vor besteht die Gefahr, dass ein heftiges Unwetter zuschlagen kann.

„Das letzte Mal, dass es so richtig bedrohlich wurde, war 1998", berichtet Feuerwehrchef Klaus Wegener. Damals stand die Grevenmarsch komplett unter Wasser. Hier wurden mittlerweile Schutzmaßnahmen getroffen. Eine Herausforderung stellen zurzeit noch die kürzlich vorgenommenen Veränderungen am unteren Teil der Bega sowie die Baustelle am Langenbrücker Tor dar: „Damit müssen wir uns erst einmal neu orientieren", so Wegener.
Es sei immer schwierig, sich auf ein Hochwasser vorzubereiten. Schließlich gebe es kaum Vorlaufzeit. Aber die Stadt Lemgo habe für alle Fälle vorgesorgt. Im Gefahrenabwehrplan seien Maßnahmen für die verschiedensten Szenarien dokumentiert. Nach ersten Kontrollen würde im Ernstfall über verschiedene Alarmstufen eine Art moderne Telefonkette ausgelöst: Wird das Hochwasser besonders kritisch, werden beispielsweise im gesamten Stadtgebiet Sandsäcke verteilt, die im Notfall eingesetzt werden können. „Anwohner sollten dann ihr wichtigstes Hab und Gut möglichst in die höheren Etagen bringen", rät Klaus Wegener.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erklärt in einem Flyer, wie man sich verhalten sollte: Für den Notfall sollten drei wichtige Dinge immer griffbereit sein – ein UKW-Radio mit Batterien, Lichtquellen wie Taschenlampen oder Kerzen und Notgepäck mit den wichtigsten Dokumenten sowie Fotos vom Eigentum. „Dies kann als Nachweis bei der Versicherung hilfreich sein", heißt es dort.