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Lemgo

Der Neue Direktor der Karla-Raveh-Schule zieht Zwischenbilanz

Lemgo. Seit einem halben Jahr ist Bernd Hendig Direktor der Gesamtschule. Ein neues Gesicht ist der Blomberger für die Schüler und Kollegen allerdings keineswegs. Vor dem Schulleiterjob hat der 39-Jährige bereits als Rektor die Abteilung für die Jahrgänge fünf bis sieben geleitet. Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz.

Ihre Vorgängerin Karin Sensenschmidt war 20 Jahre im Amt, sie ist die Gründungsdirektorin. Treten Sie mit Ehrfurcht an?

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Persönlich

Bernd Hendig leitet mit der Karla-Raveh-Gesamtschule die größte Schule in Lemgo mit 1330 Schülern und 120 Lehrern. Der 39-Jährige lebt mit seiner Frau und den zwei gemeinsamen Kindern in Blomberg. Studiert hat der gebürtige Lipper in Bielefeld – seine Fächer: Sozialwissenschaften, Geschichte, Deutsch. Nach dem Referendariat und einer kurzen Anstellung an der Gesamtschule in Löhne kam Hendig 2007 zur Raveh-Schule, wo er Wurzeln schlug. Ab 2010 war er Abteilungsleiter für die Jahrgänge 5 bis 7.

BERND Hendig: Mit Ehrfurcht und Respekt vor der Aufgabe, ja sicher. Aber ich freue mich auch, den Erfolg der Kollegin und unserer Schule in die Zukunft tragen zu dürfen. Es ist allerdings manchmal tatsächlich die größere Herausforderung, zu bewahren, was gut ist, als Neues zu schaffen.

Das stimmt – Jahr um Jahr werden Sie förmlich überrannt bei den Anmeldungen. Daran müssen Sie sich messen lassen...

Hendig: Nein, nicht an den Zahlen. Das wäre zu einfach. Ich bin natürlich überzeugt, dass wir auch im Februar wieder mehr Anmeldungen haben werden als Plätze. Das ist ein Lob für unsere Arbeit. Aber erst inhaltlich wird ein Schuh daraus: Deshalb ist die Karla-Raveh-Schule etwas so Besonderes.

Beschreiben Sie Ihre Alleinstellungsmerkmale...

Hendig: Wir pflegen hier eine besondere Kultur des Miteinanders, der Völkerverständigung, gegenseitigen Achtung, Toleranz und Respekt. Das gilt auch, wenn ich über den Flur gehe: Schüler, Eltern und das gesamte Personal begegnen sich auf Augenhöhe...

...und das vor dem Hintergrund einer lebenden Namensgeberin. Ist das der besondere Geist?

Hendig: Zweifelsohne. Karla Raveh ist ein großes Geschenk. Ihr Leidens- und Lebensweg prägt unser Schulprogramm.
Nur auf dem Papier? Oder auch im täglichen Miteinander?
Hendig: Karla Raveh möchte ja eigenem Bekunden zufolge die älteste Schülerin unserer Schule sein. Trotz ihrer bald 90 Jahre. Das heißt, sie ist so oft hier, wie es ihr Alter und ihre Gesundheit ermöglichen. Damit ist sie ein greifbares Vorbild: Sie hat das Unrecht durch die Nazis verziehen sowie den Kontakt zur alten Heimat gesucht und gefunden.

Ist das für Schüler noch aktuelles Motiv oder Schnee von gestern?

Hendig: Es bewegt die Kinder. Sie sind stolz auf Karla Raveh und das, wofür sie steht. Heutzutage will jeder ein Selfie mit ihr, fast wie bei einem Star. Einem 89-jährigen Star.

Sorgen Sie sich vor der Zeit nach Karla Raveh – droht eine Leere?

Hendig: Der Tag wird kommen, so viel steht fest. Und es wird ein großer, schmerzlicher Verlust. Allerdings ist es unsere Aufgabe, Karla Ravehs Ziele, Gedanken und Einstellungen auch für die kommenden Generationen zu retten. Gerade in der heutigen Zeit...

In der heutigen Zeit?

Hendig: Wir erleben Herausforderungen, die wir so nicht kannten: Flüchtlinge, darob Fremdenhass, Attentate. Frieden ist nicht selbstverständlich – also müssen wir dafür arbeiten. Wir spüren eine größere Unsicherheit als früher – das merkt man auch den Schülern an. Sie haben Fragen.

Welche Antworten gibt die Schule auf diese Welt?

Hendig: Die Informationsflut ist eine Aufgabe: Wie ordne ich das ein, was ich erfahre? Wie sortiere ich, was glaubwürdig ist und was nicht. Stichwort: Fake News. Und wir sind wieder bei den Werten des Miteinanders, die wir hier unbedingt vermitteln: Jeder zählt. Darin sehe ich die ganz große Chance der Gesamtschule.

Warum gerade bei ihr?

Hendig: Es ist schlicht und einfach die bunteste aller Schulformen. So bunt wie das Leben. Und unser Alltag hier am Vogelsang wird noch abwechslungsreicher, wenn erst die Astrid-Lindgren-Förderschule gegenüber neu gebaut ist, mit der wir mehr Kooperationen anstreben als bislang über die Entfernung möglich sind.

Kooperationen, bei denen Starke den Schwachen helfen?

Hendig: Auch umgekehrt. Denn wer anderen hilft, sie unterstützt, profitiert davon selbst am meisten. Das erleben wir tagtäglich durch die gerade bei uns naturgegebenen Leistungsunterschiede: Es entscheiden sich viele bewusst für unsere Schule, gerade wegen unserer Konzepte zur Begabungsförderung. Deshalb haben wir auch einige Hochbegabte oder Leistungssportler.

...eine Situation, die sich die Gesamtschule vielfach erkämpfen musste. Sie ist das Ergebnis des Einsatzes einer Elterninitiative.

Hendig: Ja, es war ein Experiment. Und zwar ein erfolgreiches. Auch wenn wir jedes Jahr Dutzenden absagen müssen: Wir gelten als Vorbild, etwa für die neuen Sekundar- und Gemeinschaftsschulen. Vieles von dem, was heute en vogue ist, leben wir seit Jahren: heterogene Lerngruppen, Ganztag, die lange Offenheit, was die Bildungsabschlüsse angeht. Deswegen sind auch die Internationalen Klassen mit den Flüchtlingskindern für uns kein Kulturschock, sondern Normalität.

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